Bachelorthesis - Hochschule Bremen
 
BA 2010, Kistnergelände, Bremerhaven-Lehe
Felix Erbert, 15.08.2010

 

Städtebau


Mit dem Ziel das ehemalige Kistnergelände zu revitalisieren entsteht ein städtebauliches Konzept, das eine Öffnung und Anbindung des Areals an den Stadtteil Lehe vorsieht. Die alte Fabrik mit Tonnenhalle, Anbauten und Schornstein soll erhalten und durch neue Straßenrandbebauungen rechts und links eingefasst werden. Vor dem Fabrikgebäude zum Geesteufer ist ein Platz vorgesehen, an dem der öffentliche Geestewanderweg „angelangt“.
Um die Öffnung und Aufmerksamkeit auf das Areal zu fördern, lagert sich entlang der Hafenstraße ein Quartiersplatz an der Stelle des derzeitigen Baumarktes vor. Die diesen Platz begrenzende Bebauung
hat öffentlichen Charakter und kann als Eingangssituation für das dahinter befindliche Areal dienen. Die Nord-Süd Achse der Hafenstraße erfährt so eine Strukturierung. Der vorgesehene Platz ist Teil einer Folge von Plätzen, die sich entlang der Hafenstraße hierarchisch bis zum großen Marktplatz aufteilen.
Auf dem Gelände östlich der Kistnerfabrik werden Wohnungen und Geschäfte angesiedelt. Diese neue Wohn- und Geschäftshaustypologie ist Gegenstand der Vertiefung. Das Bauareal liegt im Spannungsfeld zwischen dem teilweise sehr großstädtischen Charakter Lehes und der auf dem anderen Geesteufer „frei wildernden“ Natur.
Ziel wäre es, für den potentiell attraktiven Stadtteil Lehe mit dieser neuen Wohn- und Geschäftsbebauung am Geesteufer impulsgebend für weitere Sanierungs- und Umnutzungsprojekte zu sein. Der Ansatz verfolgt zudem eine Fortschreibung der Geschichte des gewerblich geprägten südlichen Bereichs der Hafenstraße. Nachdem sukzessive die Gewerbebetriebe entlang der Geeste durch Wohnbebauung verdrängt worden sind, stellt die Öffnung des letzten Betriebsgeländes einen Wendepunkt und eine neue Chance in der Geschichte der Hafenstadt dar.

 

 

Die harte Schale

Die städtebaulichen Erkenntnisse werden in der Ausbildung des Baukörpers aufgegriffen. Die Bebauung sollte nicht stören, sondern eine neutrale und ruhige Kulisse für die Fabrik bilden. So ist ein Baukörper mit ruhigen regelmäßigen Fassaden entstanden, die aus den jeweiligen Ansprüchen der angrenzenden Situation abgeleitet sind. Zum Norden gibt es eine klare Geste eines Eingangs durch die großzügige Einfahrt, die den Innenhof erahnen lässt. Zum Süden öffnet sich die Fassade zum Wasser mit größeren Fensterformaten und ebenerdigen Geschäftsräumen. Zum Osten schaffen Parkgaragen Anlässe die Stichstraße nicht tot fallen zu lassen. Auch die Westseite bleibt ruhiger und verschlossener in ihrer Erscheinung, sodass sie keine „gestalterische Irritation“ zu einer sanierten Kistner-Fabrik erzeugt.

 

Der weiche Kern

Der Charakter der harten Schale wird erst durch den Innenbereich des Baus deutlich. Er wird maßgeblich durch die nach innen verlegte Erschließung geprägt. Überschneidungen zwischen
öffentlichen und privaten Interessen werden vermieden. Gelangt der Bewohner von der geschäftigen Hafenstraße in die Werftstraße und schließlich in den Innenhof des Baus, erfährt er die schrittweise Beruhigung des Außenraums. Zur Erschließung dient ein überdachter Wandel– oder Kreuzgang der einen Hof definiert und das Herz des Gebäudes ausmacht. Hierzu habe ich die Qualitäten solcher Orte, wie sie sonst in mittelalterlichen Klosteranlagen und in Wohnformen südeuropäischer Regionen vorkommen, überprüft und übersetzt.
Trotz der sehr unterschiedlichen Ausprägungen bildet der Kreuzgang in allen Fällen eine dem Haus vorgelagerte Zone, die als Filter für den Verkehr, als Ort der Kommunikation oder als Schutzraum vor Witterung dient. In seiner räumlichen Erscheinung wächst der Kreuzgang zumeist aus dem Baukörper heraus. Er ist eigener außenliegender Raum, aber gleichzeitig Teil des Hauses. Dieser schützende und verbindende Charakter war Anreiz diese Qualitäten aufzugreifen und zu interpretieren.

