Masterthesis – Hochschule Bremen
 
Archäologie der Atomkraftwerke – Szenarien
Lino Egermann, August 2012

01.Szenario Therme
In der Denkmalpflege wird die ideologische Neutralität bei der Erhaltung von Objekten angestrebt. Bei diesem Szenario wird jedoch versucht, die Ideologie der Atomkraft zu vermitteln. Der Zusammenhang von Religiosität und Naturwissenschaften soll vermittelt werden.
Während des Betriebes eines Atomkraftwerkes spielt Wasser eine wichtige Rolle. Es dient zum einen zur Abschirmung radioaktiver Strahlung, z.B. von im Abklingbecken gelagerten Brennstäben. Zum anderen dient Wasser als Moderator, der den Energiekreislauf eines Atomkraftwerkes erst ermöglicht. Während es den Kreislauf durchfließt, ändert es den Aggregatzustand von flüssig zu gasförmig und wieder zurück.
Als Alternative zum komplett Rückbau wird vorgeschlagen, die Strukturen eines Kraftwerkes in eine Therme umzuwandeln. Bei der Umnutzung zu einer Therme, spielt das Wasser wieder eine wichtige Rolle. Wasser dient hierbei als Moderator zwischen Körper und Raum.
Der menschliche Körper ist in seinem ursprünglichen Zustand. Nackt und schutzlos bewegt er sich durch Räume, die vorher nur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen betreten werden durften.
Der Eingriff in die vorhandene Struktur ist minimal. Angestrebt wird ein möglichst ursprüngliches, archetypisches Raumerlebnis.

 

Freidusche im Kühlturm

 

Sprungbecken im Reaktorgebäude

 

02.Szenario Erneuerbare Energien

(Atomkraftwerk Brunsbüttel)
Einer der Punkte, die bei der Energiewende kritisiert werden, ist die Verzögerungen im Ausbau des Stromnetzes. Auf der anderen Seite fallen die Knotenpunkte im Stromnetz, die Atomkraftwerke darstellen, durch den Atomausstieg nach und nach weg.
Als Alternative zum komplett Rückbau wird vorgeschlagen, den vorhanden Netzanschluss des Kraftwerkes zur Einspeisung von regenerativer Energie zu nutzen. Durch die Erzeugung von regenerativer Energie am Standort erhält man die Anlagen in ihrer ursprünglichen Form als Energieerzeuger. Der Strom aus einer Solarfarm, einem Windpark und einem Strömungskraftwerk wird in den ehemaligen Gebäuden des Atomkraftwerkes gesammelt und weiterverteilt. Die Stromausbeute wird bei der Erzeugung von regenerativer Energie im Vergleich zur Atomenergie geringer ausfallen. Doch das muss kein Nachteil sein.
Bedenkt man die allgemeine Entwicklung im Energiemarkt, weg von zentraler- hin zu dezentraler Energieerzeugung, so kann man das Szenario als Teil dieser Entwicklung sehen. Der Strom, der am Standort produziert wird, kann zur regionalen Versorgung beitragen.
Der Standort der Anlage bringt mehrere Vorteile:
• Die Weitläufigkeit der Anlage erlaubt das großflächige Aufstellen von Solaranlagen. Am Standort ist eine Fläche von 640.000m2 realisierbar, was ungefähr der Hälfte von Deutschlands größtem Solarpark in Brandenburg entspricht“.13
• Die Küstennähe und das flache Umland ermöglichen eine hohe Windausbeute.
• Das Wirken der Gezeiten erhöht die Strömungsgeschwindigkeit des Flusses.

