Hochschulseminar – Wer hat Angst vor dem Zufall?
 
Interview mit Andreas Feldtkeller
Johannes Eckhardt, Andreas Grizener, Fiona Hatje, Nicolai Hüsing, Jan Henning Laaser, Denise Schneider, Jessica Siegmann, Dennis Witte, Othman Zainab, 24.08.2018


Bildquelle: persönliches Treffen am 22.01.2018 in Stuttgart, v.l. Denise Schneider, Andreas Feldtkeller, Jessica Siegmann

Andreas Feldtkeller (*28. September 1932 in Berlin-Charlottenburg) ist ein deutscher Architekt und Stadtplaner.Von 1972 bis 1997 war Herr Feldtkeller Leiter des Stadtsanierungsamtes Tübingen. Seit 1997 ist er als freiberuflicher Stadtplaner tätig.


Interview mit Herrn Andreas Feldtkeller


1. Ist der Zufall für Sie mehr ein negatives Ereignis im Zusammenhang mit der Planung oder ein positives?


Meiner Erfahrung nach ist der Zufall sogar ein ganz wichtiges Element in der Stadtplanung. Vor 25 Jahren habe ich das Französische Viertel in Tübingen geplant und bereits früh festgestellt, dass eine angestrebte Nutzungsmischung überhaupt nur mit dem Zufall funktionieren kann.
So spielen neben den privaten als auch gemeinnützigen Wohnungsbauträgern, die Menschen, die in dem Quartier wohnen wollen, und Betriebe, die sich in dem Gebiet ansiedeln wollen, eine große Rolle in der Entwicklung der Nutzungsmischung.
Bei diesem Projekt gab es zum Beispiel mehr Anwohner, die sich bei dem Bau der Wohnungen selbst beteiligten und auch für die Erdgeschossnutzung der Gebäude die Betriebe selber suchten und somit ansprachen.
Dadurch entstand eine individuelle, ungeplante, also überwiegend zufällige Nutzungsdurchmischung, durch die also der Zufall zu einer ganz wesentlichen Planungskategorie für uns geworden ist.

Das Französische Viertel ist ein Stadtteil der Universitätsstadt Tübingen. Er liegt südöstlich der Innenstadt. Das Viertel auf dem Areal der früheren Loretto-Kaserne wird entsprechend Loretto genannt. Im Französischen Viertel wohnen über 2000 Menschen unterschiedlicher Herkunft. Neben Studenten in den großen Wohnheimen, den sechs ehemaligen Mannschaftsgebäuden der Kaserne, haben junge Familien sich eine Wohnung gekauft oder wohnen zur Miete, Selbstständige und Künstler wohnen und arbeiten vor Ort.


2. In wie weit spielt der Zufall in ihrer beruflichen Arbeit eine Rolle?


Ich gehöre eher zum „alten Eisen“ und bin selber nur noch von Zeit zu Zeit in meiner Funktion als Stadtplaner tätig. Jedoch hat der Zufall in meiner gesamten beruflichen Laufbahn eine doch eher große Rolle gespielt.
Bereits das Finden einer Anstellung oder eines Auftrages ist sehr stark mit dem Zufall verbunden. Man kann sich natürlich ganz gezielt auf die Suche begeben und in Wunschbüros anrufen, aber ob man dann eine Möglichkeit angeboten bekommt oder welche Möglichkeiten sich anbieten, ist immer eine Mischung aus „zufällig finden und gezielt suchen“.

 

2a. Wenn ja, welche Eigenschaften werden dadurch gefördert und welche möglicherweise unterdrückt?


