MASTERSTUDIENGANG - ENVIRONMENTAL DESIGN
Entwurf: Überseestadt Bremen Revisited
Thesen zur Überseestadt
Prof. Klaus Schäfer, Lehrstuhl für Städtebau, Februar 2014

 Blick von Osten (1990er, Quelle: SUBV Bremen)

 

Vor 10 Jahren (2003) wurde ein Masterplan Überseestadt in Bremen verabschiedet. Auf 300 Hektar sollte auf der ehemaligen Hafenfläche ein neuer Stadtteil entwickelt werden. Dies unter teilweisem Erhalt vorhandener industrieller und gewerblicher Nutzungen. Um die Größe dieses angestrebten neuen Stadtteils zu beurteilen, kann man ihn mit der Stadtentwicklungsmaßnahme HafenCity in Hamburg auf 155 Hektar vergleichen. Hier wurde der Masterplan im Jahre 2000 verabschiedet. Dies übrigens als eine Gegenüberstellung, der sich die Überseestadt Bremen immer wieder stellen muss, trotz oder eben wegen der sehr unterschiedlichen ökonomischen Voraussetzungen der beiden Hafenstädte.

Vergleich mit Hamburg
Während sich die HafenCity räumlich an den Stadtkern Hamburgs schmiegt, empfindet man die Überseestadt als freie Extension, die vom Stadtkern ausgeht. Die Größenunterschiede der beiden Entwicklungsvorhaben sind auf dem Plan signifikant, fallen aber aufgrund der schon viel weiter fortgeschrittenen Umsetzung in Hamburg noch nicht auf. Diese Wahrnehmung ist auch der unterschiedlichen Zuordnung des Bestandes, wie der Beziehung zu den Nachbarstadtteilen geschuldet. Auffällig ist zunächst das ungleiche Bild von Stadt, das konzeptionelle Grundlage verschiedener städtebaulicher Haltungen schon bei den Masterplänen war. Die Viertel um die ehemalige Speicherstadt in Hamburg kennzeichnen mehrheitlich eine Blockrandbebauung, die Nachbarschaft verschiedener Nutzungen und eine enge Verknüpfung zum Bestand, obwohl die Offenhaltung der kleinen Fleete und Kanäle immer wieder auch Barrieren schafft. Ihre Identität erhält die HafenCity immer noch überwiegend durch die Bezüge zu den alten Speichergebäuden und das Netz von Wasserwegen als ihren ‚öffentlichen Raum‘. Das Problem einer mangelnden Verknüpfung durch distanzbildende Wasserflächen kennzeichnet viele der zahlreiche Konversionen von Hafenanlagen in den Großstädten der 1990er bis 2000er Jahre.
Anders in Bremen, wo man die Verfüllung des Überseehafens (1998) und die Errichtung eines Großmarkts (2002) auf dieser Fläche als Initial zur Transformation des Stadtteils „Handelshäfen“ zur „Überseestadt“ betrachtete. Das Bremer Konzept des Masterplans verfolgt das Modell einer –zweckmäßigen – Moderne, in einer offenen Gebäudestellung aus Solitären im Wechsel mit den noch vorhanden sehr großen, ebenfalls solitären Speichergebäuden. Das gestalterische Konzept zielt hier auf die Qualität des frei stehenden Monuments – als Riegel oder Punkthochhaus –, einer gezügelten Expressivität und einer möglichst gediegenen Ausformulierung von Abstandsflächen. Die Nutzungszuschnitte sind vielfach nach Gebäuden und Baufeldern cluster-weise sortiert. Im Vergleich zu Hamburg erscheinen die Straßenräume in der Überseestadt sehr breit. Die Tram liegt als Stadtbahn auf einer eigenen Trasse und die Bebauung tritt oftmals zusätzlich von der Grundstücksgrenze zurück. Die Baufelder in Bremen verfügen insgesamt über einen größeren Zuschnitt und erzeugen damit ein weitmaschiges Erschließungsnetz.

10 Jahre Stadtentwicklung im Bremer Nordwesten
Nach einer Dekade lohnt der Blick auf die Ziele des Masterplans von 2003 und seine Intensionen. Die Wasserseiten, sofern verfügbar, sind mittlerweile schon bebaut oder in unmittelbarer Planung, größtenteils in Wohnformen der gehoben Preisklasse. Die freien Speichergebäude sind ihrer Nutzung nach neu programmiert. Nur die Erschließung des nord-westlichen Teils des Areals ist noch nicht gebaut. Der Europahafen ist zum öffentlichen Kernthema der Überseestadt geworden. Die neue Tram-Anbindung bezieht sich von hieraus nur auf den stadteinwärtigen Teil bis zum Europahafen.
Mittlerweile zeigen sich unterschiedliche Geschwindigkeiten der Entwicklung und Verschiebungen in den Proportionen der Bedarfe an. Dies liegt an der Attraktivität bestimmter Lagen, dem Widerstand durch angestammtes Gewerbe, der Kritik an einer mangelnden sozialen Mischung und den veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung. Die vorsichtige Zonierung unterstützt durch beispielsweise 50 bis 70 Meter breite Grünzonen als Trennung von Gewerbe und Dienstleistung, legt den Zuschnitt von Flächen und damit den Städtebau fest, wo sich eine Veränderung von Inhalten mittlerweile abzeichnet. Erkennbar wird auch, wie wichtig inzwischen Konzepte für die Bereiche sind, die bisher von der Planung ausgenommen waren.

