Masterthesis – Hochschule Bremen
 
Paderborn – Das englische Viertel
Martin Bertram, August 2017
Städtebauliche Konversion eines Kasernengeländes in Paderborn

The English Quarter – Urban rearrangement of a barrack area in Paderborn (abstract)
Convenient urban living space becomes more and more scarce in German cities. Not only due to the so-called refugee crisis of recent years, but also an increased urbanization rate within the country puts the housing market under great pressure and the options of recompaction in downtown areas show their limits. The suburbs or the suburban zone comes closer to focus for this reason. The suburbs are generally considered to be an extension of the city, an area with more resembling settlement structures than urban neighbourhoods, but they still have a high potential for a re-densification or „re-urbanization“. This master thesis examines this potential and tests it on living arrangements, typologies and density using an example. In general, it is about an urban design on a typical border between pre- and core city, which dissolves the structures of the suburb in no way, but this should move into a more urban context, especially with regards to the dense and mixed use.
The example to be worked on is located in the city of Paderborn in the east of North Rhine-Westphalia, which already originated as a craft settlement in the earliest Middle Ages. The founding of the diocese of the same name and the construction of the cathedral’s predecessor church around the year 800 brought a flourishing and even today Christian history shapes the image of the city. During the Second World War, the city was subjected to heavy bombing and finally conquered by the American forces. In the post-war period, and especially during the Cold War, the city was garrisoned by a British armoured brigade and was generally a major base of British troops, many of which bear witness to barracks. After the reunification, most British troops left the city. Since these are to be completely withdrawn from Germany by the end of the 2010s, many large barracks areas are already empty or in the near future in Paderborn.
One of these barracks area is located in the east of the city at a street called Berlin Ring. British Troops are still stationed here, whose withdrawal is expected in the next few years. The area is located on a border where the city noticeably changes its structure and has a reasonable size (54 hectares) to develop and test new concepts of this „intermediate city“.
In this master thesis, typologies are developed, which are based on horizontal densification forms, which have to transport the character of the suburbs just as the hoped for re-urbanization. Especially former barracks as conversion areas lend themselves to such theses. In the end, the result of the work should also create a new, more fluid form of transition from urban to suburban structures.

Eingang in das Quartier


Einleitung

In den deutschen Städten wird günstiger und urbaner Wohnraum immer knapper. Nicht nur durch die sogenannte Flüchtlingskrise der letzten Jahre, auch eine erhöhte Urbanisierungsrate innerhalb des Landes setzt den Wohnungsmarkt unter großen Druck und die Nachverdichtungsmöglichkeiten der Innenstadt zeigen ihre Grenzen auf. Aus diesem Grund rückt die Vorstadt, die suburbane Zone näher in den Fokus. Diese wird im Allgemeinen als Ausläufer der Stadt betrachtet, als ein Gebiet, welches eher Siedlungsstrukturen ähnelt als urbanen Quartieren, besitzt aber dennoch ein hohes Potenzial der Nachverdichtung oder „Reurbanisierung“. In dieser Masterthesis wird dieses Potenzial untersucht und auf Wohnformen, Typologien und Dichte anhand eines Beispiels getestet. Im Allgemeinen geht es um einen städtebaulichen Entwurf an einer typischen Grenze zwischen Vor- und Kernstadt, welcher keinesfalls die Strukturen der Vorstadt auflösen, diese aber in einen urbaneren Kontext vor allem bezüglich der Dichte und Nutzungsmischung rücken soll.
Das zu bearbeitende Beispiel befindet sich in der Stadt Paderborn im Osten von Nordrhein-Westfalen welche bereits im frühesten Mittelalter als Handwerkssiedlung ihren Ursprung nahm. Die Gründung des gleichnamigen Bistums und der Bau der Vorgängerkirche des Doms um das Jahr 800 führte zum Erblühen einer Gemeinde und auch heute noch prägt die christliche Geschichte das Bild der Stadt. Im zweiten Weltkrieg wurde die Stadt starken Bombardements ausgesetzt und schlussendlich von den amerikanischen Streitkräften erobert. In der Nachkriegszeit und vor allem auch während des kalten Krieges war die Stadt Garnison einer britischen Panzerbrigade und generell ein großer Stützpunkt der britischen Truppen, wovon viele Kasernen zeugen. Nach der Zeit der Wiedervereinigung zogen die meisten britischen Truppen aus der Stadt ab. Da diese bis Ende der 2010er Jahre vollständig aus Deutschland abziehen sollen, stehen gerade in Paderborn viele große Kasernengelände bereits oder in nächster Zeit leer.
Ein solches Kasernengelände befindet sich im Osten der Stadt am sogenannten Berliner Ring. Hier sind noch britische Truppen stationiert, deren Abzug in den nächsten Jahren erwartet wird. Das Gebiet befindet sich an einer Grenze, an welcher die Stadt merklich ihre Struktur wechselt und verfügt über eine angemessene Größe (54 Hektar) um neue Konzepte dieser „Zwischenstadt“ zu erarbeiten und erproben.

