Hochschulseminar – Sozialisation im (öffentlichen) Stadtraum
 
Mobilität und Sozialisation
Sebastian Görs & Till Jochem, 06.02.2023

The following article deals with the process by which an individual becomes the participant in our mobile society. Initially, the rise of the car is described and how cities have oriented their transportation planning towards a car-friendly environment.

Your development plays a large role in what attitude you have toward the various means of transportation. A person who grew up in the countryside has a much more positive view of the car than a person who has spent his or her entire life in the city. In addition to the local component, the social environment also plays a major role. For example, a person is more likely to get their driver's license if their friends already own one or want to get their license as well.

Large areas of our cities are made up of roads and parking lots. Built for cars that are not used most of the time and just take up space. To make the change from a car-focused city to a city which orients its planning towards the needs of its inhabitants, we need to invest in other mobility concepts. We must move towards a bicycle-friendly infrastructure and an expanded public transportation system. Examples of this are the superblocks in Barcelona or the concept of the 15-minute city, which is applied in Paris.

 

Begriffserläuterung:

Verkehr und Mobilität

Verkehr und Mobilität beschreiben sich durch Bewegung stattfindende Veränderung des Standorts von Personen oder Gütern. Sie gewährleistet somit die Integration verschiedener Lebensbereiche an verschiedenen Standorten.

Mobilitätssozialisation

Claus Tully und Dirk Bayer (deutsche Soziologen) definieren Mobilitätssozialisation als einen kontinuierlichen Prozess, durch welchen ein Individuum zu einem Teilnehmer der/einer Mobilitätsgesellschaft wird. Als Ergebnis dieses Prozesses stellt sich ein eigenwilliger-mobilitätsbezogener Lebensstil, welcher langfristig gefestigt ist heraus.

 

Historisch:

Durch den Wiederaufbau der Städte hat sich ein Stadtbild entwickelt, welches von Autos dominiert wird. Unsere Stationen des Alltags wurden aufgetrennt und in der Stadt verteilt, was zur Folge hatte, dass lange Wege zwischen diesen Stationen entstanden. Die Station des Wohnens wurde außerhalb des Stadtkerns platziert, während das Arbeiten und Einkaufen im Inneren der Stadt vorzufinden sind. Verbunden wurde alles mit einer autogerechten Verkehrsplanung.
Kaiser-Friedrich-Ufer und Grindelhochhäuser


Deutsche Pioniere der Automobilindustrie

Wirft man einen Blick auf deutsche Ingenieure, Konstrukteure und Unternehmer, die einen prägenden Anteil an der Entwicklung des Automobils haben, wird schnell klar, wie das Auto zu einem derart prägenden Element der deutschen Gesellschaft werden konnte.

Das 1886 entstandene, dreirädrige Velociped entworfen von Carl Benz, und die im selben Jahr von Daimler Benz entwickelte Motorkutsche zeigen die Anfänge des motorisierten Automobils.

Das Automobil

Die Attraktivität, sich durch ein Automobil unabhängig von den Abfahrtszeiten der Eisenbahn zu machen, wurde bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts schnell erkannt. Die Flexibilität, jederzeit die. Fahrt beginnen zu können und auch außerhalb der gelegten Schienenstränge auf Straßen zu fahren, verband sich mit individuellen Freiheitsgefühlen.

Um ein gesteigertes Interesse in der Gesellschaft zu erreichen, sorgte der 1903 gegründete Allgemeine Automobilclub (ADAC) für eine höhere Medienpräsenz. Außerdem waren öffentliche Ausstellungen und Rennen häufiger Bestandteil vieler Berichterstattungen.

Zwischen 1914 bis 1918 kam es durch die Industrialisierung des Krieges Entwicklungsschübe zu Gunsten des Nutzfahrzeugbaus. Sie unterbrach allerdings den Wachstumsimpuls der Kraftfahrzeugindustrie. Adolf Hitler brachte nach seiner Übernahme der Regierungsgewalt 1933 eine steuerliche Unterstützung für die Automobilindustrie auf den Weg.

