Hochschulseminar – Wer hat Angst vor dem Zufall?
 
Teddy Cruz: "The Informal as Praxis"
Timo Worseg, 25.01.2018

TEDDY CRUZ + FONNA FORMAN are principals in Estudio Teddy Cruz + Fonna Forman, a research-based political and architectural practice in San Diego, investigating issues of informal urbanization, civic infrastructure and public culture, with a special emphasis on Latin American cities. Blurring conventional boundaries between theory and practice, and merging the fields of architecture and urbanism, political theory and urban policy, visual arts and public culture, Cruz + Forman lead variety of urban research agendas and civic/public interventions in the San Diego-Tijuana border region and beyond. From 2012-13 they served as special advisors on civic and urban initiatives for the City of San Diego and led the development of its Civic Innovation Lab. Together they lead the UCSD Community Stations, a platform for engaged research and teaching on poverty and social equity in the border region.




Das Estudio Teddy Cruz + Fonna Forman gegründet von dem aus Guatemala stammenden Architekt, Stadtplaner und Professor Teddy Cruz sowie der Professorin für politische Theorie Fonna Forman.
Das forschungsbasierte, politische und architektonische Büro in San Diego, beschäftigt sich mit Fragen der Informellen Urbanisierung, der zivilen Infrastruktur und der öffentlichen Kultur. Besonderer Schwerpunkt liegt auf lateinameranischen Städten im Grenzgebiet zwischen San Diego und Tijuana. Diese Region ist geprägt von starker Militär Präsenz sowie von informell errichteten Wohngebieten. Cruz und Forman führen eine Vielzahl von städtischen, kuratorischen Initiativen im Gebiet durch um das Bewusstsein für Bürgerbeteiligung im öffentlichen Raum zu stärken. Diese lösen die konventionellen Grenzen zwischen Theorie und Praxis, sowie zwischen Architekur und Urbanismus, politischer Theorie und Stadtpolitik, bildende Kunst und öffentliche Kultur. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den regionalen Gebieten mit einer hohen Armutsdichte und dem Wissensaustausch mit der University of California in San Diego.
Von 2012-13 fungierten sie als Sonderberater für bürgerliche und städtische Initiativen für die Stadt San Diego und leiteten die Entwicklung ihres Civic Innovation Lab. Gemeinsam leiten sie die UCSD Community Stations, eine Plattform für engagierte Forschung und Lehre zu Armut und sozialer Gerechtigkeit in der Grenzregion.
Besonders eindrücklich ist bei seiner Forschung die Kritik an der suburbanen Ausbreitung der Stadt San Diego, welche durch die Errichtung von Einfamilienhäusern zu extrem großen Vororten führt.

Ein weiterer, wesentlicher Kern der Untersuchung ist der Strom von Reifen, Garagenteilen und Mobile-Homes welche aus den USA über die Grenze nach Mexiko gelangen und dort umgenutz und recycelt werden.

Auf der Anderen Seite der Grenze hat das Estudio Teddy Cruz einen Vorschlag entwickelt um die Suburbanen gebiete nachzuverdichten und der raumfressenden Siedlungspolitik Einhalt zu gebieten.

Die urbane Explosion der letzten Jahre des Wirtschaftsbooms führte auch zu einer dramatischen Marginalisierung, die in vielen Teilen der Welt zu einer Explosion der Slums führte.  Diese Polarisierung von Enklaven des Megareichtums, die von Armutssektoren und den dadurch entstandenen sozio-ökonomischen Ungleichheiten umgeben sind, steht tatsächlich im Zentrum der heutigen urbanen Krise.  Diese urbane Krise ist nicht nur wirtschaftlicher oder ökologischer Natur.  Sie ist vor allem eine kulturelle Krise, eine Krise der Institutionen, die nicht in der Lage sind, die naive Art und Weise, in der wir gewachsen sind, neu vorzustellen, die nicht in der Lage sind, die hungrige, egoistische Urbanisierung in Frage zu stellen, die die auf Konsum basierenden Städte von Südkalifornien über New York bis Dubai am Leben erhalten hat. Die Zukunft der Städte hängt heute weniger von Gebäuden ab, sondern vielmehr von der grundlegenden Neuordnung der sozio-onomischen Beziehungen, dass die besten Ideen für die Gestaltung der Stadt in der Zukunft nicht aus Enklaven der wirtschaftlichen Macht und des Überflusses kommen werden, sondern aus Konflikt- und Mangelsektoren, von denen eine dringende Vorstellungskraft uns wirklich dazu anregen kann, das Wachstum der Städte heute neu zu überdenken.