 

Nutzungskonzept (Stand 2013, Quelle: WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH)

 

Masterplan (Stand 2013, Quelle: WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH)

Die Schwächen des Erreichten
Obwohl sich vor den Türen der Nachbarstadtteile ein völliger Paradigmenwechsel durch die Transformation von einem reinen Industriegebiet zu einem gemischten Wohn- und Dienstleistungsstandort in einem weitem Umfang vollzieht, bleiben die ‚inneren Peripherien‘ unter den Statteilen bisher erhalten und direkte räumliche Beziehungen sind noch nicht hergestellt. Wichtig sind hier nicht nur die unmittelbaren Nahstellen zwischen den Stadtteilen, sondern auch die weiträumigen Verbindungen  nach Walle und Gröpelingen (Lindenhof). Durch ihre Alleinstellung erscheint deshalb die neue Verbindung zum Stadtkern über die Eduard-Schopf-Alle heute wie ein Nadelöhr. 
Die gewaltigen Ausmaße beispielsweise der Kreuzung am Hansetor nach Utbremen verdeutlichen ein Dilemma räumlich, wie verkehrstechnisch. Versteht sich die Überseestadt als eigenständig oder als Teil eines Ganzen? Worauf bezieht sich die Gestaltung ihrer Räume? Auf den lokalen Verkehr und die Beziehung unter Baufeldern oder auf den Transitverkehr und dessen dynamischen Ablauf? Diesen Widerspruch sich gegenseitig ausschließen Prämissen treffen wir mehrfach in der Überseestadt an. Daraus ergibt sich ein inselartiger Charakter einzelner Abschnitte, verstärkt durch den Bestand, der zusätzliche Grenzen schafft. Der Vorteil aus dem ‚Bauen im Bestand‘ stellt sich noch nicht als Träger einer eigenen Identität heraus. Verbinden die großzügigen Profile in den Straßenverläufen ihre Anrainer oder werden sie dadurch ehr voneinander getrennt?
Manche dieser Disparitäten werden sich mit der Zeit aufheben oder ausgleichen lassen, wie die fehlende Integration des Waller Wied oder des Quartiers Baumstraße als wichtige Potentiale mit Patina, Lebensgeschichte und Maßstab. Aber der Großmarkt wird die fragmentierende Wirkung für seine Umgebung aufgrund seiner Größe und Lage behalten. Hier stellt sich eine der Kernfragen für die Überseestadt und ihren weiteren Erfolg.

Aufgabenstellung 
(Revisited – Überdenken, Neubewerten, Wiedersehen)
Aus welchem städtebaulichen Maßstab lässt sich zur Überseestadt nach 10 Jahren konzeptionell Grundsätzliches herausarbeiten, was zu einer sinnvollen Überprüfung, Veränderung oder Korrektur führen könnte? Mit der Entfernung vom Gebiet entstehen sehr unterschiedliche Gewichtungen und Perspektiven auf die Gegenwart und die Zukunft.

- Großer Maßstab
So lässt sich schon die Frage nach einer Verbindung über die Weser in Richtung Woltmershausen und GVZ nachdenken. Dies muss nicht spektakulär sein, hat aber Auswirkungen auf das Stadtganze, sei es eine regelmäßige Fährverbindung, wie zwischen dem Viertel und dem Stadtwerder im Bremer Osten, oder eine bewegliche kleine Brücke. Die Verknüpfungen im Bremer Westen zu den anderen Stadtteilen sind entschlossen zu suchen und aufzunehmen, räumlich bezogen auf das Gesamtnetz der Stadt und strategisch auf bestimmte Orte in der Nachbarschaft.

- Mittlere Maßstab
Der Masterplan für die Überseestadt lässt bisher Bereiche offen, die auf lange Sicht erschlossen und integriert werden müssen in den derzeit entstehenden Stadtteil. Beim Großmarkt als relativ neue Setzung stellt sich die Frage einer Korrektur, wenn die Entfaltungsmöglichkeiten deutlich gemacht werden könnten, die sich an dieser zentralen Stelle als Potential ergäben. Die Pläne für den äußeren Nordwesten dürften sich ihrem Inhalt nach verändert haben. Der Landzunge zwischen Europahafen und Weser (Sefanikirchenweide) kommt bei steigender Attraktivität der Überseestadt insgesamt eine neue größere Bedeutung zu.

- Maßstab auf Quartiersebene
In den schon bebauten Gebieten stellt sich die Frage nach einer Anreicherung des neuen Bestandes. Die Verknüpfung zwischen Alt und Neu könnte hier unterstützt werden, durch punktuelle Nachverdichtung und ein Überdenken des öffentlichen Raumes. Wie ließe sich ein ‚Zuviel an öffentlichem Raum‘ einschränken und sinnvoll konzentrieren. Wie geht man mit den Grenzräumen einzelner Gebiete um, welche Stadtbausteine lassen sich eigens hierfür entwickeln, welche Haustypologien verwenden?

Last but not least auf ein ‚Bild der Stadt‘ bezogen, kann auch noch einmal darüber nachgedacht werden, was die Identität einer (ehemaligen) Hafenstadt ausmacht. Baut dies alles auf einen ‚Genius loci‘ auf, fehlt diese Identität noch und welche neue Identität finden wir heute im Umkreis des Europahafens?