In der Regel macht man sich einen genauen Plan, der „abgearbeitet“ wird. Das Ergebnis ist anschließend ein sauber durchdachtes Konzept.
Bei dem Französischen Viertel war es ebenfalls so: Wir haben damals dem Gemeinderat von Tübingen unser Konzept vorgestellt und gesagt: „Das wollen wir erreichen.“. Im Grunde waren dies Nutzungsmischung und Kleinräumigkeit. Der Gemeinderat hatte das Konzept zwar abgesegnet und wir hatten erwartet, dass es in Tübingen Bauträger gäbe, die das Konzept mit uns umsetzen. Allerdings mussten wir dann feststellen, dass dies nicht der Fall war und das Projekt auch gar nicht so einfach umzusetzen schien.
Nach einer gewissen Zeit bildeten sich jedoch Gruppen, die sich in der Öffentlichkeitsarbeit engagierten. Es meldeten sich Architekten, die sagten: „Wir hatten ein großes Projekt in Stammheim mit Baugruppen, bei dem wir ein ähnliches Konzept verwirklichen wollten, welches sich leider zerschlagen hat. Wir fänden es toll, wenn wir es hier machen könnten.“
Anschließend hatten sich Arbeitsgruppen geschlossen, die sich um das Thema der Nutzungsmischung kümmerten, sich engagierten und zu Diskussionen und Beiträgen aus den Gemeinden anregten. Das sind Situationen und Ereignisse, die niemand planen oder erfinden kann.
Man muss den Zufall ergreifen und nicht sich selbst überlassen. Es ist immer eine Mischung aus Zufall und eigener Kreativität.
Zu erkennen also, dass Kreativität eben auch mit dem Zufall zusammenhängt, dass man sich sozusagen auch auf den Zufall verlassen kann, obwohl er zufällig ist, das lernt man dabei!


3. Gibt es für Sie eine Ästhetik des Zufalls oder der freien Komposition?

Ich würde sagen, dass dies eine Kombination aus zwei Dingen ist. Man darf nicht zulassen, dass man alles dem Zufall überlassen dürfe und hieraus sich auf jeden Fall etwas ästhetisch Interessantes entwickle.
Beim Französischen Viertel ist interessant für mich gewesen, dass hier eine so große Vielfalt entstanden ist. Die Architekten mussten sich zwar an einen Rahmenplan halten, aber die Architektur haben sie mit ihrer eigenen Vorstellung gemacht. Dies führte zu einer großen, ästhetischen Vielfalt in diesem Quartier, was auch heute (nach zwanzig Jahren) noch so ist.
Wenn man sich ansieht, was heute in den Städten gebaut wird – man muss als Beispiel nur am Düsseldorfer Bahnhof vorbeifahren – erkennt man eine Monotonie, eine Ansammlung von überall gleichen weißen Klötzen mit ausgeschnittenen Rechtecken, die keine Individualität aufweisen, wodurch eine Vielfalt und Kreativität verloren geht, welche man eigentlich wünscht. 
Auf der anderen Seite ist es sicher so, dass gestalterische und kreative Anregungen nicht alleine mit dem Zufall kommen.
Wir haben gestern in Tübingen den Neujahrsempfang von der Architektenkammer gehabt. Dieses findet immer in einem Kino statt. Hier haben wir einen Film gesehen, der „Kathedralen der Kultur“ hieß. (Der muss vor drei oder vier Jahren auf der Berlinale oder irgendwo gezeigt worden sein.) Es kommen Filmregisseure, die große Projekte erläutern und vorführen. Das fängt bei der Philharmonie in Berlin an, geht über das Gefängnis in Norwegen, eine alte Bibliothek – ich weiß gar nicht mehr, wo die war – zu dem Opernhaus in Oslo und anschließend zum Salk Institut von Louis Kahn. Alles ganz tolle Projekte, bei denen man nicht davon ausgeht, dass diese per Zufall gefunden werden, sondern die durch ein Wettbewerbsverfahren ausgesucht werden.
Wobei man bedenken muss, dass ein Wettbewerb ja auch etwas Zufälliges ist, weil man es ausschreibt. Wer sich dann bewirbt oder wer da einfach mitmachen kann, das ist der reine Zufall.
Das Preisgericht ist ebenfalls durch Zufall zusammengesetzt. Wir haben damals beim Wettbewerb für das Französische Viertel Studenten zugelassen – das gibt es normalerweise auch nicht – und dadurch kommt auch noch ein Zufall rein. Den ersten Preis haben damals die Studenten gewonnen und eben nicht die arrivierten Architekten. Also wenn man sich das zusammenaddiert, dann ist es etwa 70% Zufall, wobei die anderen 30% auch unheimlich wichtig sind. Es reicht nicht zu sagen, dass der Zufall es zulässt, sondern eine große Rolle spielt. Man muss ihn dann ergreifen – was auch immer da angeboten wird – das ist wichtig.
Man muss für sich wissen, was man will, wie das gestalterische, seelische; das spielt natürlich auch eine Rolle. Am Anfang hat man uns immer gesagt „Was ihr da bauen lasst, ist ein furchtbares Tohuwabohu. Das ist ja grauenhaft.“
Heute sagen viele Leute „das ist eigentlich das einzig richtige“. Solche Meinungen ändern sich natürlich auch. Was sich in der Zeit ändert, in der Mentalität, in der Anschauung, das kann man auch nicht vorher wissen; das ist oft auch so, wie sich ein Gebiet im Laufe der Zeit ändert. Von Häusermann gibt es eine Aussage, dass Sozialhilfeempfänger, die auf Unterstützung angewiesen sind, am besten in den letzten 50 Jahren mit ihren Problemen zurechtgekommen sind, wenn sie in älteren, gemischten Quartieren was finden konnten, welche eigentlich schon abgewirtschaftet waren. Hier kann man auch sehen, dass die Zeit auch mehr oder weniger per Zufall an einem Quartier arbeitet und es auch sozial eine gewisse Bedeutung hat, die aber auch nicht geplant ist.
Heute gibt es viele Leute, die nur das Wohnen interessiert.– jetzt kommt das Thema „bezahlbares Wohnen“ und „soziale Mischung“– so wie es gemacht wird bei irgendwelchen Bauträgern, bei denen 30% Sozialwohnungen sein müssen und diese dann überlegen, wo sie es hin packen. Da kommt was ganz anderes raus, als wenn man die Leute selber suchen lässt, und die dann sagen, „jetzt müssen wir gucken, wo wir eine alte Kiste finden, wo wir selber noch ein bisschen was investieren können“. Hier kann daraus eine Mischung entstehen, die gewachsen und nicht geplant ist.
Bei dem Thema „etwas wachsen lassen und die Unwägbarkeiten beim Wachsen mit einkalkulieren“ ändert sich im Laufe der Zeit etwas, wo es wichtig ist zu beobachten, was der Zufall in der Vergangenheit gemacht hat.