Zusammen mit dem Autobahnbau, sowie der Unterstützung des Rennsports wirkte die nationalsozialistische Politik als Förderung für das Auto.

Die Wirtschaft und Produktion stiegen an. Es kam zur Vervierfachung der Belegschaften.  Das Volkswagenwerk galt als Vorbote einer späteren "Massenmotorisierung" in einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft. Auch nach dem Untergang des NS-Regimes benötigte man für den Wiederaufbau von Verwaltung und Versorgung Autos.

Das Auto wurde zum Motor des sogenannten Wirtschaftswunders und die Pkw-Produktion ging nach der Währungsreform geradezu durch die Decke. So sind Automobile bis heute ein prägender Teil deutscher Wirtschaft und ein präsenter Bestandteil vieler Deutsche im Alltag.

Das Ur-Fahrrad

Schnell wird vergessen, dass auch das Fahrrad seine ersten Züge in Deutschland erlangen hat. 1817 entwickelt der deutsche Forstbeamte Karl von Drais die Draisine.

Dabei handelt es sich um ein zweirädriges Vehikel, das heute als Vorgänger des modernen Fahrrads verstanden werden darf. 

 

Statistiken:

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die Dominanz der Autos ist vor allem durch den Flächenverbrauch des Verkehrs in den Städten zum Vorschein kommt. Parkplatzflächen in Berlin nehmen 17 Quadratkilometer ein und die gesamte Verkehrsfläche ganze 136 Quadratkilometer. Dieser Platzverbrauch steht nicht im Verhältnis mit der eigentlichen Nutzung von Autos. Im Durchschnitt steht ein Auto 23 Stunden am Tag still und wenn es bewegt wird, ist es im Schnitt auch nur mit 1,5 Personen besetzt. Auch die eigentlichen Vorteile des Autos, schnell und bequem, ans Ziel zu gelangen kann es in vielen Fällen in der Stadt nicht ausspielen. Staus und Parkplatznot bremsen den Individualverkehr stark aus, sodass es in vielen Fällen schneller ist auf Bus, Bahn oder das Fahrrad umzusteigen.

Nudging und Investitionen

Um vom Auto weg zu kommen, braucht es Anreize auf das Fahrrad oder den Bahnverkehr umzusteigen. Durch das sogenannte Nudging kann man Menschen, ohne Regeln oder Verbote, zu bestimmten Entscheidungen leiten. Ein ausgebautes Radwegenetz, Haltestangen an Ampeln oder grüne Welle für Radfahrer sind Beispiele dafür. Um das umzusetzen, braucht es entsprechende Investitionen. Hier fallen deutsche Städte hinter den Städten unserer Nachbarländer deutlich zurück. Während die Ausgaben in das Radwegenetz in Kopenhagen bei 35 Euro pro Kopf liegt, werden in Berlin 5 Euro und in München nur 2,30 Euro pro Kopf investiert. 

Ähnlich sieht es mit dem Bahnverkehr aus.  Auch hier liegt Deutschland, mit 124 Euro pro Kopf, hinter seinen Nachbarländern. In Österreich sind es 271 und in der Schweiz 413 Euro. Außerdem ist das Streckennetz rückläufig. Während das Schienennetz im Jahr 1994 noch 44.600 km betrug, sind es heute nur noch 38.400 km.

 

Aneignung:

In diesem Feld wollen wir beleuchten, wie sich eine heranwachsende Person seine Umwelt erschließt.

Lebenslauf

Das beginnt mit der Familie, in die ein Kind hineingeboren wird. 2021 gab es gut 120.000 Scheidungen mit Kindern, wodurch es sich nach der Geburt möglicherweise schon um eine Pendlerbeziehung handelt, sodass ein Kind an verschiedenen Orten aufwachsen kann. Aber auch im gewöhnlichen Fall nimmt die Anzahl an Interaktionskontexten unweigerlich mit dem Alter zu. Aufwachsen bedeutet heute, sich mit einer differenzierten sozialen Umwelt auseinanderzusetzen. Durch den Zugang zu verschiedenen Verkehrsmitteln, kommt es natürlich zu einer stetigen Erweiterung des Aktionsradius, mit der sich ein Kind mit seiner Umwelt vertraut macht. Die mit dem Alter zunehmende Ausdifferenzierung örtlicher und sozialer Bezüge wird von Soziologen in zwei Modellen beschrieben.

