Julia Apke, Pia Fischer, 28.11.2022
Öffentliche Räume und die sozialräumliche Orientierung von Kindern & jugendlichen
Zu Beginn ist es wichtig zu erwähnen, dass der Raum in drei Typen öffentlicher Räume unterteilt beziehungsweise differenziert wird: der öffentliche Freiraum, der öffentlich zugängliche verhäuslichte Raum und institutionalisierte Räume. Ihre Qualität wird durch die Nutzung unterschiedlicher Menschen beschrieben. Raumqualität und Raumdefinition erschließen sich also aus Benutzergruppen und deren unterschiedlichen Nutzungsweisen. Der Raum wird somit als eigene Realität erfasst. Wie nutzen Kinder und Jugendliche unterschiedliche Räume und wie entstehen verschiedene Raumqualitäten? Um dies zu erfassen und die Bedeutung dieser für Kinder und Jugendliche zu beantworten, sind theoretische Modelle erforderlich.
Abb 1: Links: Zonenmodell nach Baacke / Rechts: Inselmodell nach Zeiher
Als Beispiel werden die sozialökologischen Modelle von Baacke und Zeiher genannt. Sie stellen einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung und den Räumen von Kindern und Jugendlichen her. Das Zonenmodell nach Baacke legt bestimmte Bereiche fest, in denen Kinder und Jugendliche beeinflusst werden. Es beginnt mit dem ökologischen Zentrum, dem Nahraum, also der Nachbarschaft, den ökologischen Ausschnitten (Rollen, die Erwartungen erfüllen sollen, wie zum Beispiel Schulen, Schwimmbäder etc.) und zuletzt der ökologischen Peripherie (aus dem Alltag herausgezogene Situationen und Räume wie zum Beispiel Freizeitfahrten). Hier wird jedoch keine Möglichkeit geboten, den Handlungsraum zu erweitern.
Im Gegensatz zum Zonenmodell ist das Modell nach Zeiher in einzelne Segmente, sogenannte Inseln, aufgeteilt. Es geht von einem Stützpunkt, der Wohninsel, aus, von der aus Kinder und Jugendliche andere Räume erfahren und sich aneignen. Hier herrscht jedoch kein räumlicher Zusammenhang.
Die Soziologin Löw entwickelt diese Modelle weiter und erkennt, dass Kinder und Jugendliche keine homogene Raumvorstellung erfahren, sondern Raum als diskontinuierlich, konstituierbar und bewegt wahrnehmen. So kann ein Ort verschiedene Räume ermöglichen.
Das Konzept der sozialräumlichen Aneignung
Da jedoch beide soziologischen Modelle den öffentlichen Raum nicht erfassen und nicht als beeinflussbar und wichtig darstellen, könnte das Aneignungskonzept von Lentjes und später Holz der richtige weiterführende Weg sein, um die Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen zu verstehen. Dieses Konzept ermöglicht es, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als sozialräumliche Aneignung ihrer Lebenswelt zu begreifen. Die Entwicklung des Menschen ist eine aktive Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Die Aneignung durch Kinder und Jugendliche erweitert ihre motorischen Fähigkeiten, ihre Handlungsräume, lässt sie Situationen anders wahrnehmen und Raumbeziehungen verknüpfen, aber auch eigene Räume schaffen. Besonders der öffentliche Raum hat eine wichtige Funktion, indem er als Bühne für Aneignungsprozesse dient, die außerhalb von Institutionen wie Schulen oder Jugendarbeit stattfinden.
Förderung von Prozessen der Raumaneignung im öffentlichen Raum
Die Förderung von Prozessen der Raumaneignung im öffentlichen Raum geschieht durch sozialräumliche, aneignungs- und bildungsorientierte Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die sich für die Neuentdeckung öffentlicher Räume und die Schaffung jugendkultureller Räume einsetzt. Beispielsweise geschieht dies durch die Schaffung unterschiedlicher Gelegenheiten für verschiedene Gruppierungen im öffentlichen Raum, wie Treffmöglichkeiten, die eine Verknüpfung zwischen verschiedenen Szenen und Cliquen herstellen.
Orte der Raumaneignung als Bestandteil von Bildungslandschaften
Kinder und Jugendliche bilden sich nicht nur in Institutionen oder Schulen, sondern insbesondere im öffentlichen Raum. Schlüsselkompetenzen wie Handlungskompetenzen, Risikoabschätzung, Neugier und Offenheit werden hauptsächlich an Orten und in Räumen der Lebenswelt erworben. Die Chance, solche Kompetenzen zu entwickeln, hängt von der jeweiligen Lebenswelt und der Fähigkeit der jeweiligen Person ab, sich die Räume der Umgebung anzueignen. Um diesen Prozess zu fördern, muss der öffentliche Raum aus Sicht der Stadtplanung viel stärker als Teil der Bildungslandschaft betrachtet und entsprechend geplant werden, um formelle, non-formale und informelle Bildungsprozesse zu unterstützen.
Zusammenhänge zwischen Raumaneignung & Sozialpädagogischen Konzepten
Das Beobachten, Analysieren und Interpretieren der Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen ist eine qualitative Methode zur Ermittlung von Bedarfen für die Konzeptentwicklung und konkrete Angebote der Kinder- und Jugendarbeit. Beispielsweise wurden dadurch die Methoden des sozialräumlichen Blicks entwickelt, mit denen Mitarbeitende in der Jugendarbeit sich für die Nutzbarmachung, Rückgewinnung und Schaffung jungkultureller Räume stark machen. Die Vorgehensweise dieser Methodenentwicklung hat einen großen Mehrwert, denn sie steht im Gegensatz zu institutionellen Methoden, die stark von den Organisationen, Trägern und deren Ausstattung und Ressourcen abhängig sind.
Fazit
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Beobachtung und Interpretation von Aneignungsprozessen sowie deren Berücksichtigung in der Stadtplanung als sehr sinnvoll und umfassend empfunden werden. Es wurde jedoch festgestellt, dass in dieser Analyse die Einbeziehung von sozialen Medien als Raum ausgelassen wurde, was möglicherweise ein wichtiger Schritt sein könnte. Daher muss das Konzept kontinuierlich an die aktuelle Gesellschaft und Zeit angepasst werden.
Literaturverzeichnis
Deinet, U. (2012). Kapitel: Raumaneignung von Jugendlichen. H. Schröteler-von Brandt, T. Coelen, A. Zeising, A. Ziesche (Hrsg.), Raum für Bildung. transcript Verlag, Bielefeld.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Eigene Darstellung.