3a. Was ist aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen Komposition, Zufall und Assoziation bei der planerischen Tätigkeit oder im planerischen Prozess?

Das sind Sachen, die alle ein bisschen was Ähnliches haben. Der Zufall spielt eigentlich bei allen drei Dingen eine Rolle.
Bei der Komposition muss man ausprobieren. Was gibt es für Möglichkeiten? Stößt man auf Probleme? Entwickeln sich Lösungen, bei denen man eine Chance für Entwicklungen sieht?
Es gibt sicher Künstler, die behaupten, dass sie kein Problem haben und sie keinen Zufall bräuchten, da sie wissen, wie es gehe. Bei Architekten ist es oft auch so.
Bei größeren oder bekannteren Planungsbüros setzt der Zufall im planerischen Prozess schon bei den Mitarbeitern ein. Ja, sie sind ausgesucht und bei der Wahl der Mitarbeiter stellt man sich auch immer die Frage, ob er oder sie dem Büro auch in fünf Jahren es bringt. Jedoch ist das etwas, was man nur schwer vorkalkulieren kann, weil man auch nie weiß, wie er bzw. sie sich innerhalb der nächsten fünf Jahre entwickelt.
Assoziation ist immer etwas, das einem einfällt: ein Gedanke oder eine Idee. Aber auch hier spielt der Zufall eine große Rolle. Eine Idee, also das „einfallen lassen“ und der Zufall hängen eng zusammen.
Ich finde das Planen, wenn es sinnvoll ist, hängt mit diesen drei Sachen zusammen: Komposition, Assoziation und Zufall. Erst kommt der Zufall, dann die Assoziation. Womit assoziierst du das, was auf dich zukommt, und wird daraus eine Komposition?