Das Inselmodell

Das Inselmodell beschreibt den Lebenslauf eines heranwachsenden Kindes in Form von Inseln, an denen Aktivitäten des Kindes stattfinden.

Um zu den Aktivitätszonen zu gelangen bedarf es häufig der Begleitung durch Autoritätspersonen. Die Strecke wird dabei technikgestützt absolviert. Grund dafür ist die Stadtarchitektur, in der die Konzentration von Funktionen an getrennt voneinander liegenden Standorten stattfindet.

Die Distanzen zwischen den einzelnen Zonen sind z.T. weit und gefährlich. Im Laufe des Heranwachsens entwickeln junge Menschen dann ihre jeweils eigenen Stile, die Mobilitätserfordernisse zu bewältigen.

Das Zonenmodell

Das Zonenmodell basiert auf einem homogenen, multifunktionalen Raumbild von Elisabeth Pfeil der 1950er Jahre. Es geht davon aus, dass sich Kinder peu à peu die räumliche Welt um ein Zentrum herum erschließen. Der Aktionsradius und die Reichweite nehmen mit dem Älterwerden sukzessive zu.

Mobilitätsentwicklung

Bei diesem Kapitel geht es um die Fragestellung, wie, oder durch wen Personen zu einer individuellen Haltung und Entscheidung, wie am Verkehr teilgenommen wird, entwickelt wird.

Mesosoziale Bedingungen

Eltern, Geschwister und Verwandte sind die Personen, mit deren Einstellungen, Wertevorstellungen und Verhalten junge Menschen zuerst in intensiver Weise in Kontakt kommen. Es ist daher, wie auch in vielen anderen Bereichen, davon auszugehen, dass der Familie im Rahmen der Mobilitätssozialisation eine wichtige Rolle zufällt.

Den höchsten Ausstattungsgrad an PKWs weisen Mehrfamilienhaushalte mit Kindern auf. Jeder fünfte Haushalt in Deutschland verfügt über kein Auto. Dabei gibt es kaum Mehrpersonenhaushalte mit Kindern, die kein Auto besitzen. Die Familienkonstellation hat somit häufig Einfluss auf die Mobilitätsgestaltung der Familien.

Der mobilitätsbezogene Lebensstil wird zunächst im familiären Zusammenhang kennengelernt. Kinder, deren Eltern eine positivere Haltung zum Pkw haben, sind selbst positiver dem Auto gegenüber eingestellt.

Abgesehen vom Elternhaus des Individuums, sind im Jugendalter auch die Freundinnen und Freunde wichtig in Bezug auf die Gestaltung von Mobilität.

Freundesgruppen dienen unter anderem dem Zweck die Distanz zur Erwachsenenwelt zu demonstrieren, sind aber zugleich auch Mittel, um die Integration in die Freundesgruppe zu gewährleisten.

Die Entscheidung zum Ablegen des Pkw-Führerscheins ist nicht unabhängig davon, ob andere Personen aus Kreis der Freund*innen dies ebenfalls getan haben.

Die Nutzung des ÖPNVs ist dann hoch im Kurs, wenn Gleichaltrige diese ebenfalls gut finden. Neben dem Alter oder dem Geschlecht sind weitere Faktoren hinsichtlich Ausgestaltung der Mobilität prägend. Dazu gehört unter anderem auch der soziale Status, oder der Ort des Aufwachsens. So haben Menschen, die in ländlicheren Räumen aufgewachsen sind, tendenziell eher den Wunsch, später ein eigenes Auto zu besitzen.

