Sebastian Rudy, 5.2.2008
The Situationist International (SI) was formed as an international group in 1957 by former members of Lettristic International (LI), International Movement for an Imaginistic Bauhaus (IMIB) and London Psychogeographical Society – based on the early 20th century avantgarde movements – to aspire major social and political transformations. Their theories – published in an own journal named ‚International Situationist‘ – were a blend of Marxism and anarchism and they criticised modern consumer society for alienating people and turning their lives into meaningless pursuits of commodities. The SI disbanded in 1972.
Retrospektiv gesehen wird die Situationistische Internationale (im nachfolgenden nur noch S.I. genannt) als eine der unbekanntesten und doch einflussreichsten (Anti-)Kunstbewegungen des 20. Jahrhunderts genannt.
Sie bestand von der Gründungskonferenz im Juni 1957 bis zur offiziellen Bekanntgabe ihrer Auflösung im April 1972 knapp 15 Jahre und umfasste circa 70 Mitglieder in der Zeit, von der die treibende Kraft und die Leitfigur von Anfang bis Ende Guy Erneste Debord (1931-1994) war.
Das grundlegende Konzept der S.I. war an der Schnittstelle von Kunst, Politik, Architektur und Wirklichkeit die Abschaffung von Repräsentation (‚Spektakel‘) und die Realisierung der ursprünglichen Versprechungen der Kunst im Alltagsleben. In diesem Zusammenhang waren die Ziele unter anderem die Abschaffung der Ware, der Arbeit, der Technokratie und Hierarchien, also die Untergrabung jeder Autorität, die Zerstörung aller Machtsymbole und die Abschaffung der Kunst. Die Formen zur Umsetzung waren die Bildung von Konzepten zur ‚Theoretischen und Praktischen Herstellung von Situationen‘, in denen das Leben selbst zum Kunstwerk werden sollte. Man betrachtete die totale Ablehnung des kulturellen Spektakels als Kampf gegen die spätkapitalistische Enteignung.
Die direkten Vorgänger der S.I. sind die Lettristen, die eine bedingungslos dem Protest verpflichtete Subkultur pflegten, und CoBrA, die Kunst aus dem elitären Reservat befreien und zu einem Produkt aller Menschen machen wollten. Die skandalwütigen Lettristen (von Isodore Isou 1946 in Paris gegründet), die durch Zerstörung der Poesie mittels des Zerhackens der Sprache eine befreite Neuschöpfung schaffen wollten wählten als Mittel der Hauptkommunikation ihrer Ideen eine selbst herausgegebene Zeitschrift ‚Potlach‘ und medienwirksame Skandale (Ostergottesdienst 1950).
Innerhalb der Lettristen bildeten sich alsbald 2 Strömungen, wobei Guy Debord als Mitglied der aktionistischen Gruppe der Lettristen, die sich 1952 offen abspaltete (nachdem ein Anschlag der aktionistischen Gruppe auf einen Chaplin-Besuch von Isou verraten wurde), die Lettristische Internationale (L.I.) gründete. Sie bestand aus ehemaligen Studenten, Dichtern und Filmemachern, die es sich untersagten Kunst zu machen und zu arbeiten. So schlug man sich mit Kleinkriminalität und Bettelei durch. Man sah als Ausruck wirklich gelebter Kunst an, wenn man die ganze Nacht ohne Geld in der Tasche durchtrinken konnte (der Alkoholismus und seine Folgen sollte Debord schlussendlich 1994 in den Selbstmord treiben). Die Mitglieder der L.I. propagierten eine an den städtischen Raum gebundene Lebenskunst kämpferischen Stils. Dezimiert wurde die Gruppe durch Suizide, Zwangseinweisungen in Psychiatrie und Gefängnis oder durch den Ausschluss ‚Praktiziernder Künstler‘, also Leute die Kunst vollenden und zu Geld machen (eine Praxis, die sich später in der S.I. wiederholen sollte).