4. Worin/Woraus bestehen in unserer Arbeit als Architekten die Anteile, die in ihrer Nutzung nicht festgelegt sind, also offenbleiben können? Oder woraus könnten Sie bestehen? Welche Spielräume sehen Sie hier für sich in Ihrer Planungsarbeit?

Unsere Gesellschaft hat sich im Lauf der zurückliegenden Jahrzehnte daran gewöhnt, dass nahezu alle Gebiete, die in der Stadt oder der umgebenden Agglomeration zur Neubesiedlung oder Neuordnung heranstehen, jeweils auf einen ganz bestimmten, relativ eng eingegrenzten Zweck (etwa Wohnen oder Gewerbe oder Büros und Geschäfte, oder Sport usw.) zugeschnitten werden. Orte, die in der Nutzung offen sind, z.B. für eine dichtes und auf kurze Wege eingestelltes Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten, gibt es inzwischen fast nirgendwo mehr. Leute, die so etwas für ihr eigenes Leben, Wohnen und Wirtschaften suchen, hätten wahrscheinlich auch kaum eine Chance, in ihrem politischen Umfeld die Planung für ein derartiges Quartier mit Erfolg anzuregen und durchzusetzen.
Durch Zufall passiert so etwas sowieso nicht. Und allgemein anerkannte Planungsrichtlinien, auf die man dabei zurückgreifen kann, stehen kaum zur Verfügung.  Nicht einmal der Anteil unter der Bevölkerung, die dafür zu gewinnen wären, sind je von einem Marktforschungsinstitut ermittelt worden. In Klammern: immerhin hat die Zeitschrift STERN vor etwa 15 Jahren versucht, so etwas mit Hilfe eines animierenden Artikels und einer Leserumfrage zu ermitteln mit dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte der Umfrageteilnehmer sich so etwas vorstellen könnten „wenn die Bedingungen stimmen“.
Bei der hier angeschnittenen Thematik geht es um zwei Fragen, die man deutlich unterscheiden muss. Einerseits: Was kann das (gesellschaftliche) Ziel von Stadtvierteln sein, die nicht einem eng begrenzten Zweck zugeordnet werden, sondern aus einer mehr oder weniger zufälligen Mischung vor allem aus Wohnen und Arbeiten bestehen? Zum anderen: Wie wären solche Quartiere im städtischen Gefüge einzuordnen, wenn es darum geht, sie zu den Gebieten ins Verhältnis zu setzen, die sich nach der Regel der funktionalen Zonierung und Spezialisierung ausrichten?
Zur ersten Frage hat sich schon in den 1960er Jahren Jane Jacobs relativ eindeutig geäußert:  Nach ihr gehört Diversität d.h. die Unterschiedlichkeit der Teile, aus denen sich Städte und Stadtquartiere zusammensetzen, einfach zur Natur richtiger Städte. Das heißt weiter, durch Diversität geprägte Viertel dürfen nicht fehlen, wo Städte, Stadtregionen oder Stadtquartiere ihre eigentliche gesellschaftliche Aufgabe effizient wahrnehmen wollen. Und diese Aufgabe ist, Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Identität, unterschiedlicher Fähigkeiten als „Fremde“ im Raum der Stadt zusammenzubringen.
Als Planer müssen wir fragen, ob wir uns eigentlich ausreichend mit dieser Thematik auseinandersetzen; etwa mit der Frage, was vielfältig gemischt zusammengesetzte Orte für die Teilhabe der Menschen an der Arbeitswelt, für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder die Integration Zugewanderter leisten bzw. leisten können?
Dazu hat sich die damalige Bundesregierung 1996 in einem Nationalbericht zur Konferenz HABITAT II wie folgt geäußert: „ Auf städtischer Ebene wird erwartet, dass Mischung verkehrsmindernde, energie- und flächensparende Stadt- und Siedlungsstrukturen ermöglicht; eine eher kleinräumige Nutzungsmischung (...) kann die Voraussetzungen (...) zur Förderung eines Quartierslebens, zur Begünstigung urbaner Vielfalt, zum Abbau von Segregation und zur Verbesserung der Lebenssituation benachteiligter Bevölkerungsgruppen schaffen“.
In der Nutzung offene Quartiere wären somit Quartiere, die erst die Stadt zu einem eigentlich „urbanen habitat“ machen.    
Nun zur zweiten Fragestellung: Immer wieder heißt es heute: „das neue Leitbild der Stadtentwicklung ist die Nutzungsmischung“. Das wäre ja etwa der Anspruch, die gesamte heutige Struktur der verstädterten Regionen, die zu achtzig oder mehr Prozent einem gerade gegensätzlich ausgerichteten Leitbild gehorchen, jetzt nach diesem neuen „Leitbild“ umzubauen. Oder anders gesagt, wie soll Nutzungsmischung ein akzeptiertes Leitbild werden, wenn der überwiegende Anteil der bestehenden und auch der zukünftigen baulichen und sozialen Struktur Bestandes einer verstädterten Agglomeration aus ganz rationalen Gründen weiterhin dem Gesetz des Funktionalismus gehorchen werden? Für mich kann es eigentlich nur darum gehen, eine neue Balance zwischen kleinräumiger funktionaler Mischung einerseits und funktionalistischer Trennung andererseits anzustreben. Leider verzichtet die staatliche Raumordnung und Verkehrsplanung bis heute, allgemein anwendbare Regeln für eine solche Balance als Teil einer künftigen „Stadt und Region der kurzen Wege“ zu suchen und - z.B. im Baugesetzbuch - auszuformulieren. Das passt mit der vermuteten zunehmenden Nachfrage in der Bevölkerung nach nutzungsoffenen Strukturen hinten und vorne nicht zusammen. Die Spielräume für eine bedürfnisgerechte Weiterentwicklung städtebaulicher Praxis bleiben auf diese Weise dramatisch beschränkt.