Mobilitätsbiografien

Mobilitätsbiografien entstehen durch bestimmte Schlüsselereignisse, die diese bilden, aber auch verändern können. Das heißt, dass sich zum Beispiel die Entscheidung ein Auto zu besitzen durch Schlüsselereignisse ändern kann.

Zu solchen Schlüsselereignissen gehören: die Änderung des Wohnortes (Wohnbiografie); der Berufseinstieg, oder ein Berufswechsel (Erwerbsbiografie); die familiäre Änderung im eigenen Zuhause. (Haushaltsbiografie)

 

Konzepte:

Um den Bewohnern mehr Raum in den Städten zu bieten, gibt es verschiedene Konzepte. 

Ein Konzept sind die Superblocks in Barcelona. Dort werden Häuserblöcke zusammengefasst, die Straßen vom Autoverkehr befreit und zu fußgängerfreundlichen, öffentlichen Räumen umfunktioniert. Der Verkehr wird außen herumgeleitet. 
Superblocks in Barcelona

Ein weiteres Konzept ist die 15-Minuten Stadt. Hier ist das Ziel, wie der Name schon sagt, eine Stadt, in der man alle Wege des Alltags in 15 Minuten oder weniger zurücklegen kann. Um das zu erreichen, muss man die Funktionstrennung auflösen und die Stationen (Arbeiten, Einkaufen und Wohnen) gleichmäßig in der Stadt verteilen.

Bei beiden Konzepten ist es das Ziel, die Stadt an die Bedürfnisse der Bewohner anzupassen, ihnen mehr Raum zu bieten und so die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern.

Quellen:

Literatur:

Verkehrspolitik: Eine interdisziplinäre Einführung I Oliver Schwedes I 2011 I Springer VS

Mobilitätsbiografien und Mobilitätssozialisation Lisa Döring I 2018 I Springer VS

 

Internet:

www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/298742/kleine-geschichte-des-automobils-in-deutschland/

www.efahrer.chip.de/news/adac-warnt-vor-kinder-im-lastenrad-so-schwer-sind-unfaelle-bei-30-kmh_105698#:~:text=Bei%20dem%20Sicherheitstest%20kamen%20vor,weiter%20%C3%BCber%20den%20Boden%20gerutscht.

www.zeit.de/mobilitaet/2022-11/autoindustrie-verkehrswende-mobilitaet-verkehrspolitik-studie#:~:text=So%20wuchs%20die%20maximale%20Pkw,Steigerung%20um%20fast%2035%20Prozent.

www.deutschlandfunkkultur.de/geburtsstunde-des-ur-fahrrads-wie-karl-drais-die-draisine-100.html

https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Nachkriegsarchitektur-Visionen-einer-neuen-Stadt,nachkriegsarchitektur102.html

https://www.swr.de/radfahren/artikel-investitionen-in-radverkehr-heidelberg-100.html

https://www.ardalpha.de/wissen/psychologie/nudging-verhalten-gewohnheiten-leichter-veraendern-beeinflussung-100.html

https://www.greenpeace-magazin.de/aktuelles/die-15-minuten-stadt

https://www.radfahren.de/story/platz-rad-flaechenverbrauch-pkw/

https://blog.ptvgroup.com/de/stadt-und-mobilitaet/platz-autos-urbaner-raum/

https://www.fairkehr-magazin.de/archiv/2018/fk-05-2018/titel/flaechengerechtigkeit-in-der-stadt/

https://www.zeit.de/mobilitaet/2018-04/barcelona-verkehr-problem-autofahrer-smart-data

https://enorm-magazin.de/gesellschaft/urbanisierung/superblocks-von-barcelona

https://www.riffreporter.de/de/gesellschaft/carsharing

Bildquellen:

https://unsplash.com/photos/nD2WzCZrlLE

https://img.zeit.de/hamburg/stadtleben/2014-11/hamburg-luftaufnahmen-fs-bilder/11-hamburg-luftaufnahmen.jpg/imagegroup/original__619x620__desktop__scale_2