Entwickelte Theorie und Praxis war das ziellose, ‚sinnlose‘ Herumtreiben in Paris. Man schweifte durch unbekannte Stadtteile nur der momentanen Lust verpflichtet und den Zügen der Architektur folgend. Diese ‚Dérive‘ genannte Praxis wurde später in der Zeitschrift der S.I. so definiert: ‚Mit den Bedingungen der städtischen Gesellschaft verbundene experimentelle Verhaltensweise oder Technik des beschleunigten Durchgangs durch verschiedene Umgebungen. Im besonderen Sinne auch die Dauer einer ununterbrochenen Ausübung dieses Experiments.‘
Daraus entwickelte sich die ‚Psychogeographie‘, bei der ganze Strassenzüge peinlich genau darauf untersucht wurden inwieweit ihr Durchschreiten Lust oder Unlust bereitete. Die festgehaltenen Ergebnisse waren die Grundlage von Kritik an urbanen Strukturen.
So entwickelte man den ‚Unitären Urbanismus‘ mit der Erarbeitung emotional begründeter Stadtpläne, die als Grundlage utopischer Umgebungen dienen sollten. Da man die aktuelle Stadtplanung (Trennung der Einheiten) ablehnte, diente der Unitäre Urbanismus als Gegenthese und Kritik daran. Die Trennung war für sie im Marxschen Sinne konstituierend (lebensgebend) für den Kapitalismus (kurz: die Trennung erzeugt eine künstliche Mangelsituation, die Herrschaft des Mangels ist die notwendige Voraussetzung für die Welt der Waren). Genauso verhält es sich mit der warenförmig organsierten Freizeit, sprich Unterhaltung und Spektakel. Langeweile ist hierbei der vorherrschende Zustand der Warenwelt und das Spektakel der Kanal der Information darüber. So sah man z.B. die Freizeitkultur als Langeweileschaffend, die sie produziert, verkauft, ihre Profite einstreicht und wieder investiert (Beispiel Teufelskreis des Tourismus).
Mittel zu Kritik war die Aneignung, beziehungsweise die Zweckentfremdung (‚Détournement‘) von bereits gefertigten ästhetischen Elementen, um sie mit unerwarteten Botschaften gespickt zurückzuspucken in die Gesellschaft. Diese Massenmedienguerilla umfasste Comics, Filme, Fotoromane, Triviale Kunst, etcetera. So war zum Beispiel Debords Ansatz im Film der sogenannten ‚Gesellschaft des Spektakels‘ eine provozierende Monotonie entgegenzusetzen oder die politisierten Comics.
Die eigentliche S.I. wurde dann 1957 im Norditalienischen Cosio d‘Arroscia gegründet. Es vereinigten sich auf diesem internationalen Treffen verschiedene neo-avantgardistische Bewegungen durch ihre Vertreter (z.B. Asger Jorn - vormals CoBrA, jetzt M.I.B.I./Bewegung für ein imaginäres Bauhaus; Ralph Rumnney - Londoner Psychogeographische Gesellschaft; Guy Debord und Gil Wolman - Lettristische Internationale). Sie alle waren an einer Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit durch ästhetische Konzepte und einer entsprechenden Praxis interessiert.
Auch die S.I. beschäftigte sich mit Malerei, Theorie, Geschichte und Stadtplanung im Zusammenhang mit künstlerischer Produktion und revolutionärer Umwälzung des Alltags (Beispiel ‚New Babylon‘ von Constant), aber unter Ablehnung schaffender Kunstproduktion. So konstatierte Debord: ‚Das kommende Kunstwerk ist die Konstruktion eines leidenschaftlichen Lebens.‘
Die Ablehnung der Kunstproduktion als Teil des Spektakels führte zu zahlreichen Ausschlüssen schaffender Künstler aus der S.I. (z.B. Constant, SPUR, Jorn, usw.). Sie wurden regelrecht konsequent abgestossen und in der eigenen Zeitschrift wurden Nachrufe veröffentlicht. Aus dieser Praxis überlebte die Strömung der Theoretiker innerhalb der S.I.. Man setzte das fort, was die L.I. begonnen hatte, den Versuch der umfassenden sozialen und kulturellen Revolution. Man hatte das Eigenbild der S.I. als Zersetzer von Systemen und Institutionen.