5. Sehen Sie einen städtestrukturellen Zusammenhang zum Befördern/Initiieren selbstständigen Handelns in der Stadt (im Sinne eigenständiger Tätigkeiten, Eigeninitiative, Unternehmung) und umgekehrt betrachtet: Gibt es Stadtstrukturen, die diese Art von Handeln eher einschränken oder gar ausschließen?

Natürlich kommt es bei den Stadtstrukturen auch in Zukunft wesentlich darauf an, ob sie Vielfalt (der Nutzungen, der Wohnformen, auch der Gestaltung und der Möglichkeiten bei der investiven Bürgerbeteiligung) zulassen oder nicht. Eigenständiges Handeln gibt es bis jetzt bekanntermaßen vor allem in Einfamilienhaus- oder Gewerbegebieten. Aber das ist eben kein eigenständiges Handeln „in der Stadt“. In der Stadt findet bis jetzt eigenständiges Handeln überwiegend in zufälligen Einzelfällen statt. Allerdings hat die Frage nach der Bedeutung unterschiedlicher Quartiersstrukturen in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, weil in dieser Zeit das Interesse am Leben in attraktiven Städten - wider alle vorherigen Erwartungen - zugenommen hat. Da in den zurückliegenden Jahrzehnten des funktionalen Städtebaus neue, für das Alltagsleben attraktive Stadtkerne - etwa im Umland der älteren Städte - kaum noch geschaffen wurden, ist das Angebot an Situationen dafür auf dem Bodenmarkt beschränkt und kaum noch beliebig auszuweiten mit der Folge schmerzhafter Preissteigerungen. In dieser Situation drängen vor allem Bauträger und Developer mit überwiegend finanziellen Interessen in die Städte, die in der Regel wenig Interesse an kleinräumiger und gestalterisch vielfältiger Bebauung mit Nutzungsmischung und belebten öffentlichen Räumen haben.