 

 

Filtern
Der Kreuzgang schafft Distanz zum angrenzenden Gewerbe. Für Nutzer der Gewerbeflächen im Erdgeschoss befinden sich im Kreuzgang die Zugänge zu den Kellerräumen, die als Lager dazu gemietet werden können. Diese Pufferzone setzt sich gleichermaßen im Inneren des Baus als zweiter Ring fort, in dem Nebennutzräume wie Sanitär-, Küchen oder Personalräume untergebracht sind. In den beiden Wohngeschossen setzt sich dieser Ring in Form eines auf dem Kreuzgang liegenden Laubengangs fort, von dem aus die Maisonett- Wohnungen erschlossen werden. Dem Hof sind sämtliche Sanitär und Küchenfunktionen zugeordnet. Das Wohnen und Schlafen befindet sich in den hinteren Räumen.

 

Schützen
Schützenden Wert hat vor allem das halb über den Laubengang ragenden Dachgeschoss mit seinen Terrassen. Unterstützend wirkt hierbei das nach innen geneigte Pultdach mit einem markanten Dachüberstand. Eingangsbereiche und Dachterrasse sind gleichermaßen im Freien und doch vor Witterung geschützt.

 

Kommunizieren

Die Notwenigkeit den Kreuzgang zu durchschreiten, um in seine Wohnung oder zu seiner Garage zu gelangen, fördert Anlässe zur Begegnung und Kommunikation unter den Anwohnern und Nutzern. Der Kreuzgang definiert den Hof als gemeinsame Mitte des Hauses. Vier Zugänge durchbrechen den höher gelegenen Hof und laden den Nutzer und Anwohner ein, sich in die Mitte des Hofes zu begeben. Diese Wegebeziehung verstärkt den vernetzenden Charakter des Hofes.

 



Tragwerk und Konstruktion

 

Das Prinzip der Zonierung von innen nach außen spiegelt sich im Tragwerk wider. Der grundsätzlich introvertierte Charakter zum Stadtraum führt zu tragenden Lochfassaden. Die Stahlbetondecken spannen von Außenwand zu Außenwand und werden dazwischen durch eine Wand und Unterzüge getragen. Somit ergeben sich weitgehend freie Grundrisse. Die Wohnungen sind durch schalldämmende Wände wie Schotten von einander abgetrennt. Innerhalb der Wohnungen untereilen nichttragende Leichtbauwände, ein Unterzug und eine tragende Wand den Grundriss.
Um den städtebaulichen und räumlichen Qualitäten des Ortes gerecht zu werden dient ein solider Ziegel in der Fassade als prägendes Element. Die Wahl einer vorgemauerten Ziegelfassade unterstützt das „Schalenhafte“ des Gebäudes.
Dabei sollte ein materialgerechter Umgang im Vordergrund stehen. Sämtliche vertikalen Bauteile sind außen durch den braun-bunten Ziegel geprägt. Horizontale Bauteile wie Decken und Böden sind aus Stahlbeton. Fensterbänke und Sohlbänke, wie etwa die Abdeckungen der Brüstung sind in einer gemauerten Rollschicht ausgeführt. Tür – und Fensterstürze werden durch stehende Ziegel (Grenadiere) in Form von Fertigteilstürzen betont. Die Lage der Fenster in der Dämmebene erlaubt nach außen eine nur durch Ziegel gefasste Laibung. Nach innen sind die Laibungen verputzt und bieten Platz für eine großzügige Fensterbank. Um die Wirkung des modularen kleinteiligen Ziegels zu bestärken sind die Decken im Kreuzgang in rauhschaligem Sichtbeton gestaltet.
Den oberen Abschluss bildet ein nach innen geneigtes Pultdach mit markantem Dachüberstand. Dieser dient den zum Hof orientierten Dachterrassen als Witterungsschutz. Außerhalb des Gebäudes ist das Dach durch eine hohe Attika versteckt - dem außenstehenden Betrachter wird das Innere des Hauses nicht ersichtlich. Wiederum verdeutlicht sich der stringente Städtebau im Kontrast zum kommunikativen Innenleben