MASTERSTUDIENGANG - ENVIRONMENTAL DESIGN
Entwurf: Überseestadt Bremen Revisited
Die unmögliche Stadtplanung und der unmögliche Städtebau
Prof. Klaus Schäfer, Februar 2014

Nutzungsmischung und städtische Dichte in der Überseestadt

Die Erfordernis einer tatsächlichen Nutzungsmischung haben wir auf einer Exkursion nach Süddeutschland zusammen mit den Kommilitonen der Stadtplanung von der TU Berlin diskutiert, genauso wie die planerischen Möglichkeiten zu einer dichten städtischen Bebauung, einer Stadt der kurzen Wege.
Mit dem Loretta-Areal und insbesondere dem Französischen Viertel in Tübingen ist für bundesdeutsche Verhältnisse etwas Besonderes entstanden. Diese neuen Stadtteile liegen zwischen aufgegeben Kasernengebäuden ehemaliger französischer Einheiten aus den 1990ern und bestehen aus Geschosswohnungsbau mit 3 bis 4 Etagen und einer konsequenten Unterlegung mit Gewerbe in allen Erdgeschossen der Neubauten. Eine Blockrandbebauung sorgt für eine klare Orientierung der Räume in der Trennung öffentlicher und privater Bereiche. Neben Dienstleistung, Gaststätten und Nahversorgung finden wir auch produzierendes Gewerbe, Werkstätten bis hin zu einer Zimmerei im Französischen Viertel.

Tübingen, Französisches Viertel, Straßenszene (Quelle: K. Schäfer)

 

Tübingen, Südstadt, Gewerbliche Nutzungen im Quartier (Stand 2012, Quelle: A. Fedtkeller)

Eine urbane Mischung, deren größte Besonderheit darin liegt Stadt im ureigensten Sinn zu sein, womit ein Stück ‚Normalität‘ hergestellt wird. Dass es schon lange nicht mehr normal ist, im Neuen eine Stadt entstehen zu sehen, und dass darin die eigentliche Regel liegt, bleibt denjenigen verborgen, die hier als Bewohner und Nutzer das Selbstverständliche von der Stadt erwarten. Unter fachlicher Führung lässt sich allerdings erkennen, wie wichtig der Erhalt einer gewissen Anzahl vorhandener Bausubstanz sein mag, die angewandte Parzellierung ein Beitrag für Identität und Teilung von Eigentum ist, ebenso wie die Entwicklung mit Baugemeinschaften, hier als eines der ersten Pilot-Projekte in Deutschland. Die Quartiersgaragen stehen in der selben Logik, wie die Bushaltestellen (Netz und Abstände) und es gibt ein dezentrales kleines Blockheizkraftwerk. All dies sind wahrscheinlich Faktoren, die einer unterbesetzten Stadtplanungsabteilung andernorts zu viel Arbeit aufbürden könnten. 

In Ulm wurde die zentrale Durchgangsstraße der Innenstadt zurückgebaut. Eine sechsspurige Trasse, mit dem Namen Neue Straße wurde - typisch für diese Zeit - in den 1960ern durch die Ruinen, aber auch vorhandene Bausubstanz, unter dem Verlust ganzer Quartiere, getrieben. Sie trennte damit nicht nur wesentliche Teile des Stadtkerns voneinander, sie prägte auch in weiten Teilen in ihrer erweiterten Logik aus Zufahrtsstraßen und Parkplätzen die Identität des öffentlichen Raums von Ulm.

