Hochschulseminar – Wer hat Angst vor dem Zufall?
 
Patina: Neue Ästhetik in der zeitgenössischen Architektur – Hans Weidinger
Mascha Lina Kück, Wintersemester 2017/18

(Über das Verhältnis von Architektur und Zeit)

In his book "Patina", the author Hans Weidinger deals with the interaction between architecture and time. Using the patina phenomenon, he examines how our society deals with transiency and how this is reflected in architecture.The following text discribes what “Patina” may be and how it could possibly be used in future architecture.

Hans Weidinger befasst sich in seinem Buch „Patina“ mit der Wechselwirkung zwischen Architektur und Zeit. Anhand des Phänomens der Patina untersucht er wie unsere Gesellschaft heute mit dem Thema Vergänglichkeit umgeht und wie sich dies in der gebauten Masse, der Architektur widerspiegelt.
Das Wort Patina wird von dem lateinischen Wort für Pfanne hergeleitet und bezeichnet im übertragenen Sinn auch den durch häufigen Gebrauch entstehenden Belag auf Eisengeschirr. Hauptsächlich wird der Begriff für eine durch natürliche oder auch künstliche Alterung entstandene Oberfläche verwendet. So spricht man zum Beispiel oft von Patina bei mit Grünspan überzogenen Bronzen oder Kupferdächern. Seltener wird dieser Begriff jedoch bei verrostetem Eisen oder angelaufenem Silber verwendet. Wie kommt das? Was verstehen wir wirklich unter dem Begriff der Patina? Und was bedeutet die Patina in der Architektur?
Um das Phänomen der Patina auch umfassend auf Architektur übertragen zu können, erweitert Hans Weidinger den klassischen Begriff um diverse Alterungserscheinungen von Oberflächen.
Wohl noch am nächsten zur eigentlichen Patina sind die Folgen der mechanischen Beanspruchung. Ähnlich wie bei der Pfanne, die durch einen regelmäßigen Gebrauch einen Belag erhält, verlieren viele Oberflächen durch häufige Nutzung an Substanz. „Der Nutzung folgt die Abnutzung“. Nicht nur Gegenstände wie Werkzeug oder Teller verlieren mit den Jahren an Definition, sondern auch Stufen weisen die wiederholt gegangenen Wege der vergangenen Jahrzehnte auf und in Tibetischen Tempeln lassen sich sogar die Fußabdrücke der betenden Mönche im Dielenboden ablesen. Wasserhähne und Fenstergriffe sind durch regelmäßige Berührung blankgerieben, wo sie an anderer Stelle eine Patina im eigentlichen Sinne angesetzt haben.

Des Weiteren wird auch die Bewitterung mit in den Begriff der Patina einbezogen. Durch natürliche Wettereinflüsse wie Sonneneinstrahlung bleichen Oberflächen aus oder es entstehen Risse aufgrund unterschiedlicher Oberflächentemperaturen. Regen bringt Feuchtigkeit in die Risse und Zwischenräume und Frost bricht sie im schlimmsten Fall weiter auf.
Parallel kommt es zu Anorganischen Einwirkungen wie durch Ruß und Rauch verschmutzte Oberflächen oder eine Abtragung der Oberfläche durch sauren Regen. Der Mantelstein von Feuerstellen zeigt bei Feuchtigkeitsschäden oft eine Versottung, bei der Teer oder Säuren den Stein durchdringen. Bei der Versinterung lagern sich im Wasser enthaltene Materialien an den Oberflächen ab.