13_ http://www.solarpark-lieberose.de/zahlen/default.html

 

Perspektive des Energieparks

 

Modell der Anlage mit Solarfarm, Strömungskraftwerk und Windpark

 

Modell der Anlage mit Solarfarm, Strömungskraftwerk und Windpark

 

03.Szenario Landschaftspark/ Ruine
(AKW Grafenrheinfeld)
Eingebettet zwischen dem ‚Vogelschutzgebiet Garstadt‘ und dem Natur- und Landschaftsschutzgebiet ‚Alter Main‘ liegt das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld. Das ‚Vogelschutzgebiet Garstadt‘ war ein ehemaliges Kiesabbaugebiet, das renaturiert wurde und nun als Refugium für aussterbende Vogel- und Pflanzenarten dient.
Als Alternative zum komplett Rückbau wird vorgeschlagen die Strukturen des Kraftwerkes, als ein Teil des Naturschutzkomplexes stehen zu lassen. Gemäß der zweiten Erhaltungskategorie, werden die übrigen baulichen Strukturen des Kraftwerkes sich selbst überlassen und können zur Ruine werden. Die Anlagen können z.B. auch als Brutplätze für Vögel dienen: die Natur holt sich ihren Teil zurück. Das Atomkraftwerk wird als romantisches Bild einer Ruine Teil der Landschaft. Die monumentalen Strukturen werden langsam verfallen und von Pflanzen überwuchert.
Die Absicht ist es mit möglichst geringem Aufwand das Atomkraftwerk, was bis zu dem Zeitpunkt als Standortnachteil galt, in einen Standortvorteil zu verwandeln. Die Eingliederung des Kraftwerkes, in ein Tourismuskonzept, kann einen positiven Einfluss auf die regionale Entwicklung haben.

 

Modellstudie Ruinenlandschaft

 

Modellstudie Ruinenlandschaft

 

04.Szenario Schauspielhaus (AKW Grohnde)
Das Atomkraftwerk Grohnde ist eines der wenigen mit großem Einzugsgebiet. Im Umkreis von 50km um das Kraftwerk leben ca. 2 Mio. Menschen.14 Dieser Umstand ist die Grundlage zur Umnutzung des Kraftwerkes als Veranstaltungsort.
Als Alternative zum komplett Rückbau wird vorgeschlagen, das Kraftwerk zum Veranstaltungsort für Schauspiele und Musikaufführungen umzunutzen. Im Besonderen werden zwei Maßnahmen am Bauwerk durchgeführt.
In einem der zwei Kühltürme wird eine Stahlkonstruktion errichtet. Sie ermöglicht Besuchern, mit Aufzügen bis zur oberen Öffnung des Kühlturms in 150m Höhe zu gelangen. Oben angekommen kann ein ringförmiger Rundgang durchlaufen werden, der ein 360? Panorama auf die umliegende Landschaft erlaubt. Zur Verdeutlichung der Umnutzung und als weithin sichtbares Icon erhält der obere Rundgang eine auffällige Oberfläche die bei Nacht beleuchtet wird. Diese Art Krone kann die Vermarktung des Standortes unterstützen und die Fernwirkung positiv beeinflussen.
Die ehemalige Reaktorkuppel ist der Ort für öffentliche Aufführungen jeglicher Art. Die kreisrunde Bühne liegt im Zentrum und erlaubt den Akteuren eine Vielfalt an Interaktionsmöglichkeiten mit dem Publikum. Die Zuschauerränge sind ringförmig um die Bühne angeordnet.
Der kugelförmige Raum gibt das Programm vor. Die besonderen akustischen Gegebenheiten erlauben, dass Stücke spezieller Art für diesen Aufführungsort inszeniert werden, ein weiterer Aspekt, der die Einzigartigkeit des Ortes hervorhebt.

 

14_ http://opendata.zeit.de/atomreaktoren/#/de/

 

Fernwirkung des Schauspielhauses bei Nacht

 

Schnitt durch Kühlturm und Schauspielhaus

 

Close-up von Kühlturm und Kuppel

 

