Hochschulseminar – Wer hat Angst vor dem Zufall?
 
Interview mit Max Dudler
Johannes Eckhardt, Andreas Grizener, Fiona Hatje, Nicolai Hüsing, Jan Henning Laaser, Denise Schneider, Jessica Siegmann, Dennis Witte, Othman Zainab, 09.08.2018


Bildquelle: https://www.maxdudler.de/de/profil/

Max Dudler (*18. November 1949 in Altenrhein, Schweiz) ist ein Schweizer Architekt. Seit 1992 ist Herr Dudler selbstständig ohne Partner mit Büros in Berlin, Frankfurt am Main und Zürich.


Interview mit Herrn Max Dudler


1. Ist der Zufall für Sie mehr ein negatives Ereignis im Zusammenhang mit der Planung oder ein positives?


Es kommt darauf an, dass man den Zufall in das konzeptionelle Denken mit einbezieht. Etwa indem ein Prinzip durch meinetwegen zufällige Irritationen leicht verschoben oder verändert wird. Auf diesem Wege, kann ich mir vorstellen, können interessante Sachen zu Tage treten; aber mit dem Interessanten ist das so eine Sache. Wir suchen die Verbindlichkeit eines Konzepts.


2. In wie weit spielt der Zufall in ihrer beruflichen Arbeit eine Rolle?


Der Zufall spielt keine Rolle in meiner Arbeit, die Irritationen eventuell. In unseren Städten ist der Zufall schon präsent genug, finde ich.


3. Gibt es für Sie eine Ästhetik des Zufalls oder der freien Komposition?


Das sind zwei sehr verschiedene Ansätze, oder? Wir arbeiten auch mit freien Kompositionen, ich verschließe mich dem nicht, aber wenn wir frei komponieren, ist das doch geplant und entwickelt, das Gegenteil von Zufall. Wenn es völlige Freiheit gibt, wird Architektur beliebig und beliebige Architektur schätze ich gar nicht. An vielen Orten sieht man, dass diese Bindungslosigkeit die Identität unserer Städte und auch Landschaften auflöst. Ästhetik des Zufalls ist für mich gleichbedeutend mit der Zerstörung der Stadt.


4. Worin/Woraus bestehen in unserer Arbeit als Architekten die Anteile, die in ihrer Nutzung nicht festgelegt sind, also offenbleiben können? Oder woraus könnten Sie bestehen? Welche Spielräume sehen Sie hier für sich in Ihrer Planungsarbeit?


Wenn sie hundert Architekten ein Gebäude gleicher Nutzung planen lassen, erhalten sie hundert verschiedene Lösungen. Daran erkennt man die Freiheitsgrade, die in unserer Aufgabe verborgen sind. Ich fand immer die umgekehrte Frage interessanter: Wie sollte heute ein Gebäude geplant werden das Bestand hat, wie erreicht man die dafür notwendige hohe, dauerhafte Qualität und auch Flexibilität. Können, wenn man zum Beispiel einen Bürobau plant, dort später auch Wohnungen integriert werden. Wie können wir flexible Gebäude planen, die aber trotzdem nicht neutral sind sondern eine klare Typologie und Identität besitzen, die auch in hundert Jahren noch attraktiv sind. Und auch sehr wichtig: Wie verhält sich das Gebäude in der Stadt, oder anders ausgedrückt: wird durch das Gebäude die Stadt sinnvoll weitergebaut?


5. Sehen Sie einen städtestrukturellen Zusammenhang zum Befördern/Initiieren selbstständigen Handelns in der Stadt (im Sinne eigenständiger Tätigkeiten, Eigeninitiative, Unternehmung) und umgekehrt betrachtet: Gibt es Stadtstrukturen, die diese Art von Handeln eher einschränken oder gar ausschließen?


Es ist schwierig stadtstrukturelle Fragen unabhängig von der politischen Frage nach den Eigentumsverhältnissen zu beantworten. Aus meiner Sicht besteht das Problem im Städtebau heutzutage auch eher darin, dass immer von Einzelinteressen ausgegangen wird und nicht von gemeinsamen Interessen: alles ist möglich, alle wollen ihre Individualität nach außen tragen oder vielmehr Aufmerksamkeit erzeugen und ich glaube das alles ist nicht unbedingt Stadt fördernd. Diese Beliebigkeit vernachlässigt die Räume zwischen den wunderbaren Gebäuden. Die europäische Stadt ist vom Stadtraum her gedacht, von den Plätzen und Straßenräumen und nicht so sehr vom Einzelgebäude. Wir müssen zuerst an die Stadt denken, ihre Geschichte mitdenken, sie weiterbauen und nicht dagegen anbauen: Es geht um Weiterbauen und nicht um Individualisierung. Und es zeigt sich: eine solche Stadtstruktur stellt auch genau die Räume und Orte bereit an denen sich Initiativen und Unternehmen gerne ansiedeln.