Ableitung eines Raummodels

Analyse

Konzept

In dieser Masterthesis werden Typologien entwickelt, die sich an horizontalen Verdichtungsformen orientieren, welche den Charakter der Vorstadt genauso transportieren sollen, wie die erhoffte Reurbanisierung. Gerade ehemalige Kasernen als Konversionsflächen bieten sich für derartige Thesen an. Am Ende soll das Arbeitsergebnis auch eine neue, fließendere Form des Übergangs von innerstädtischen zu vorstädtischen Strukturen erzeugen.
Um das Kasernengelände in einen urbanen Kontext zu rücken, werden verschiedene Referenz-projekte und hypothetische Überlegungen zu Rate gezogen. Da es die Verbindung zur Kernstadt bereits durch die Driburger Straße gibt, ist es kaum nötig den umliegenden Bestand in Betracht zu ziehen. Diese Schlussfolgerung ergibt sich auch aus den theoretischen Möglichkeiten zur Reurbanisierung. Zu diesem Thema wurden zwei Möglichkeiten erkannt und skizziert. Die erste beinhaltet die Verdichtung der vorstädtischen Strukturen aus dem Kern heraus, was allerdings einen langwierigen und komplexen Prozess beinhaltet da diese Form der Nachverdichtung nur von einem Zentrum ausgeht und man davon ausgehen kann, dass der Prozess aufgrund des durch die Entfernung verschuldeten schwachen Bezuges irgendwann beginnt zu stocken. Die zweite Möglichkeit sieht die Erstellung von Subzentren in den Rändern der Stadt vor, die eine andere Qualität und eine andere Bedeutung für die Stadt haben als der Kern selbst. Durch dieses Konzept könnte sich eine Spannung im vorstädtischen Zwischenraum ergeben, die schlussendlich zur selbstständigen Nachverdichtung des Raumes führt. Schlussendlich sind beide Möglichkeiten rein hypothetischer Natur, wobei die Form des Subzentrums bereits in Tübingen anhand des „französischen Viertels“ erprobt wurde. Bei diesem Beispiel zeigt sich tatsächlich der Ansatz einer Nachverdichtung im Zwischenraum.
Der Entwurf sieht als Folge dieser ersten konzeptionellen Überlegungen also keine Anpassung an den umliegenden vorstädtischen Kontext vor, sondern die Erstellung eines eigenständigen urbanen Stadtteils. Durch die Struktur eines Kasernengeländes liegen dafür bereits große Potenziale aufgrund der Einteilung des Gebietes durch den Bestand sowie deren Umnutzungsmöglichkeiten vor. Das Gebiet selbst ist in drei Abschnitte unterteilt. Im südlichen Bereich befinden sich die Mannschaftsunterkünfte und Versorgungseinrichtungen, im mittleren Werkstatt- und Fahrzeughallen und im Norden Lagerflächen sowie soziale und sportliche genutzte Flächen. Der Bestand wird weitestgehend erhalten, bis auf ausgewählte Fahrzeughallen und Werkstätten im mittleren Bereich und einige kleinere Schuppen und Abstellgebäude im Norden. Die Straßenführung auf dem Gelände wird ebenfalls weitestgehend erhalten und mit den umliegenden Straßen und Ge-bieten vernetzt. Strukturell wird das Gebiet mit einer Blockrandbebauung bespielt, in welcher der Bestand eingebunden wird.

