Hochschulseminar – Lob der Parzelle
 
Themenstellung
Prof. Klaus Schäfer, Lehrstuhl Städtebau und Entwerfen, Hochschule Bremen, Wintersemester 2010/2011

 

"Ein wohldefinierter Ort", aus: Beziehungen, Tomás Valena, Ernst & Sohn, 1994 (links)      

Tokyo, aus: Pet Architecture Guide Book, World Photo Press, 2002 (rechts)

 

Die Parzelle ist das wichtigste Ordnungselement der Stadt, von Landschaft und Dorf im klassischen Sinne, wo diese Zuordnung so noch nachvollziehbar erscheint, aber auch von Zwischenstadt, Vorstadt, Gewerbegebiet und anderen eingehegten Nutzungen.
Während bei der ersten Gruppe die Parzelle noch produktiver Bestandteil einer ablesbaren Ordnung ist, tritt sie in der zweiten Gruppe oft negativ hervor, wird zum weitläufigen Träger des Strukturlosen. - Mit Parzelle ist das Flurstück oder Grundstück gemeint, in unserem Rechtsraum, das katasteramts eingetragene Eigentum am Boden. - Produktiv bezieht sich hier im Text auf den Zusammenhang zwischen städtischem Raum und seiner wahrnehmbaren Gestalt, also z.B. der ersten Ordnungslinie: Der Unterscheidung von öffentlich und privat als fortschreitender Prozess einer Verdeutlichung. Die Parzelle erscheint uns zunächst als eine abstrakte Einheit und doch ist sie Träger und Vermittler zwischen dem Ort und seinen Bewohnern seit der Antike. Die Parzelle bildet Besitzverhältnisse ab und ist prägendes Strukturelement der Morphologie des Stadtkörpers. Ihr Netz ist die resistenteste Schicht und doch bestimmt sie gerade in ihrer Vielzahl und ihrer Zusammensetzung die Variabilität des Stadtganzen und seiner Teile. In ihr begegnen sich individuelle und hoheitliche Ansprüche. In ihr entsteht ein Kulminationspunkt von Ästhetik und Gesellschaft. Die Architektur der stilistischen Moderne ignoriert die Grundstücksgrenzen, der Raum fließt, gehört sowieso Allen (und Niemand) und spiegelt das auch in ihrem Maßstab wieder. Das Kleinteilige erscheint hier ‚bürgerlich-spießig‘, verweigert sich dem Zugriff einer idealisierten Gleichwertigkeit der Räume. Umgekehrt ist es gerade eine fragmentierte Struktur in der Stadt, die einen ‚Selbstbildungscharakter‘ aufweist, unabhängig vom stadtplanerischen Zugriff. Zugriff und Zugriffsmöglichkeit sind aber beliebte Steuerungselemente besagter Hoheitlichkeit und ‚moderne‘ bedeutet mehr, geht weiter als horizontale Linien und große Häuser, schließt gewandelte Prozesse einer Bodenökonomie mit ein.
Das eine Modell strebt danach, den Raum frei von Besitzverhältnissen darzustellen, wo auch eine Unterscheidung öffentlich-privat anachronistisch erscheint, wo große Volumen als Objekte oder Ensemble eine emblematische Kraft aus ihrer Architektur gewinnen in einem alles umschließenden wohlgestalteten und kollektiven Freiraum.
Das andere hier vertretene (Gegen-)Modell stütz die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Eigentum und bildet das auch räumlich deutlich ab. Das Ideal ist eine möglichst vielfältige und zahlreich verteilte Parzellenstruktur, die dadurch ein breitgefächertes privates Eigentum an Stadtsubstanz und damit Verantwortlichkeit herstellen könnte.
Betrachtungsgegenstand unseres Seminars ist das kleinste Struktur-Element der Stadt. Wir werden Partei ergreifen für eine Korngröße des Identifizierbaren, als womöglich selbstbildendes Regulativ, ein Stimulans-Merkmal des Städtischen im Kreislauf des Urbanen (?).