Eine Sintflut des Suburbanen
Prof. Klaus Schäfer, 25.09.2024
War es nicht das, was vor über drei Jahren – keineswegs nur – das Ahrtal in geradezu apokalyptischer Weise heimsuchte? Und war es naiv, zu glauben, dies sei nun der Turnaround in der Stadt- und Landschaftsentwicklung zu einem radikalen Wandel? Aber wie ließen sich in der Konsequenz die Verhältnisse anders gestalten?
Die Naturkatastrophe war von Faktoren begleitet, die auf menschliches Zutun zurückzuführen sind. Die Zersiedelung der Landschaft erweist sich in mehrfacher Hinsicht – global und lokal – als Treiber einer Konstellation, die mit als Ursache für die Schwere des Unglücks erscheint. Eine Ursache des Klimawandels ist im Energieverbrauch durch immer längere Wege in Folge der Suburbanisierung zu sehen. Die damit verbundene Versiegelung durch Straßen und die Verbauung wichtiger Naturräume schafft lokale Missstände. Die Suburbanisierung führt zu gefährdeten aber auch gefährdenden – und ungestalten – Landschaftsräumen. Die von der Zersiedelung vorangetriebene Ausweisung von Straßenland zerstört die vorhandene Vegetation durch die Emissionen der Verkehrsströme.
Die wenig diskutierten Schäden, die mit der Entstehung dieser Agglomerationen einhergehen, sind die kollektiven Folgen: Segregierte Siedlungsformen, die Trennung von Arbeiten und Wohnen und das Separieren von Kultur und sozialer Infrastruktur erzeugen die ‚Stadtlandschaft‘ einer von sich selbst entfremdeten Gesellschaft.
Die Verhältnisse sind in einer gestalteten Trennlinie zwischen Stadt und Landschaft zu entwickeln, ausgestattet mit Leitbildern. Ein Leitbild ist es, die Schönheit der Landschaft zu rekultivieren und planmäßig auszubauen. Dem Gegenüber gilt es, auch das Ideal einer dichten Stadt als gleichermaßen kulturelles, soziales und nachhaltiges – genau in der Reihenfolge – Wunder der Zivilisation wiederzuentdecken.
Als ein Gut der Schönheit von Stadt und Land gilt ihre Ungleichartigkeit. So schmückte die entschiedene Form des Einen auch die Form des Gegenübers. Der Grad des Kontrastes birgt sowohl eine Qualität der Landschaft, wie auch eine Qualität der Stadt. Die Gegensätzlichkeit wird zur ästhetischen Kategorie des Raumes.
Wir nehmen die Katastrophe zum Anlass, Stoppschilder gegen die anhaltende Krise zu setzen, entgegen den fortlaufenden Statistiken zum Flächenverbrauch in Deutschland, wonach jeden Tag mehr als 70 Fußballfelder versiegelt oder bebaut werden.
Mit Enthusiasmus wenden wir uns dem Vorbild der 15-Minuten-Stadt zu. Naturschutz bedeutet folgerichtig: Absehen von weiterer Landnahme, Rückbau versiegelter Flächen an den Rändern der Agglomerationen oder Qualifizierung einseitig besiedelter Flächen zu urbanen Quartieren. Beide – Stadt und Land – rücken so zueinander, dass auch ihre Wege untereinander an Nähe gewinnen.
Viele Stadtzentren sind heute unbewohnt. Die Innenstadt als Einzelhandelsschwerpunkt war eine Erfindung der Stadtplanung, gemäß dem Funktionalismus der 1960er. Und um das ent-urbanisierte Stadtganze zusammenzuhalten, entstanden breite Fahrschneisen. Gewinnen wir diese Flächen zurück, sollten sie zukünftig besser wieder bebaut werden, anstatt sie zu begrünen.
Die 15-Minuten-Stadt kann nicht gelingen, redet man breite Frischluftschneisen, Grünverbindungen und bepflanzte Hinterhöfe, am besten gleich als Verordnung, herbei. – Im Verhältnis Stadt und Land kann es nicht darum gehen, die Stadt in so etwas wie einen Wald oder eine grüne Landschaft zu verwandeln, sondern eben diese vor weiteren Auswüchsen der Stadt zu schützen. – Das ‚Schwammstadt‘-Ideal setzt das kritikwürdige Stadtlandschaftsprinzip fort, liefert die Theorie für eine weiterhin inselhaft aufgelöste Bebauungsstruktur. Grüne Abstandsflächen schützen – scheinbar – auch vor Nutzungskonflikten. Deshalb ist die Stadtlandschaft immer noch ein beliebtes Siedlungsmodell. Aus der Fußgängerperspektive ist dieser ‚disperse Raum‘ nicht nur der von unfreiwilligen und ermüdenden Wanderschaften, sondern auch ein potentieller Angstraum.
Es braucht Kreativität und Mut in Stadtplanung und Politik, um die nötigen Voraussetzungen für den anstehenden Wandel herzustellen. Mit der Kategorie „urbane Gebiete“ wurde eine erste gesetzliche Vorleistung im Rahmen der Baunutzungsverordnung geschaffen. Dann braucht es die Kreativität von Architektinnen und Architekten für Stadt und Landschaft, um diesem Wandel eine Gestalt zu geben. – Im Schatten einer gebauten Wand ist es mindestens ebenso kühl wie im Schatten eines Baumes!
Flächenverbrauch in Deutschland –
https://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit/strategie-und-umsetzung/reduzierung-des-flaechenverbrauchs
15-Minuten-Stadt –
https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/programme/refo/staedtebau/2023/stadt-der-viertelstunde/01-start.html?pos=2
Schwammstadt –
https://www.umweltbundesamt.de/schwammstadt