Ulm, Trennung der Innenstadt durch Verkehrsschneise aus den 1960er (Quelle: Stadt Ulm)

 

Schwarzpläne: Zustand Innenstadt südl. Ulmer Münster 1930er / 1980er / 2013 (Quelle: Stadt Ulm)

 

Umschlagbild zur Veröffentlichung - Neue Mitte Ulm


Ähnlich der Bremer Martinistraße im Verhältnis zur Weser wurde auch hier die Kernstadt vom Flussufer der Donau über lange Zeit abgeschnitten. Der von manchen Fachleuten vorausgesagte Verkehrsinfarkt durch die Umgestaltung blieb aus und die Stadt erfreut sich ihrer neugewonnen Attraktivität und der wiedergefundenen Identität. Neben den Hochglanzprojekten direkt auf der „Neuen Straße“ waren für uns aber auch die langfristigen Konsequenzen der Stadtplanung in den angrenzenden Quartieren von Interesse. Rückbau bedeutet hier veränderte Baulinien und Baugrenzen, die nicht, wie nach dem Krieg und auch schon davor praktiziert, den Verkehrsraum auf die privaten Flächen ausdehnen, sondern umgekehrt, die Baulinien werden wieder zugunsten des Baulandes Parzelle für Parzelle nach vorne geschoben. Wiedergewonnen wird dadurch eine städtische Dichte und eine Qualifizierung der öffentlichen Räume nach einzelnen städtebaulichen Entwürfen. Dies wurde auf äußerst diffizile nachbarschaftliche Verhältnisse abgestimmt und mit den Planungszielen abgewogen. Nicht jeder Nachbar lässt sich beispielsweise ein neues Haus vor die Nase setzen, auch wenn es zu Gunsten des öffentlichen Raumes der Stadtgemeinschaft ist. Die Umsetzung und das Aushandeln der Möglichkeiten sind Teil eines Prozesses über viele Jahre, dessen erste Fortschritte aber schon erkennbar sind.

Beide  von uns besuchten Beispiele stehen für eine mutige Stadtplanung und konsequenten Städtebau, zu dem keine Behörde befähigt ist, wenn sie nicht von einem ebenso mutigen politischen Entscheidungswillen über einen langen Zeitraum mitgetragen wird.

Selbstverständlich haben wir uns in einem eigens durchgeführten Begleitseminar mit den großen Transformationen andere Hafenstädte befasst, wie wir uns überhaupt mit den typologischen Eigenschaften einer Hafenstadt und dem Ort in der Überseestadt Bremen und seiner Geschichte auseinandergesetzt haben. Sehr genau waren die Untersuchungen und die Geschichte des vorhandenen Masterplans untersucht und diskutiert worden.
In Hinblick auf unseren Entwurfs-Baukasten der anzuwendenden Bautypologien, war auch die Beschäftigung mit den Creative industries oder Intelligent industries als wirtschafts-kulturelle Schlagworte, sowie als konkrete Bauaufgaben, ein entscheidendes Recherchethema. Denn auf diesem Gebiet verbindet sich moderne Technologie mit sauberen und emissionsarmen Produktionsformen.

 

KHR Arkitekter,  A/S/M Fiberline Composites, Middelfart, Dänemark (Quelle: Homepage KHR Arkitekter)

 

Im Quervergleich der zahlreich untersuchten Projekte, gerade namhafter Architekturbüros und Auftraggeber, verblüfften die Zusammenhänge oder Widersprüche aus formalen Aussagen, ökologischem Anspruch und der planmäßigen Situierung der Standorte. Fast ausnahmslos werden die neuen Fabriken gerne vorzugsweise mittig in ein Kornfeld gesetzt oder  in einem ähnlichen Bildzusammenhang zu einer naturnahen Umgebung gezeigt. Dass es nun möglich ist solche Standorte inmitten eines urbanen Kontextes unterzubringen, scheint entgegen den Ansprüchen zu sein, gegenwärtig so etwas als wirklich modern und zukunftstauglich darzustellen.

 

Ein seltenes Beispiel für Intelligent industries im Kontext einer Stadt von Staab Architekten, Berlin:

 

Staab Architekten, NYA Nordiska GmbH, Dannenberg, 2010 (Quelle: Bauwelt 46.2010, Foto: Markus Ebener, Berlin)