Sebastian Görs, Hannes Mehrtens, Lennert Merenz, Paul Mokros, 27.01.2025
These: Fragestellung
In wie weit beeinflusst vertikale Distanz den audio-verbalen und visuellen Dialog zweier Personen untereinander?
Ab welcher Höhe werden die visuelle Wahrnehmung und der verbale Austausch stark eingeschränkt und ab wann reißt dieser gar ganz ab?
Ziel des Experiments ist es, den Abriss der visuellen und verbalen Dialogmöglichkeiten zwischen Personen innerhalb und außerhalb eines Gebäudes zu untersuchen.
Aufbau: Ort und Kontext
Der gewählte Raum und das gewählte Gebäude hatten mehrere Voraussetzungen.
Dem Gebäude müssen eine Mindestanzahl von 8 Geschossen vorliegen. Vor diesem Gebäude muss es eine Platzfläche geben, die für Publikumsverkehr durch Fußgänger offen zugänglich ist. Zudem sollte das Experiment im städtischen Kontext stattfinden.
Die Wahl fiel auf das AB-Gebäude der Hochschule Bremen. Dieses weißt eine Geschossanzahl von 11 Vollgeschossen (einschl. Erdgeschoss auf).
Die Platzfläche die sich direkt an diesem Gebäude, wie auch der angrenzenden Mensa befindet ist für alle Personen offen zugänglich.
Zudem qualifiziert diesen Ort, dass alle am Kurs teilnehmenden Personen dieses Gebäude kennen und somit ein Gefühl für das städtische Gefüge und den umliegenden Kontext haben.
Ablauf: Protokoll
Das Experiment wurde Anfang Januar 2025 durchgeführt. Wichtig war es, dass Spiegelungen in den Fenstern durch starken Sonnenschein, oder locker-bewölkten Himmel vermieden werden konnten, damit der Fokus klar auf dem Menschen im Gebäude, und nicht dem Gebäude selbst galt.
An diesem Tag war der Himmel komplett durch eine Wolkendecke bedeckt, wodurch Spiegelungen jeglicher Art vermieden werden konnten. Es war trocken bei circa 2°C.
Für eine problemlose, ungehinderte Sicht, ohne Spiegelung in den Fenstern des Gebäudes wurden die Fotos der Person im Inneren des Gebäudes bei geöffnetem Fenster des jeweiligen Geschosses aufgenommen.
Die Fotos wurden aus nord-westlicher Richtung zentral auf das AB-Gebäude bei einer Distanz von circa 15 Metern aufgenommen. Von den verschiedenen, vertikalen Distanzen wurden Fotos aufgenommen.
Die Geschosswechsel wurden sowohl vom Inneren ins Äußere dokumentiert um die Sichtbeziehungen aus dem Gebäude heraus festzuhalten, als auch von außen nach innen, um festzustellen, wie gut die Person innerhalb des Gebäudes zu sehen ist.
Neben der beiden am Dialog beteiligten Personen war eine weitere Person mit der Person im Gebäude und eine weitere mit der Person außen. Diese Personen haben die verbalen und visuellen Gesten dokumentiert.
Nach jedem Geschoss haben die beiden am Dialog beteiligten Personen ein Feedback über die Interaktion mit der anderen Person und dessen verbalen und visuellen Gesten abgegeben.
Unsere wesentlichen Erkenntnisse waren die Folgenden:
Im Erdgeschoss war bis auf die für einen Dialog untypische, horizontale Distanz der verbale und visuelle Dialog problemlos.
1. Obergeschoss
Auch im 1. Obergeschoss blieben jegliche Details von Mimik und Gestik erkennbar und die verbale Kommunikation war auch ohne das Anheben der Lautstärke ungehindert möglich.
Bis zum 3. Obergeschoss änderte sich bis auf den Winkel nichts. Sowohl Mimik, als auch Gestik blieben klar wahrnehmbar. Die Person im Außenbereich konnte auch feine Gesichtsausdrücke der Person im Inneren erkennen und richtig deuten.
Ab dem 4. Obergeschoss wurde die Mimik der Personen gegenüber zunehmend unklar. Details wie feine Gesichtsausdrücke durch schnelles Augenzucken waren schwer erkennbar. Windgeschwindigkeiten von etwa 30 km/h sorgten dafür, dass der verbale Austausch schwieriger wurde.
Gestiken, wie Handzeichen blieben nach wie vor erkennbar, jedoch weniger deutlich.
Im 5. Obergeschoss war die visuelle Wahrnehmung stark eingeschränkt. Die Mimik war nicht zu erkennen und auch die Gestik wurde, sofern sie nicht überspitzt war nicht zu identifizieren. Der verbale Austausch war nur noch über lautes Rufen möglich.
Im 8. Obergeschoss waren nur noch große Bewegungen, wie das Winken sichtbar. Lautes Rufen wurde zum Schreien. Selbst dabei musste die Person im Außenbereich konzentriert zuhören.
10. Obergeschoss
Im 10. Obergeschoss blieb lediglich das geöffnete Fenster zu identifizieren. Der zunehmend steile Winkel machte die Einsicht vom Außenbereich in den Innenbereich fast unmöglich.
Die wesentliche Erkenntnis, die wir als angehende Architekten aus unserem Experiment und der weiterführenden Recherche unter anderem mit Literatur von Jan Gehl ziehen ist, dass die soziale Interaktion gefördert wird, wenn Architektur und Stadt menschenzentriert geplant wird und somit die Lebensqualität in urbanen Räumen verbessert wird. Die Wahrnehmung der gebauten Umwelt einer Person reißt spätestens ab dem 4. Obergeschoss ab. Der menschliche Maßstab kennt danach keinen Bezug mehr zu seiner gebauten Umwelt. Fassaden müssen daher mit der Wahrnehmung von Personen im urbanen, öffentlichen Raum korrespondieren und Details wie Haptik und Tiefe auf menschlicher Ebene gestaltet werden.
Dazu gehört ebenfalls, dass Erdgeschosszonen lebendig und einladend gestaltet werden, um das Leben der Nutzer*innen zu bereichern.
Jan Gehl fand in seinen Experimenten heraus, dass Menschen an monotonen Fassaden, ohne Variation und ohne belebende Erdgeschosszonen ihre Gehgeschwindigkeit erhöhen. Auch wir haben dies auf dem Platz der Hochschule Bremen festgestellt.
Quellenverzeichnis:
Bildquellen:
- Eigene Aufnahmen
Literaturquellen:
- Gehl, Jan; Island Press; “Cities for People“,2010