05.Szenario Denkmal/ Mahnmal
In diesem Szenario wird die Entropie15 der Atomkraft thematisiert. Der komplette Abriss des Atomkraftwerkes wird als Teil einer Transformation des Ortes akzeptiert. Die Abrissmaterialien werden jedoch nicht dem üblichen Verwertungskreislauf beigefügt, sondern dienen dazu, den ehemaligen Standort des Atomkraftwerkes als Nicht-Ort einzufassen.
Der Bauschutt wird als Mauer, entlang der früheren Grenzlinie des Standortes aufgeschüttet und bildet den Rahmen für den Nicht-Ort. Die Höhe der Mauer überragt den menschlichen Maßstab, so dass das Innere nicht zugänglich ist. Die Leere im Inneren enthält nur noch die Erinnerung an den Ort. Der Besucher der Anlage kann die Ebene auf der Mauer entlang umwandern.
Die Unzugänglichkeit der Ebene hat einen besonderen Grund. Sie dient als Lagerstätte für radioaktive Materialien die beim Abriss des Atomkraftwerkes anfallen. Die strahlenden Materialien sind im Grund vergraben. Nichts verkörpert die Monumentalität der Atomkraft passender als das Körperlose.
Die Anlage wird geschützt und überwacht. Sie wird nicht sich selbst überlassen, sondern aufwendig gepflegt und instand gehalten, wie bei einem japanischen Zen-Garten. Jedes sprießende Unkraut wird entfernt, die Erhaltung der Leere ist Gestaltungsprinzip. Dieses ist der Ort an dem die Mythen und Legenden der Atomkraft an kommende Generationen weitergegeben werden.

 

15_ Smithson deutet den, aus der Physik stammenden, Begriff Entropie, als den Zusammenbruch von Systemen, einen Prozess der Läuterung.

 

Luftbild des Denkmals

 

Fazit
Der Erhalt von Industrieanlagen sind immer schwierig, der wirtschaftliche Nutzen ist stets vordergründig. Bevor eine Anlage umgenutzt wird, wird sie in der Regel eher abgerissen.
Gegenargument zu Alternativen zum Rückbau ist hauptsächlich der höhere Aufwand, der mit höheren finanziellen Belastungen der Betreiber verbunden ist. Die daraus resultierenden Renditeerwartungen, erzeugen Druck auf Nachnutzungskonzepte und grenzen den Entscheidungsrahmen ein. Dieser Umstand kann sich jedoch durchaus befruchtend auf die Konzeptfindung auswirken.
Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Aspekt ist es, die Bevölkerung für die Thematik zu sensibilisieren.
Nach oft Jahrelangen Protesten und den emotionale aufgeladenen Debatten um die Abschaltung von Atomkraftwerken ist das Verlangen nach einem sichtbaren Zeichen des Umbruchs groß. Atomkraftwerke werden als Verkörperung einer rückständigen, irregeleiteten Ideologie gesehen, die nun möglichst schnell und endgültig beseitigt werden sollen.
Das Verständnis für den Erhalt der baulichen Strukturen wird sich wahrscheinlich erst mit der zeitlichen Distanz bilden. Zurzeit erschwert die Aktualität des Themas und die emotionale Aufladung eine sachliche Bewertung.
Die Relevanz der Fragestellung, wird sich mit dem Voranschreiten des Rückbauprozesses voraussichtlich erhöhen. Der Zeitfaktor hat hierbei jedoch eine ambivalente Wirkung auf die Situation.
Einerseits ist das Verstreichen der Zeit hilfreich, um einen differenzierten Blick zu ermöglichen, anderseits sind, mit dem fortschreitenden Rückbau, bald keine Strukturen mehr vorhanden, die erhalten werden können.
In der Zukunft, bei gründlicher Beschäftigung mit der Fragestellung, kann eine jetzt noch nicht absehbare Nutzung gefunden werden. Dabei sollte „von der musealen Konservierung mit wissenschaftlichem Anspruch bis zur schrillen Verfremdung mit gegenwärtiger Architektur, von der öffentlichen non-profit Nutzung bis zur gnadenlosen Kommerzialisierung“ alles erlaubt sein, denn „wenn überhaupt was gehen soll, muss vieles möglich sein.“16
Diese Arbeit kann als Argument für den Erhalt von Atomkraftwerken gesehen werden. Das grundlegende Anliegen ist jedoch, eine öffentliche Akzeptanz und einen bewussten Umgang mit den Strukturen des Atomzeitalters anzuregen.


16_ N.N. Stadtplaner im Ruhrgebiet