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Symposium – Aufbruch aus der Zwischenstadt
Hochschule Bremen, 2. November 2016



EINFÜHRUNG
Symposium - Aufbruch aus der Zwischenstadt                    

Die Potentiale für ein Wachstum der Städte liegen im suburbanen Raum der Städte. Hier ist das wesentliche Reservoir im Ringen um eine nachhaltige Stadtstruktur zu sehen. Denn die ‚Stadt der kurzen Wege‘ ist das Ideal einer ressourcenschonenden, engen Verknüpfung verschiedener Nutzungen und sozialer Gruppen. Allein in dieser Zielsetzung ist der Fortschritt zu einer sinnvollen Stadtgestaltung erkennbar. Jegliche neue Entwicklung steht immer im Vergleich zum Vorhandenen, dessen Reserven schon lange begrenzt sind.
Aus einer Stadtlandschaft, dessen vordergründiges Erscheinungsbild den Verbrauch von Landschaft darstellt, muss es uns gelingen, etwas Positives hervorzubringen, etwas Aufbauendes. Das bedeutet, an diesem vorstädtischen Ort etwas zu errichten, das über den Bestand hinauswächst, eine Umdeutung vollzieht im Sinne einer neuen Qualifikation des Vorgefundenen. Das Ziel dieses Aufbruchs aus der Zwischenstadt ist, der Stadt etwas Gleichwertiges gegenüber zu stellen.

Der Ort
Die projektierte Auflassung einer Galopprennbahn in Bremen bietet Anlass, nach grundsätzlichen Positionen der Stadtentwicklung zu suchen. Das Gelände von 45 Hektar liegt im typischen Weichbild einer Großstadt in gut fünf Kilometer Entfernung zum westlichen Stadtkern. Der paradigmatische Begriff einer ‚Zwischenstadt‘ für diese suburbane Lage wurde von dem Stadtplaner Tom Sieverts Mitte der 1990er geprägt. Als ein fortschrittlicher Terminus, der die Eigenständigkeit und ‚Schönheit dieser Orte‘ über ihren Nutzwert definierte, führte er auch damals schon zu Kontroversen. Mit zunehmender Abkehr von der autogerechten Stadt, der Hinwendung zur ökologischen Stadtentwicklung, aber auch der kulturellen ‚Renaissance des Städtischen‘ erscheint heute jegliche positive Konnotation dieses Begriffs ermattet.
Das Areal der Galopprennbahn wird im Norden von der Neuen Vahr, einer Modellsiedlung von Ernst May aus den 1950ern, gesäumt. Im Osten schließt ein weites Einfamilienhausgebiet an, direkt angrenzend im Südosten liegt das Mercedes-Benz-Werk von Bremen. Südlich jenseits einer vierspurigen Trasse, findet sich ein Wechsel aus Großmärkten und Kleingärten, im Westen schließt die Gartenstadt Vahr den Reigen.
Die Galopprennbahn – obwohl mit 110 Jahren die älteste vorhandene Raumfigur – erscheint, wie alle anderen Anrainer, völlig beziehungslos zur Nachbarschaft, die strukturell jeweils nur ihrer Eigenlogik folgen, gleichsam wie auf einem leeren Blatt Papier entwickelt. Die obligatorische Spurensuche mit dem Ziel, für das zu Planende an Vorhandenes anzuknüpfen oder gar natürliche Wurzeln zu finden, brächte immer nur die Artefakte menschlicher Spuren hervor, um wiederum etwas Neues zu schaffen.

Das Städtische
Eine Grundformel lässt sich definieren als: Das Zusammenführen von unterschiedlichen Menschen in ihrer Tätigkeit und ihrem Sosein (wie sie sind) auf dichtestem Raum in einer Stadtlandschaft, die fähig ist, auf wandelnde räumliche Bedürfnisse reagieren zu können.
Zur Vorrausetzung hat dies Funktionen, die nicht unbedingt sofort erkennbar sind, aber dennoch fundamentale Bedeutung haben. Mit einer Parzellierung wird eine Grundeigenschaft für die Entwicklungsfähigkeit der Stadt als ein beständiger und unabhängiger Prozess geschaffen. Eine hinreichende Parzellengröße erzeugt Maßstäblichkeit für Eigentum und damit Verantwortung, im Sinne von Identität und Identifizierbarkeit.
Mischung als unabdingbare Qualität für neue Quartiere, muss sich durch Mischung von Nutzungen und Sozialstruktur ausprägen. Bei der Nutzungsmischung geht es um die enge Verknüpfung von Arbeiten und Wohnen, genau in dieser Reihenfolge. Nach Hanna Ahrendt liegt in der Beziehung von Arbeit in ihrem Identität stiftenden Charakter und dem Dasein des Menschen innerhalb der Bürgerlichen Gesellschaft, eine existentielle Bedeutung. Eine Grundlage dieses ‚tätigen Lebens‘ sieht sie in der urbanen Verklammerung von Öffentlichem und Privatem.
Ökonomisch wird durch eine Nutzungsmischung die positive Voraussetzung für eine Stadt der kurzen Wege geschaffen. Die Mehrfachnutzung schafft erst die Frequenz im Gebrauch von Straßen und Wegen, die zu einer Qualität des Öffentlichen beitragen. Soziologisch wird so erst der Anlass zur Begegnung geschaffen. Es entsteht damit die Teilhabe an der Arbeitswelt Anderer, Kinder haben einen ganzheitlichen Zugang zur Welt der Erwachsenen.
Eine soziale Mischung findet ihren Idealzustand in einer engen Nachbarschaft unterschiedlicher Schichten und Milieus. Hierdurch werden Anteilnahme, Vorbildcharakter, sozialer Abgleich und Austausch befördert. Der Ausgleich von Gesellschaftskonflikten, als selbstverständliche Voraussetzung des Städtischen, kann somit niederschwellig erfolgen.