Die Frage ist somit, ob und unter welchen politischen Bedingungen in unserem Land Kommunen zu finden sind, die angesichts dieser Konkurrenz bereit sind, z.B. auf freigewordenen Kasernen- oder Güterbahnhofsarealen tatkräftig bereit sind, kleinteilige, in Parzellen aufgeteilte (und womöglich auch unter Weiterverwendung älteren Baubestands) Plankonzepte bevorzugt für Genossenschaften, Baugruppen und selbständige Gewerbetreibende anzubieten. Das ist zweifellos kein einfaches Geschäft. Diese Kommunen sind nämlich dann mit ein er ganzen Reihe unterschiedlicher Herausforderungen konfrontiert: Sie müssen erstens Wege finden, sich in das Eigentum an den entsprechenden Stadtbrachen zu bringen. Eine Möglichkeit, die allerdings nur relativ selten angewandt wird, ist die Ausweisung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (BauGB §165ff.) mit dem Recht, das zur Verfügung stehende Areal zum Preis ohne Berücksichtigung der zu erwartenden Wertsteigerungen zu erwerben. Sie müssen zweitens Plankonzepte entwickeln, die bevorzugt von dem genannten Kreis der Nachfrager angenommen werden, wobei sie darauf achten müssen, dass Gewerbetreibende, die für die Ansiedlung in Betracht kommen, nicht im Rahmen der übrigen Bauleitplanung auf andere Flächen mit Monostrukturen (Gewerbegebiete, Büroparks, Technologiezentren) ausweichen. Hier spielen bereits die oben geschilderten „Zufälle“ eine erhebliche Rolle. Schließlich und drittens müssen sie lernen, ihre Grundstücke nach dem Grundsatz der „Konzeptvergabe“ unter festgelegten Preisen anzubieten, bei der nicht die Bewerber den Zuschlag erhalten, die das höchste Gebot abgeben, sondern diejenigen, die mit ihrem Nutzungskonzept den jeweils größten (kulturellen oder sozialen) Gewinn für das entstehende Viertel anbieten.    
In diesem Zusammenhang stellt sich einmal mehr die Frage, welche gesellschaftlichen Folgewirkungen der funktionalistische (oder „fordistische“) Städtebau der zurückliegenden Jahrzehnte mit seinen abgelösten Wohngebieten und Gewerbeparks mit sich gebracht hat. Solange es keine fachübergreifende Erforschung dieser Frage gibt, wird es schwierig sein, durch systematisches Experimentieren geeignete Regeln für die Konzeption und die praktikable Umsetzung von Stadtstrukturen zu finden, in denen die Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten neben dem teilweisen Weiterbestehen funktionalistischer Elemente ein „zurück zur Urbanität der Stadt“ mit sich bringen kann. 

Schon in den frühen 1990er Jahren hat die damalige Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Dr. Irmgard Schwaetzer (FDP) mit der Berufung einer interdisziplinär ausgerichteten Kommission beabsichtigt, „die Zukunft von Wohnen, Leben und Arbeiten in der Stadt zum Thema einer öffentlichen Diskussion mit hohem intellektuellen Anspruch zu machen“. Es wäre nunmehr höchste Zeit, nach 25 Jahren noch einmal an die damals entstandene Studie „Zukunft Stadt 2000“ dieser Kommission anzuknüpfen.
Stadtentwicklung ist wahrlich mehr als Wohnungsbau + Verkehr!

Zusatz:

Hat der Zufall eigentlich in Ihrem Leben auch eine Rolle gespielt, sodass Sie jetzt Stadtplaner oder auch Architekt geworden sind oder war es bei Ihnen von vornherein klar, dass Sie diesen Beruf ausüben wollen?

 

Nein, ich glaube, dass das bei vielen jungen Leuten so ist. Wenn sie mit der Schule fertig sind, ist das was sie studieren, größtenteils eine „Zufallsgeschichte“. Viele orientieren sich auch später um.