Aber auch Organische Einflüsse wie die Bewucherung durch Pflanzen wie Efeu und Moos und Flechten oder ein Pilzbefall verändern eine Oberfläche. Außerdem hinterlassen Schädlinge wie Ameisen, Holzwürmer, Wespen, Mäuse oder Tauben ihre zersetzenden Spuren.
Zudem gibt es das Phänomen von künstlich geschaffener Patina. Hier werden Beläge künstlich aufgetragen oder durch chemische Reaktionen absichtlich herbeigeführt, um der Oberfläche einen antiken Charme oder ein bestimmtes Aussehen zu verleihen.
Anders als bei dem Begriffsumfang ist die Konnotation der Inhalt, die intentionale Bezugnahme eines Begriffs. Was meinen wir also, wenn wir von Patina sprechen?
Von Patina sprechen wir nur in den Fällen, in denen wir ihr eine positive Bedeutung zuschreiben. Es ist ein Symbol für romantische Vergänglichkeit, dem „Memento Mori“ - gedenke deiner Sterblichkeit, dass bereits die Landschaftsarchitekten im 18. Jahrhundert dazu bewegte, künstliche Ruinen zu errichten.
Wer Patina schätzt, schätzt die Geschichte, die einem Objekt unweigerlich anhaftet. In der japanischen Kultur gibt es das ästhetische Konzept des „Wabi Sabi“. Der Begriff selbst setzt sich aus zwei negativ anmutenden Bedeutungen zusammen: „Wabi“ für einsam, elend und verloren und „Sabi“ für alt und mit Patina behaftet. Aber wie in der Mathematik ergeben hier zwei Negative ein Positives. „Wabi Sabi“ beschreibt die Schönheit im Verborgenen. Die Geschichte eines Objekts birgt sich in jeder Spur seiner Haut/Oberfläche und wird mit jeder weiteren schöner. So wird zum Beispiel gebrochenes Geschirr nicht entsorgt, sondern wieder gekittet und der Bruch nicht versteckt, sondern als Besonderheit hervorgehoben.

Die erweiterten Bedeutungen des Patina Begriffes werden eher selten als Patina bezeichnet. Bei ihnen spricht man eher von (Alters-)schäden.
Und vielleicht ist es auch so dass eine Patina kein Zeichen dafür ist, dass etwas alt ist, sondern ein Zeichen dafür dass ein Objekt geschätzt, gepflegt und immer wieder repariert wurde. So wäre dann nicht die Tatsache, dass Farbschichten abblättern die Patina, vielmehr ein Beweis für eine langjährige Pflege und einen Erhaltungswillen.
In diesem Buch wird ein starker Kontrast zwischen den Architekturphilosophien beschrieben.
Weidinger beschreibt die zeitgenössische Architektur als Produkt einer schnelllebigen „Freizeitgesellschaft“ in der nur noch wenig Raum für eine „gefühlsduselige Zukunftsfeindlichkeit“ bestehe, die zwanghaft versuche an dem Vergangenen festzuhalten. Er verweist aber auch auf einen „möglicherweise schizophrenen Zeitgeist“ in dem Architekten immer moderner planen, um dann in ihre Gründerzeit-Häuser heimzukehren.

Die moderne Architektur strebe nach Unveränderlichkeit und suche nach immer langlebigeren (Patina-)abweisenden Materialien (Fensterrahmen aus Plastik, große Glasflächen, mit Kunststoff überzogene Fassadenelemente) um eine Ewigkeit zu schaffen, die nicht mal gewollt ist. So wird doch bei jedem neuen Projekt das „Haltbarkeitsdatum“ schon mit geplant. Und in manchen Fällen dienen die Gebäude bereits aus, bevor ihre eigentliche Zeit abgelaufen ist. So wird beispielsweise in Bremen über den Abriss des Sparkassengebäudes am Brill gesprochen, das gerade mal neun Jahre existiert und nun einem neuen Baukörper weichen soll., (während der historistische Gebäudeteil, vielleicht zu Recht unantastbar bleibt)
Und die ehemalige Landeszentralbank in der Kohlhökerstraße aus den 80er Jahren ist zwar noch in sehr gutem Zustand, aber nicht mehr auf die jetzigen Bedürfnisse zugeschnitten und soll daher ebenfalls abgerissen werden. Von Nachhaltigkeit kann hier keine Rede sein.