Da das Gebiet zukunftsorientiert als „autofreier“ Stadtteil begriffen wird, unterteilt sich das Netz in hierarchische Strukturen, es wird also in Gassen, eingeschränkt befahrbare, und Hauptachsen unterteilt. Diese Hierarchisierung findet sich auch in der Höhenentwicklung der Gebäude und in deren Typologie wieder. In den Gassen und eingeschränkt befahrbaren Achsen werden reine Wohngebäude in einer Reihenhaustypologie vorgesehen, während die Eckbebauung und die Reihen an den Hauptachsen in Geschosswohnungsbauten mit einer gewerblichen Erdgeschoss-nutzung ausgeführt wird. Die Höhen variieren je nachdem welche Bestandsgebäude in den Block integriert sind zwischen zwei und fünf Geschossen. Eine Besonderheit stellt der mittlere Teil des Gebietes dar. Die alten Werkstatt- und Fahrzeughallen verfügen zurzeit über einen großzügig angelegten Zwischenraum für Anlieferung und Rangierflächen. Dieser Zwischenraum wird zu einem halböffentlichen Raum, welcher sich wie die Bestandsgebäude in den neu angelegten Block-rand hineinzieht. Die Bestandsgebäude werden entweder zu gewerblichen Zwecken umgenutzt oder in ihrer eigentlichen Nutzung als Werkstatt für handwerkliche Betriebe belassen. Die Mannschaftsunterkünfte im Süden werden einer Wohnnutzung zugeführt, die über einen Wohnheimcharakter verfügen oder aber zu einem Bürohaus umgenutzt. Die eingeschossigen Bauten zwischen den Mannschaftsunterkünften werden als Gemeinschaftsräume von den beiden begrenzenden Wohnheimen genutzt. Die Grünflächen im Bestand behalten ihre öffentliche Funktion und erhalten eine sportliche Nutzung. Der Platz im Zentrum des Bestandes stellt sich nun als Quartiersplatz mit einem großflächigen Restaurant im südlichen Bestandsgebäude dar.
Im nördlichen Bereich werden die Bestandsgebäude ebenfalls einer gewerblichen Nutzung zu-geführt. Die Gebäude mit einer soziokulturellen und einer sportlichen Nutzung behalten ihren Zweck auch im neuen Quartier. Zudem wird ein großes Bestandsgebäude, welches vorher als Panzerhalle genutzt wurde, zu einer Quartiersgarage umgestaltet. Im nördlichen Bereich findet außer-dem eine stärkere Frequentierung des öffentlichen Raumes statt, wobei der wichtigste an der alten Kirche gelegen ist, welcher die Nutzung eines Marktplatzes einnimmt.
Das Thema der Stellplätze löst sich durch die Verteilung von zwei neuen Quartiersgaragen und dem oben genannten Bestandsgebäude, sowie durch die Verteilung von Flächen entlang der Straßen. Zusätzlich ergibt sich in den Geschosswohnungsbauten eine Durchfahrt, welche das Parken auf der Parzelle im Hinterhof ermöglicht.

Rahmenplan M.: 1:1000


Vertiefung M.: 1:500


Die Vertiefung des Quartiers beinhaltet einen Ausschnitt, in welchem die drei Bereiche dargestellt sind. Er behandelt im groben jeweils einen markanten oder komplexeren öffentlichen Raum in dem jeweiligen Bereich. Im Norden wird neben dem wichtigen Marktplatz an der Kirche auch die Anbindung an die nördliche Vorstadt, beziehungsweise die Gegenüberstellung der beiden unterschiedlichen Strukturen abgebildet. Im mittleren Bereich untersucht die Vertiefung einen der halböffentlichen Räume innerhalb des Blockrands, während im südlichen Bereich die Neu-nutzung der ehemaligen Grünfläche inklusive der Umnutzung der Mannschaftsunterkünfte näher betrachtet wird.

Längsschnitt

Querschnitt

Marktplatz

Im Bereich der ehemaligen Kasernen

Beispiel eines Innenhofes

In der Vertiefung soll die Stadt einen sehr individuellen und kleinmaßstäblicheren sowie zeitlosen Charakter erhalten. Aus diesem Grund spielen die klassischen englischen Reihenhäuser oder auch „Terrace Houses“ genannt eine große Rolle als Referenz. Diese Häuser zeichnen sich durch eine detaillierte Gestaltung für den Eingang und auch für das Dach aus. Um das Gebiet auf unter-schiedlichste Weise zu gestalten, wurden insgesamt sechs Reihenhaustypen entworfen, die sich in der Ausbildung der Kubatur, des Daches, des Eingangs und der Geschossigkeit unterscheiden. Die Gleichmäßigkeit eines Blockrandes wird dennoch bewahrt, durch den durchgehenden Einsatz eines Typen in einer Reihe. Trotz allem wird durch die Achsspiegelung eines Hauses die Individualität des Straßenraumes sowie der Parzelle bewahrt.

Haustypologien Reihenhäuser



Zusätzlich beinhaltet der Entwurf die Ausbildung der Geschosswohnungsbauten, die sich dem englischen Reihenhaustypen anpassen. Die Reihenhäuser wurden unter dem Aspekt der Flexibilität in der Nutzung als Einfamilienhaus oder als Geschosswohnung geplant. So wurde im Grund-riss nachgewiesen, dass sich durch schnelle Eingriffe die jeweilige Nutzung ändern lässt. Am Ende ergeben sich in den Wohntypen eine Vielzahl an unterschiedlichen Nutzungsgruppen im Hinblick auf die soziale und gesellschaftliche Mischung.

Geschosswohnungsbau



Modell M.: 1:500

Modell M.: 1:1000

Die Arbeit wurde beim BDA Studienpreis Bremen 2017 mit dem 3. Preis ausgezeichnet.