Siedeln als Sinnstiftung
Neben den strukturellen Grundvoraussetzungen für eine urbane Setzung ist in der Betrachtung gesellschaftlicher Rückwirkungen ein spezifischer Aspekt hervorzuheben. Soziabilität steht für die Menschenfreundlichkeit einer Ansiedlung. Im idealen Sinne wird diese Eigenschaft des Städtischen von einer ausgewogenen Mischung aus privat und öffentlich, Nähe und Distanz, persönlich und anonym befördert. Auch die Wahrung des Anonymen ist hier eine wichtige Voraussetzung. Teilaspekt hiervon ist der Umgang mit Fremden und das Lebensgefühl des Fremden – das Thema der Migration: Ankommen und eine Existenz gründen steht in einem geradezu archaischen Zusammenhang zum Städtischen und gehört zum Gründungsmythos der urbanen Gesellschaft.
Anlass, das Thema Migration aufzunehmen, ist die aktuell in bedrohliche Schieflage geratene öffentliche Diskussion, Flüchtlinge nur als Versorgungsproblem zu betrachten. Aus dem Ansatz, Migration als Chance für die Gesellschaft zu begreifen und auch als eine fortwährende Aufgabe für die Stadtentwicklung zu akzeptieren, soll ein weitereichendes Konzept entwickelt werden. Mehr noch ließe sich hier unsere Planungskultur weiterentwickeln, eine Bekräftigung finden, bisherige Gestaltungshindernisse aufzulösen.
Im Leitmotiv der ‚Arrival City‘ steckt die Erfahrung, wie Migration sich als fruchtbarer Bestandteil einer Gesellschaft erweist. Es wird aber auch ein wertvoller Aspekt der Selbständigkeit als eine strukturelle Eigenschaft von Stadt deutlich, die nicht nur für das Thema Migration Bedeutung hat, sondern über das Thema Integration noch hinausgeht. Gibt es eine Stadtstruktur, die eigenständiges Handeln hervorruft, möglich macht oder gar unterdrückt? Das betrifft nicht allein das Thema der Migration, sondern birgt eine Frage für die Stadtgesellschaft insgesamt. Diese ureigene Eigenschaft der Stadt gilt es zu diskutieren.

Die Zwischenstadt
Lässt sich die Zwischenstadt nachhaltig – nachhaltig im gesellschaftlichen und ökologischem Sinne – verändern? Die gesellschaftlichen Aspekte sind den ökologischen als Kriterien voranzustellen. Hierzu wäre eine Konsolidierung im Sinne einer städtischen Verdichtung an strategisch wichtigen Standorten sinnvoll. Im weiten Feld suburbaner Lagen ließen sich neue Kulminationspunkte in Form einer städtischen Setzung bilden, die als urbane Zentren, ähnlich den bisherigen Kernstädten, dienen. Sie sollten einen Ausgleich schaffen zum gegenwärtigen Entwicklungsdruck auf die ‚Altstädte‘. Mit der ‚Renaissance der Innenstädte‘ verbindet sich zwar eine erfreuliche Hinwendung zur ‚Stadt der kurzen Wege‘, doch diese Ressource erweist sich gerade als nur begrenzt verfügbar.
Vieles, das zur Stadt gehört, ist in der Zwischenstadt schon vorhanden. Es muss nur zusammengeführt –  gebündelt –  werden zu etwas Größerem, anerkanntermaßen, das, was in unserer Kultur mehr ist als die Summe seiner Teile: die Stadt als Artefakt, das Ergebnis eines generationenübergreifenden Prozesses (!).

Das Podium
Im Symposium werden drei der hier füreinander bedeutsamen Themen in Vorträgen herausgearbeitet und zur Diskussion gestellt:
Susanne Hauser (Ort und Identität) schafft ein Fundament und benennt die Motivlage, warum das Städtische für den Ort einer Siedlung als Kriterium und Zielsetzung dienen kann.
Andreas Feldtkeller (Französisches Viertel, Tübingen) hat als Stadtplaner ein bisher in Deutschland einmaliges Neubauviertel geschaffen, in dem eine ‚selbstverständliche‘ Mischung sozialer Art und der Nutzungen gelungen ist.
Julian Schubert, als Mitgestalter des Deutschen Pavillons, mit dem Thema Arrival Country bei der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, wird typologische Beispiele der Architektur hierzu vorstellen.
Doug Saunders wird als Autor des Buches ‚Arrival City‘, einer weltweiten Analyse des Themas Migration, von seinen Erfahrungen berichten, insbesondere über den positiven Einfluss einer auf Integration eingestellten Gesellschaft.

Organisation
Hochschule Bremen, Klaus Schäfer (Moderation), Anja Link, School of Architecture Bremen, Neustadtswall 30, 28199 Bremen

bremer shakespeare company
Neustadtswall / Schulstr. 26, Mittwoch 2. November 15 - 20 Uhr