Die Grenze zwischen den USA und Mexico im Bereich von San Diege weist einen starken Kontrast in der urbanen Beschaffenheit auf. Nicht zuletzt durch die Wirtschaftlichen gegebenheiten und der Fokus auf das Automobil im ameriaknischen Stadtentwicklungskonzept ensteht ein enormer Flächenbedarf für Städte. So findet sich Beispielsweise südlich der Grenze, mit Tijuana eine Stadt mit ähnlicher Einwohnerzahl aber deutlich geringerer Flächennutzung. Die amerikanischen "Sprawls" sind quasi das endprodukt der Stadtentwicklung wenn man sich nur auf ein Verkehrsmittel, in diesem Fall das Auto, konzentriert.

Die Entwicklung der Metropolregion San Diege im vergleich zu Tijuana ist in den folgenden Grafiken zu sehen.




Teddy Cruz beschäftigte sich, viele der grenzüberschreitenden informellen Ströme über diese Grenze zu messen und zu beobachten: in einer Richtung, von Süden nach Norden, den Strom der Einwanderer in die Vereinigten Staaten, und von Norden nach Süden den Strom der Abfälle aus Südkalifornien nach Tijuana.


Er bezieht sich auf das Recycling dieser alten Nachkriegsbungalows, die mexikanische Bauunternehmer an die Grenze bringen, während amerikanische Bauträger sie entsorgen, um in den letzten Jahrzehnten eine aufgeblähte Version von Vorstädten zu errichten. Es sind also Häuser, die darauf warten, die Grenze zu überschreiten. Nicht nur Menschen überqueren hier die Grenze, sondern ganze Teile einer Stadt ziehen in die nächste, und wenn diese Häuser auf Stahlrahmen gesetzt werden, verlassen sie den ersten Stock und werden zum zweiten, der mit mehr Haus, mit einem kleinen Geschäft, gefüllt wird. Es ist sehr interessant, diese Schichtung von Räumen und Einsparungen zu beobachten.



Aber nicht nur Häuser, sondern auch kleine Trümmer wandern aus einer Stadt, von San Diego bis Tijuana. Ein weiteres Beispiel sind die Gummireifen, die in den Slums zum Bau von Stützmauern verwendet werden. Die Menschen hier, unter den Bedingungen des sozioökonomischen Notstands, haben herausgefunden, wie man den Reifen abzieht, wie man ihn auffädelt und verzahnt, um eine effizientere Stützmauer zu errichten.





Oder die Garagentore, die in Lastwagen aus San Diego gebracht werden, um die neue Haut der Notunterkünfte in vielen dieser Slums am Rande von Tijuana zu werden.





Obwohl es für Teddy Cruz als Architekt sehr spannend ist, Zeuge dieser kreativen Intelligenz zu sein, möchte er die Armut nicht romantisieren. Er will nur andeuten, dass diese informelle Verstädterung nicht nur das Bild der Prekarität ist, dass die Informalität hier, eine Reihe sozioökonomischer und politischer Verfahren ist, die man als Künstler übersetzen könnte, dass es hier um eine Verstädterung von unten nach oben geht, die funktioniert. Gebäude sind nicht nur wegen ihres Aussehens wichtig, sondern tatsächlich sind sie wichtig für das, was sie tun können. Sie treten wirklich in Erscheinung, wenn sie sich im Laufe der Zeit verändern und wenn Gemeinschaften die Räume, Grenzen und Ressourcen aushandeln.



Während also der Abfall nach Süden fließt, gehen die Menschen auf der Suche nach Reichtum in den Norden, und der größte Teil der Forschung, des „Estudio Teddy Cruz + Fonna Forman“ hat mit den Auswirkungen der Einwanderung auf die Veränderung der Homogenität vieler Nachbarschaften in den Vereinigten Staaten zu tun, insbesondere in San Diego. Sie sprechen davon, wie dies darauf hindeutet, dass die Zukunft Südkaliforniens von der Nachrüstung der großen Urbanisierung mit den kleinen sozialen und wirtschaftlichen Programmen abhängt. Wie Einwanderer, wenn sie in diese Viertel kommen, beginnen, die Eindimensionalität von Parzellen und Grundstücken in sozial und wirtschaftlich komplexere Systeme zu verwandeln, wenn sie beginnen, eine informelle Wirtschaft in eine Garage einzuschieben, oder wenn sie eine illegale Einliegerwohnung bauen, um eine Großfamilie zu unterstützen. Dieses sozioökonomische Unternehmertum vor Ort in diesen Vierteln beginnt wirklich Wege aufzuzeigen, wie dies in eine neue, integrative und gerechtere Landnutzungspolitik umgesetzt werden kann.




So werden diese Aktionsviertel zur Inspiration, sich andere Interpretationen von Bürgerlichkeit vorzustellen, die weniger mit der Zugehörigkeit zum Nationalstaat zu tun haben, sondern vielmehr mit der Aufrechterhaltung der Vorstellung von Staatsbürgerschaft als einen kreativen Akt, der institutionelle Protokolle in den Räumen der Stadt neu organisiert.