Hochschulseminar – Horror vacui
 
Themenstellung
Prof. Klaus Schäfer, Hochschule Bremen, Wintersemester 2018/2019
Das Seminar wurde mitinitiiert von den Künstlern Roy Fabian (Tel Aviv) und Elianna Renner (Bremen). Es dient als Auftakt eines Projekts im öffentlichen Raum mit dem Namen ‚Haimen‘. Eine Wortverbindung – mit konzeptionellen Hintergrund – der beiden Partnerstädte Haifa und Bremen.

Die Leere des urbanen Raumes – Ein Konzept für die Nachnutzung

10 Minuten vor dem Centre Pompidou, Nickl 1980, Bauwelt

Der öffentliche Stadtraum: Funktionstrennung oder die Nutzungstrennung lassen den Ort außer Acht, der von der Durchmischung aller Tätigkeiten lebt, als Raum der Vermittlung, der Verbindung, des Aufenthalts, der Repräsentation und der Kommunikation – der öffentliche Raum in seiner klassischen, also urbanen Ausprägung. Dieser Kreuzungspunkt aller dieser Interessen und ihrer Spiegelung im Öffentlichen ging verloren. Bestimmte Anteile des öffentlichen Raums wurden in der modernen Stadt funktionalisiert, d.h. sie wurden diesen planmäßig bestimmten Anwendungen zugeschrieben und dafür konzipiert, die aber einen anderen Gebrauch erschweren bis ausschließen (Nicht-Orte, M. Augé). So ist das Autobahnkreuz zwar kein gesellschaftlicher Treffpunkt, jedoch ist es ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Noch an der Wende zu einer gewandelten und geläuterten Betrachtung städtischer Räume, wie in der Phase der Postmoderne, wird deutlich, wie sehr der Glaube an Funktionszuweisungen auch den Gebrauch urbaner Muster bestimmt. Begriffe, wie ‚Piazza‘ werden in einen Lageplan niedergeschrieben für einen Ort, der gebaut als ausgestorbene Fläche (Beispiel Hamburg Allermöhe) erscheint. Die Eroberung des städtischen Raumes jüngst für den Radverkehr, geht einher mit einer erneuten Funktionalisierung und Separierung der Stadträume, wie etwa der Planung von Fahrradhighways.
Vernachlässigt und geradezu subtil erscheint heute die Beobachtung, dass die Verbindung zu einem Haus, also die Adresse einer Nutzung, der öffentlichen Raum ist. Dagegen wurde mit der Nutzungstrennung und dem zugehörigen Layout der Stadtplanung das Nutzungsfeld selbst zum Ort der Funktion und der Adressierung, eine Phasenverschiebung, die nicht unwesentlich ist.
Die nachhaltigste Veränderung des öffentlichen Raumes entstand jedoch durch die einseitige Auslegung als Straßenraum für den Individualverkehr über den PKW. Dabei stehen sich die Vorhaltung für den ruhenden Verkehr und die Optimierung, wie Dynamisierung der Mobilität für Kraftfahrzeuge um nichts nach. Die Erkenntnis, dass dadurch die Stadt in ihrer urbanen Qualität zerstört wurde, ist immer noch Teil eines anhaltenden Diskurses.
Miguel Naranjo (@mikinaranjo) + Anna Ponsa Lopez (@annaponsalopez) + Streetball Old Pictures

Dort wo – und das ist das Thema unseres Seminars – der öffentliche Raum von der Stadtgesellschaft zurückerobert wurde, stellt sich eine unerwartete und völlig neue Herausforderung ein: Die Stadtgesellschaft hat den Umgang mit dem offenen, zugänglichen und verfügbaren öffentlichen Raum verlernt. Der Gewinn stellt sich als ein ‚leerer Raum‘ heraus. Knapp 100 Jahre Individualverkehr haben traditionelle gemeinsame Umgangsformen mit und im öffentlichen Raum ihrer Kontinuität beraubt. Wir haben zwar noch das urbane Muster dieser Räume als Erinnerung, doch der gesellschaftliche Kern ist leider erheblich diffus geworden.
Kritisch betrachtet werden sollte eine Entwicklung, die Versucht diesen Raum zu bespielen, einen Ersatz zu schaffen für ungezielte Kommunikation, wechselnde Nutzung und Polyvalenz. Hier finden sich sehr anspruchsvolle Projekte, Konzepte der Animation von Öffentlichkeit, dekorative Elemente bis hin zur Infantilisierung des öffentlichen Raumes.
Diesen Strategien wollen wir uns zuwenden, genauso wie der Frage was den eigentlichen klassischen öffentlichen Raum auszeichnet. Einen Horror vacui gilt es als stadtkulturelle Aufgabe zu überwinden.
Der Domshof in Bremen und ein Platz in der Stadt Haifa (Israel) dient uns während des Seminars als ‚Playground‘ von Absichten und Ansprüchen, die wir im Rahmen dieses Moduls entdecken, diskutieren und übertragen werden.

Reconfigure the public space (horror vacui)
In handling with the public space in the town after the recapture from private transport (to lock out the cars) there we find often a problem of identity. The recovered public space appears as emptiness, meaningless for the society. They don’t know what to do with this and they (planning administration) start to fill the seemingly voids with artificial narration like fountains, city marketing thinks, greenery etc.
Concept of a restoration (recultivation, animation) of the public space as location and venue of the society. Examples in direction of “Speakers Corner”, simple games of a social form, rotated activities, hidden theatre, speech-making, to take an onset as simple as possible. An approach on the way of a ‘tactical urbanism’ may give different opportunities.
Weser Kurier, Foto: Frank Thomas Koch, Artikel: Domshof in der Dauerschleife, Jürgen Hinrichs (29.05.2018)

„Der leere Raum ist verdammt viel besser als so manche Materie, mit der die Natur ihn gefüllt hat.“
(Tennessee Williams, Zitiert in: Freie Räume, leere Räume – der öffentliche Raum im städtischen Strukturwandel. Marta Doehler)