Hochschulseminar – Sozialisation im (öffentlichen) Stadtraum
 
Architektur-Soziologie nach Heike Delitz
Marten Bournot, 13.02.2023

Zum Band "Gebaute Gesellschaft. Architektur als Medium des Sozialen" von Heike Delitz

Die Architektur spielte bisher keine große Rolle in der Soziologie. Um eine Gesellschaft zu beschreiben ist sie aber sehr wichtig. Wie soll das soziale Verhalten von Menschen beschrieben werden, ohne den Raum zu beschreiben, welcher durchgehend auf diese einwirkt und in dem sich das komplette Leben abspielt?

Architecture has not played a major role in sociology so far, But in order to describe a society it is very important. How should the social behavior of people be described without describing the space that continuously affects them and in which their entire life takes place?

Mit Architektur sind im Folgenden alle, künstlichen, sichtbaren und greifbaren Räume für das soziale Leben Gemeint. Somit umfasst dieser Begriff nicht nur Gebäude, sondern auch Brücken, Straßen usw.

 

Die Architektursoziologie ist eine relativ junge Unter-Disziplin der Soziologie. Zwar setzten sich schon Menschen wie z.B. der Philosoph Foucault mit diesen Themen auseinander, sie wurde aber bis vor kurzem nicht als eigene Disziplin ausreichend behandelt.

Sie ist immer durch das Raster gefallen, da sie für die Kultursoziologie, welche sich in erster Linie mit Kunst und Religion beschäftigt, zu technisch war und für die Soziologie der Technik zu ästhetisch. Des Weiteren ist es in der Soziologie eher untypisch, einen kreativen Aspekt mit einzuarbeiten und dieser ist in der Architektur stark vertreten. Außerdem planen Architekten erst seit dem Beginn des 20 Jh. nicht mehr nur noch repräsentative Bauten im großen Stil, sondern eben auch Gebäude für die ärmeren Menschen der Gesellschaft, womit eben dieser gesellschaftliche Wert der Architektur entscheidend angestiegen ist.

 

Im Besonderen geht es der Architektursoziologie darum, dass architektonische Artefakte mit in die Betrachtung einbezogen werden. Dies bedeutet, dass die von Menschen geschaffene Dinge (z.B. Gebäude) auch Teil der Soziologie werden. Somit (muss) sieht man jetzt die Soziologie nicht mehr nur als reine Auseinandersetzung zwischen Individuen, sondern bezieht auch die Wirkung von Artefakten mit ein. Denn die Architektur wirkt ständig auf uns ein (durch sie fühlen wir uns sicher oder eben auch unsicher oder sogar bedroht), sie schreibt uns durch Straßen, Zäune und Gebäude vor wo wir uns aufhalten können bzw. dürfen und wo aber auch nicht.


Abbildung 1: Einfamilienhäuser 

Insgesamt geht es darum, dass es nicht wirklich gute Begriffe gibt, um die Interaktion von Gesellschaft und Architektur zu beschreiben. Sie ist nämlich nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft als welche sie häufig dargestellt wird, sondern durch die Architektur baut sich die Gesellschaft erst selber und kann sich auch erst durch diese selbst erkennen. Somit ist es eine sich selbst bauende Gesellschaft.

Die Architektur hat immer den Anspruch etwas Neues zu schaffen, das Alte zu verbessern, die Gesellschaft zeitgemäß zu machen. Somit hat die Gesellschaft einen immensen Anspruch, das soziale Leben zu formen und zu gestalten. Zum Beispiel gehen Gebäude, welche besonders klimagerecht sind eine Art Vorreiter Rolle in der Gesellschaft ein und prägen somit diese, in diesem Bereich weiter voran zu gehen. Darüber hinaus hat die Architektur aber noch einen anderen wichtigen gesellschaftlichen Anspruch sie fixiert diese, denn die Gesellschaft braucht das Gebaute, um das Gesellschaftliche Ich vor zu starker Fluktuation zu schützen und festzuhalten. Die Architektur ist somit eine symbolische Konstitution der Gesellschaft.