Als vergleichbare Grundlagensituationen liess man nur die Unruhen in Watts/L.A. 1965, Versammlung und Streik des ‚Free Speech Movement‘ an der Uni von Berkeley/Kalifonien 1964 oder die Eskalationen zwischen Rockern und der Polizei gelten. Die aus Nationalem Freiheitskampf geborenen politischen Systeme der Kommunisten hingegen wurden als Bürokratien in die Reihe der Feindbilder gestellt, da sie wie die westlichen Kapitalistensysteme (nur rückständiger) waren.
Mit ihrer radikalen, kaltschnäuzigen, hintergründigen und abgründig-humoristischen mit Hang zur Selbstpersiflage wurden sie jedoch seitens des Establishments zwar irritiert wahrgenommen, jedoch keinesfalls für voll.
Nach einer Reihe von theoretischen Veröffentlichungen und einer eigenen Magazinreihe, die international geschrieben und unter Debords Fuchtel veröffentlicht wurden erregte eine Schrift schliesslich im Zusammenhang mit studentischem Aufbegehren endlich Aufmerksamkeit. Im Jahr 1966 wurden 5 zur Störung bereite Studenten eher versehentlich in den Studentenrat von der Strassburger Uni gewählte Studenten und missbrauchten die zu Verfügung stehenden öffentlichen Gelder, um das von der S.I. verfasste Pamphlet: ‚Über das Elend im Studentenmillieu, betrachtet in seinen ökonomischen, politischen, psychologischen, sexuellen und vor allem intelektuellen Aspekten, und einige Mittel zur Abhilfe‘ in einer qualitätvollen 10.000er Auflage zu drucken. Hierin werden in 10 Jahren gereifte Theorien auf den Punkt gebracht und genüsslich und fundiert alle Sicherheiten und Autoritäten in Frage gestellt. Nebenbei wird sorgsam und respektlos die Identität der Studenten zerlegt. Das (letztendlich gescheiterte) Strassburger Ereignis stellte die erste grosse medienwirksame Plattform für die S.I. dar und das Pamphlet verbreitete sich in mehr als 300.000 Nachdrucken über Frakreich und schliesslich ganz Europa.
2 Jahre später geschah nach scheinbar belanglosen Störungen an der Uni von Nanterres das Unglaubliche: Eine Kette von Reaktionen führte zu Besetzungen der Sorbonne und von vielen Betrieben (Generalstreik), die fast zum Sturz der französischen Regierung führten. Fabrikarbeiter, Angestellte, Professoren, Krankenschwestern, Ärzte, Sportler, Busfahrer und Künstler gingen auf die Strasse, bauten Barrikaden und prügelten sich mit der Polizei. Dazwischen fungierten Mitglieder der S.I. als Parolengeber, um die Besetzungen voranzutreiben. Nachdem die Proteste verebbten und einschliefen und nach einem überwältigendem Sieg der Regierung bei eilig angesetzten Neuwahlen und bedingt durch von dem vermeintlichem Ruhm angelockten Trittbrettfahrern (abfällig Pro-Situs genannt) brach das Kunstgebilde der S.I. schliesslich in sich zusammen. Um den geschliffenen Diamanten der S.I. letztlich nicht zu verschmutzen und einen eigenen Mythos zu schaffen verstiess Debord den Rest der Aktiven und verkündete 1972 den Tod der S.I..
Diverse Gruppierungen nahmen das situationistische Gedankengut auf und interpretierten ihre eigenen Aktionen daraus (z.B. King Mob mit der Weihnachtsmannaktion). Auch tauchen immer wieder die Parolen auf, z.B. in der Musik und Kunst (Sex Pistols, Ian Brown, usw.)
Zitierte Werke
Ford, Simon. ‚Die Situationistische Internationale - Eine Gebrauchsanleitung‘. Hamburg: Edition Nautilus, März 2007
Diverse. ‚Archplus 183 - Situativer Urbanismus‘. Aachen: Arch+ Verlag, Mai 2007
Internetquellen
http://www.trend.infopartisan.net/trd0499/t080499.html
http://www.kunstaspekte.de/index.php?tid=35804&action=termin
http://www.barbelith.com/cgi-bin/articles/00000011.shtml
http://en.wikipedia.org/wiki/Situationist_International