Hochschulseminar – Wer hat Angst vor dem Zufall?
 
Interview mit Uwe Bodemann 
Aline Gonsior, Fee Kreuzgrabe, Christina Kuzniak, Pauline Lang, Desiree Spahn, Stina Strangmann, Vivien Teske, Jule Viets, 20.02.2018
Uwe Bodemann wurde am 27. September 2007 vom Rat der Landeshauptstadt Hannover zum Stadtbaurat gewählt.
Seit dem 1. Januar 2008 leitet er als Stadtbaurat das Baudezernat.
Am 12. März 2015 erfolgte die Wiederwahl für eine weitere Amtszeit.

Ist der Zufall für Sie mehr ein positives oder ein negatives Ereignis im Zusammenhang mit der Planung?

Das kommt immer darauf an, wie man das Ergebnis bewertet. Es gibt Zufälle, die sich im Planungs- und Bauprozess ereignen, bei denen man sich sagt, da ist etwas passiert, daran haben wir gar nicht gedacht und wenn das dann zu einem guten Gesamtergebnis führt, dann können Zufälle die Planung auch beflügeln. Dumm ist, wenn man so viele Spielräume in der Planung lässt oder gar keine Planung macht, dass im Grunde die Stadt oder räumliche Situationen aus einer Addition von Zufällen entstehen. Dann kann der Zufall auch nicht so gut sein.

In wie weit spielt der Zufall in Ihrer beruflichen Arbeit eine Rolle?

Oh das ist eine sehr allgemeine Frage.
Es gibt manchmal Zufälle - wenn man die so beschrieben kann - wo man auf Entwicklungen im Stadtbereich gestoßen wird, mit denen man gar nicht gerechnet hat. Wir hatten das jetzt zum Beispiel an einer Stelle, wo ich zum Beispiel gar nicht gedacht hätte, dass sich dort Veränderungen ergeben können. Das ist dann eher auf meiner und auf der Seite der Stadt ein Zufall, auf den man dann reagieren muss. Da gibt es ein Grundstück hier in der Innenstadt von Hannover, da ist ein knapp 2 Hektar großes Grundstück, wo bereits seit den 60er Jahren eine Büronutzung vorhanden ist. Diese Nutzung wird dort durch Willen des Eigentümers verschwinden. Der Eigentümer ist ein öffentliches Unternehmen, das sich dort zurück ziehen will und deshalb wird dieses Grundstück jetzt verkauft.
Das hatten wir so nicht im Blick und mussten auf den sich ergebenen Zufall mit Planung reagieren. Insofern gibt es immer das Überraschungsmoment in der Stadt, welches das Ganze ja auch so spannend macht. Es ist nicht immer alles ein Ergebnis von Planung.
Es gibt auch andere Zufallsgeschichten, wo man die Situation als Zufall bezeichnen könnte, wo wir uns als Planer zunächst einmal zurück halten müssen. Wir hatten zum Beispiel in diesem Jahr ein großes Beteiligungsverfahren für einen großen Platz in der Stadt. Ursprünglich war der Gedanke diesen baulich zu besetzten. Es waren zwei Hochbauten geplant, die aber von der Öffentlichkeit dort nicht gewollt waren. Daraufhin kam der Auftrag vom Parlament, hier ein großes Bürgerbeteiligungsverfahren zu machen. […]
Da dieses Bauvorhaben an dieser Stelle eine so große Diskussion ausgelöst hat, haben wir uns dazu entschieden diesen Platz lediglich als Platzfläche umzugestalten. […]
Ich weiß nicht ob man diese Situation als Zufall bezeichnen kann, aber es ist ein Ereignis, welches nicht direkt von uns als Planer in die Diskussion geführt wird sondern durch die Öffentlichkeit. […]
Hier wird das Ergebnis eher eines sein, bei dem wir eher reagieren als agieren. Das ist natürlich etwas entfernter von einem Zufallsereignis aber es ist der Zufall einer Idee ganz anderer Art; ein von außen an uns herangetragenes Planungsergebnis. Das erleben wir immer wieder. Aber nicht nur wir sondern viele Planende in Städten der heutigen Zeit. Man wird veranlasst seine Planung umzustellen. Ich weiß nicht ob man das als Zufall bezeichnet. Zufall ist ja etwas Plötzliches. Ein Plötzliches Auftauchengibt es in der Stadtentwicklung fast gar nicht. Es sind dann eher ungeplante Dinge, die man als Zufall bezeichnen könnte. […]
Ich habe mir angewöhnt bei so einer Situation eher von „Einbezug der Öffentlichkeit“ zu sprechen, denn das ist etwas ehrlicher. Das Wort „Bürgerbeteiligung“ suggeriert, wir sitzen hier alle zusammen an einem Tisch und jede Vorstellung wird berücksichtigt. […]
Schlussendlich entscheidet immer die Politik. Dafür ist sie ja auch da.

Bereiche die positiv oder negativ von der Planung beeinflusst werden?

[…] Bei dem Beispiel der Wasserstadt Limmer hat sich der Städtebau durch eine Bürgerbeteiligung grundlegend verändert. Wir haben nicht genau das umgesetzt was dort am Tisch geskribblet wurde, sondern wir haben gespürt was dort gewollt war und haben das interpretiert und versucht das in gute Pläne umzusetzen. Diese Planung wäre nie so geworden, wenn es diese Bürgerbeteiligung nicht gegeben hätte. […]
Viele haben dann gemeint, dass der Plan besser geworden ist. Er hat sich total verändert. […]
Das ist ein positives Ergebnis des Einbezugs der Öffentlichkeit.

Gibt es für Sie eine Ästhetik des Zufalls oder der freien Komposition?

Das würde ich auf jeden Fall mit Ja beantworten. Ästhetik ist eine sehr allgemeine Kategorie. […]
Die Ästhetik allein unterliegt noch keiner Bewertung. Es gibt auf jeden Fall auch eine Ästhetik des Chaos. […]
Zufallsästhetik hat für mich durchaus auch eine Berechtigung.

Was ist aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen Komposition, Zufall und Assoziation bei der planerischen Tätigkeit oder im planerischen Prozess?

[…] Komposition und Zufall kann man antithetisch sehen, sie gehören aber zur selben Kategorie der bildnerischen Darstellung. Assoziation ist eher etwas, wo man sagt, ich stelle etwas her und das hat etwas narratives oder das soll etwas erinnerliches in den Menschen hervorrufen, die das Objekt betrachten. Bei der Komposition und dem Zufall ist es abstrakter. In der Methodik ist die Komposition etwas sehr stark gewolltes und beim Zufall könnte vor allem das Moment der Spontanität eine große Rolle spielen. […] Alles drei kommt eher beim Entwerfen zum Tragen. […]
Manchmal kommt es vor, dass ein Ereignis, welches ich in naher Vergangenheit hatte, Einfluss auf meinen Entwurf nimmt und einen Gedanken hervorbringt, der mir nicht gekommen wäre, wenn ich dieses Erleben vorher zufällig nicht gehabt hätte. […]
Wobei die konservativen Entwerfer, zu denen ich mich zähle, eher kompositorisch arbeiten würden. […]
Bei der Assoziation ist es glaube ich eher intendierter. Ich möchte dass meine Backsteinarchitektur zum Beispiel an Siedlungsbau von Fritz Höger erinnert.