Bei mir war es reiner Zufall. Stadtplanung gab es ja noch gar nicht. Das ist ein weiterer Zufall, wo man, wenn man mit dem Studium fertig ist, landet. Da spielen alle möglichen Zufälle eine Rolle: Wo kennst du jemanden und wen kennt der? Wo kann man mal fragen, ob man da einen Job kriegen kann? Wo ist eine Stelle frei?

Ja, das hat auch viel mit dieser Generation-Praktikum zu tun. Dies ist im Laufe der Jahre stärker geworden. Einige arbeiten schließlich an Wettbewerben und durch Zufall folgt daraus irgendwas oder nicht.

Ich habe lange Altstadtsanierungen in Tübingen gemacht und es war eigentlich nur Zufall, dass ich da vom Studium her Leute kannte, die in Türbingen bei der Stadt beim Baudezernat eine Rolle gespielt haben. Entscheidend ist ebenfalls, ob das, was du tust, auch Spaß machst oder was man selber daraus machen kann. Auch die Entscheidung etwas Neues zu tun, weil es einen interessiert und man so nicht auf andere hört, ist ausschlaggebend. Wo wir wieder bei dem Thema „Assoziation und Komposition“ sind.

Es ist die Frage, wie man mit den Möglichkeiten umgeht, die sich irgendwie anbieten oder eben nicht anbieten. Und wenn sie sich nicht anbieten, musst du dir eben etwas anderes suchen.

Vielleicht auch mal aus der Sicht von Architekten und nicht von Stadtplanern: Wie die modernen Gebäude konstruiert werden, spielt der Zufall oftmals gar keine Rolle mehr. Wir versuchen immer alles geradliniger und strikter zu entwerfen. Was denken Sie darüber?

Das stimmt bei den Wettbewerben ja eigentlich nicht. Es gibt immer wieder verrückte Sachen. Wir haben auch ein bisschen die Tendenz in den letzten Jahrzehnten beobachtet, wo man sagt, dass der Entwurf möglichst verrückt sein muss, um den ersten Preis zu bekommen.

Ich finde, dass es immer eine Rolle spielt, wie es im städtebaulichen Kontext aussieht oder wo die Sachen drin sein sollen.

Gestern auch bei dem Film „Kathedralen der Kultur“: Das waren jedes Mal exzellente Gebäude, wo man denk: „das ist der Wahnsinn“. Bei der Oper in Oslo konnte man auf das Dach. Da spazierten irgendwelche Leute und guckten dann von oben durch die großen Dachfenster rein, was das Ballett innen drin macht. Ich finde, dass man das gar nicht bewerten kann, wenn man es isoliert anguckt. Es ist ja auch die Frage, wie es in der Stadt drinsteht und es für die Umgebung bedeutet: Hat sie was davon oder nicht?

Da frage ich mich zum Beispiel bei der Elbphilharmonie in Hamburg, ob die Umgebung was davon hat oder ob es nur eine Art Leuchtturm für die Touristen ist. Das ist schon eine Frage, die eine große Rolle spielt.

Die Alten haben sich mit ihren Kathedralen auch etwas gebaut, wo man sagen kann, dass sie gesponnen haben. „Wer hat denn das bezahlt? Ist ja wahrsinnig.“

Das gibt es in der Geschichte eigentlich schon immer. Aber die Frage ist, was es in der Gesellschaft für eine Bedeutung hat. Oder geht es nur darum, Touristen anzulocken, oder hofft man auf Einnahmen von Leuten, die dort auf die Plattform gehen, um Eintritt zu kassieren, oder ist dort noch mehr dahinter?

Eigentlich müsste es sowas wie Architekturphilosophie geben. Auch in der Ausbildung oder der Diskussion allgemein.

Ich finde, was die Zeitungen und die Medien zu dem Thema beitragen, ist nicht so toll.

Wir probieren zu wenig aus. Das ist gerade mit dem aktuellen Trend „Wir ziehen in die Stadt, wo man auch beliebig viele Wohnungen verkaufen kann, egal was sie kosten“ eine dringende Frage. Wenn man sich internationale Städte anguckt, dann ist es wieder eine ganz andere Sache.