Beispiele:


Abbildung 2: Narkomfin

Einer der größten Wandel den eine Gesellschaft in den letzten ca. 100 Jahren vollzogen hat war die russische Revolution. Deswegen ist es gerade hier interessant zu sehen welches Gewand sich diese neue Gesellschaft gab. Mit dem Gebäude Narkomfin (1930) wurde hier ein Bauwerk geschaffen welches weniger Wert darauflegte, viele möglichst private, autarke Wohnungen zu schaffen, sondern ein Gebäude zu planen, in dem es neben nur den nötigsten an wirklich privaten Rückzugsräumen viele Gemeinschaftsräume gibt. Es gab jedoch noch viele weitere zum Teil extreme Ansätze, um die Veränderung der Gesellschaft so einfach wie möglich zu gestalten. So gab es auch Wohnungen, die mehr Privatsphäre boten. In diesem Sinne gab es 6 Stufen an Wohnungen, die immer stärker von den alten Verhältnissen abrückten und immer mehr das gemeinschaftliche Leben in den Vordergrund stellten. Somit konnte sich die Gesellschaft in diesem Haus perfekt selber erkennen, weil es genau diesen Umschwung von etwas Altem zu etwas Neuen darstellt.


Abbildung 3: Goethes Sommerhaus
Im Gegensatz dazu stand in Deutschland ab 1930 die Suche nach dem Urtyp des deutschen Hauses im Vordergrund. Der Aufstieg des Faschismus führte dazu, dass es eher zu einem Rückschritt in der Gesellschaft kam und somit nicht nach neuem gestrebt wurde. Eher sollte eine deutsche Tradition des Bauens gefunden werden.  Hier wurde am Ende das Sommerhaus Goethes gefunden, welches dann als Beispiel für das perfekte traditionelle Wohnen dienen sollte.
Somit hat sich hier eine rückständige Gesellschaft auch ein altes Gewand gegeben welches sie repräsentieren sollte und in welchem das gesellschaftliche Leben stattfinden sollte.


Abbildung 4: Unite d`Habitation

Ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Gebäude als ein Sinnbild für eine Gesellschaft stehen kann ist die „Unité d’Habitation“ von Le Corbusier. Hier wurde ein großes Wohnhaus geschaffen, welches über 300 Wohnungen beherbergt und völlig gelöst von seiner Umgebung ist und somit überall einfach errichtet werden kann. In dem Bauwerk sollten auch ein Friseur, eine Post usw. untergebracht werden sowie ein Kindergarten auf dem Dach geschaffen werden. Dieses Gebäude passt somit perfekt in die kapitalistische Gesellschaft, es optimiert das Leben in dem Sinne, dass das Haus nur noch zum Arbeiten verlassen werden muss. Es kann seriell überall gebaut werden und verschlankt somit den Planungsprozess. Es wird so einfach wie möglich gemacht, ein Wohnumfeld für die arbeitende Bevölkerung zu schaffen, in welchem sie sich täglich so gut wie nötig von der Arbeit erholen können und dann wieder effektiv dem Arbeitsprozess zur Verfügung stehen.

Literaturverzeichnis:

Delitz, H. (2009). Gebaute Gesellschaft, Architektur als Medium des Sozialen. Campus

Bundeszentrale für politische Bildung, Architektur + Soziologie = Architektursoziologie,

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/31936/architektur-soziologie-architektursoziologie/ (13.02.2023)

 
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: 
https://abes-online.com/publikationen/ratgeber/neubaugebiete-fuer-die-zukunft/
 
Abbildung 2: https://ginzburg-architects.com/en/projects/restoration/dom-narkofmina/moskva
 
Abbildung 3: https://de.wikipedia.org/wiki/Goethes_Gartenhaus#/media/Datei:Weimar_Goethe_Gartenhaus_1900.jpg

Abbildung 4: https://de.wikipedia.org/wiki/Unit%C3%A9_d%E2%80%99Habitation#/media/Datei:Corbusierhaus_Berlin.jpg