Hochschulseminar – Zu Fuß
 
Die Sinnbilder einer Stadt
Gruppenarbeit, 22.11.2007

This is again a reading from the book "Die unsichtbaren Städte" written by Italo Calvino. This short passage describes how a city can be seen as a slideshow of pictures that will never be forgotten.


Die unsichtbaren Städte, von Italo Calvino
Ausschnitt


"Zurückgekehrt von den Gesandtschaften, mit denen ihn Kublai betraut hatte, improvisierte der erfindungsreiche Ausländer Pantomimen, die der Herscher interpretieren mußte.

Eine Stadt wurde beschrieben durch den Sprung eines Fisches, der dem Schnarbel eines Kormorans entglitt und in ein Netz fiel, eine andere Stadt durch einen nackten Mann, der ein Feuer durchschritt, ohne sich zu versengen, eine dritte durch einen Totenschädel,der zwischen seinen grünverschimmelten Zähnen eine blendendweiße Perle enthielt.

Der Groß-Khan entschlüsselte die Zeichen, doch die Beziehung zwischen diesen und den besuchten Orten blieb unklar: Er wußte nie, ob Marco ein Abenteuer wiedergeben wollte, in das er unterwegs garaten war, eine Tat des Stadtgründers, die Wahsagung eines Astrologen, ein Bildrätsel oder eine Scharade, die auf einen Namen wies.

Doch ob offenkundig oder dunkel, was Marco sagte, hatte alles Macht von Sinnbildern, die man, wenn man sie einmal gesehen hat, nicht vergessen oder verwechseln kann. In des Khans Geist spiegelte sich das Imperium als eine Wüste hinfälliger und austauschbarer Daten gleich Sandkörnern, aus denen für jede Stadt und Provinz die Figuren erstanden, die des Venezianers Logogryphen hervorriefen.

Doch jede Mitteilung über einen Ort rief dem Kaiser jene erste Geste oder jenen ersten Gegenstand ins Gedächtnis, womit Marco den Ort einmal bezeichnet hatte. Die neue Angabe enthielt von jenem Sinnbild einen Sinn und fügte zugleich einen neuen Sinn hinzu. Vielleicht ist das Imperium, dachte Kublai, nichts weiter als ein Tierkreis von Trugbildern des Geistes."