oben: Sparkasse am Brill unten: ehemalige Landeszentralbank

Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren wieder zum Schlagwort geworden. Es befindet sich in aller Munde, ist aber bei den wenigsten Menschen tatsächlich auch im Kopf angekommen.
Ein Aspekt, der erstaunlich wenig Beachtung findet ist der, dass ein gut geplantes Gebäude, das seinen Zweck erfüllt, auch lange bestand hält und so unabhängig von seinen verwandten Materialien nachhaltig ist.
Weidinger bezieht sich auf das Buch von Landschaftsgärtnerin Cordula Loidl-Reisch, die der Auffassung widerspricht, dass der derzeitige Trend zur Verwilderung und Renaturalisierung nur ein neuer „Sinneskult auf dem Vormarsch sei“. Es handle sich eher um ein viel bewehrtes Mittel der Freiraumgestaltung, um mit bewusst gesetzten Kontrasten die Besonderheit des Einzelnen hervorzuheben. So unterstreicht ein wilder Garten eine reduzierte Architektur und ein streng gestalteter Garten hebt sich von einer wilden Landschaft ab. Und hier sieht sie auch eine planerische Aufgabe für Architekten. „Was für die Verwilderung von Landschaften und unbebauten Flächen gilt, muss ebenso für Gebäude gelten.“ Das heißt, dass sich der Architekt mit der unumgänglichen Verwilderung eines Gebäudes zumindest auseinandersetzen muss, wenn er sie nicht sogar bewusst mit einplant. Denn Patina muss nicht zwangsläufig ein Zeichen von Verfall sein oder wie beim „Wabi Sabi“ eine philosophische Betrachtung. Im Fall der Eisenpfanne verhindert die Patina das Anbrennen der Speisen und wird daher auch ohne Seife gereinigt, um den Belag nicht zu zerstören. Rost und Grünspan stellen einen natürlichen Schutz des Metalls gegenüber den Witterungsbedingungen dar und zum Schutz von Holzoberflächen werden diese angekohlt. Vielleicht ist es tatsächlich wie in der Gartengestaltung und es gilt „Right Plant, Right Place.“ (Nicola Ferguson) Genauso für das richtige Material an dem richtigen Ort. Im Folgenden sollen ein paar Beispiele für zeitgenössische Architektur gezeigt werden, die Patina bewusst einsetzen.
Sonderausstellungsgebäude des Universums Bremen, 2007, Haslob Kruse + Partner
Das Sonderausstellungsgebäude des Universums Bremen zeigt auf anschauliche Weise den Kontrast von dem auch Cordula Loidl-Reisch spricht. Das wie eine Muschel geformte Hauptgebäude mit seinen rund 40.000 Edelstahlschindeln, die jeglicher Veränderung trotzen soll, wurde durch den Anbau eines Würfels aus verrosteten Cortenstahl ergänzt. Die beiden Baukörper könnten kaum unterschiedlicher sein und unterstreichen somit jeweils die Besonderheit des anderen.

Erweiterung CentrePasquArt, Biel, 1999, Diener & Diener Architekten
Die Erweiterung des CentrePasquArt in Biel ergänzt das neoklassizistische ehemalige Spitalsgebäude um einen reduzierten klaren Baukörper, in dem Ausstellungssäle für zeitgenössische Kunst und ein angemessenes Foyer untergebracht sind. Die Kupferblechpaneele haben mit der Zeit ihre grüne Patina entwickelt. So tritt das Gebäude neben dem Altbau dezent zurück und gliedert sich optisch eher mit der Natur ein.
Talkback, London, 2001, Bushow Henleyy Limited
Für das Talkback in London solle ein Bestandsgebäude einer neuen Büronutzung zugeführt werden. Hierzu entschlossen dich die Architekten Ralph Bushow und Henley Halebrown die bestehenden Backsteingebäude mit einem neuen Baukörper im Innenhof zu ergänzen. Dieser ist sowohl mit Zinkblech als auch Douglaisiendielen verkleidet, die sich mit der Zeit im Farbton an das Zink angleichen. Die Materialien wurden bewusst für ihren Ort und ihre Beanspruchung gewählt.

Und doch bleibt die Frage, was denn nun eigentlich Patina ist. Ist Patina jegliche Alterung einer Oberfläche, ob natürlich oder künstlich? Oder ist sie nur da wo ein Gegenstand benutzt und gepflegt wurde? Kann man sie überhaupt künstlich herstellen oder ist es dann etwas vollkommen anderes? „Soziologische und kulturgeschichtliche Zusammenhänge sind ausschlaggebend dafür, ob die Antwort positiv oder negativ ausfällt.“ Ist es möglich etwas so unausweichliches und doch zufälliges wie Patina überhaupt zu planen.