Hochschulseminar – Private Eye on the Public
 
Bodentiefe Fenster - Subjekt Objekt Verschiebung
Sebastian Görs, 27.01.2025

Floor-to-ceiling windows are an evolution of traditional window architecture, where the window frame starts directly at the floor, seamlessly connecting the interior with the outside world. Historically, windows began as simple openings that allowed light and air into rooms, evolving over time from transparent animal skins to glass windows in the Roman era. During the Middle Ages and Baroque period, windows were more functional or ornamental, while in the 19th century, the industry introduced new materials and techniques that made windows more flexible. With modern windows, requirements like sound insulation and energy efficiency became more important, and floor-to-ceiling windows gained significance as they allow large amounts of light to enter and merge the interior with the outside world. These windows are seen as symbols of open, modern architecture and accessibility, as they dissolve the boundary between interior and exterior spaces. However, they can also threaten privacy, as they give passersby an unobstructed view into the interior. In Anke Stelling's book "Bodentiefe Fenster", this is used as a metaphor for the blurring of public and private spheres, as well as the internal conflict of the protagonist. Despite the openness these windows promise, many people struggle to live in a society without clear boundaries between private and public. In everyday life, these windows often lead residents to shield their spaces once again with curtains or window decorations.


Foto: "Begegnungshaus der Peter Maffay Stiftung und der Thomas Haffa Stiftung"

Begriffsdefinition:
Das Fenster ist erstmal eine Öffnung in der Wand oder im Dach, das Licht und Luft durchlässt. Von innen rahmt es das Äußere ein und stellt in gewisser Weise die Trennung zwischen Innen und Außen dar.  Zwischen privatem und öffentlichem Raum. Relativ selbsterklärend bezeichnet der Begriff „Bodentiefes Fenster“, dass Konstruktionsrahmen und Schwelle auf Höhe des Fußbodens aufliegt. Vom Boden aus können Diese sich je nach Konstruktionsart bis unter die Decke erstrecken. Sie ermöglichen eine nahtlose Verbindung zwischen Innen- und Außenbereich, weshalb auch die Barrierefreiheit verbessert wird.

Entwicklung der Fensterarchitektur:

Foto: "Französischer Balkon"

Angefangen hat alles mit kleineren Öffnungen in den „Wänden“ der Mittelsteinzeit. Diese dienten vor allem dazu, den Rauch der häufig mit beinhalteter Feuerstelle hinauszuführen und selbstverständlich das Innere der Hütten mit Licht zu befluten.
Da durch bloße Öffnungen nicht nur Licht, sondern auch Kälte und Regen ins Innere drangen, hat man in der Bronze- und Eisenzeit begonnen, in Öl geträngte Tierhäute in die Öffnungen zu spannen. Ein Durchschauen war zwar nicht möglich, dafür gelang es aber rudimentär das Innere vor Wassereindringungen zu schützen. Das erste Glas entwickelten die Römer. Die ersten Fensterscheiben waren nicht durchsichtig, da sie auf einer Seite nicht glatt waren. Die ersten, auf beiden Seiten glatten Glasscheiben entstanden im 2. Jahrhundert n. Chr. Um die Fenster gegen Wetter zu schützen kamen hölzerne Fensterläden zum Einsatz. Neben der Herausforderung des Fensterverschlussmaterials mussten sich die Menschen beim Fensterbau auch mit der Statik auseinandersetzen.
Für das Herumleiten der statischen Druckkräfte um die Fensteröffnungen, erforderte es einen geeigneten oberen Abschluss wie beispielsweise durch Hölzer (Ursprung Fenstersturz). Im Mittelalter wurden typischerweise kleinere Rundbogenfenster in die dicken Mauerwände eingelassen. Der kostbare Baustoff Glas war meist den Sakralbauten vorbehalten.Mit dem Übergang von der Romanik zur Gotik veränderte sich die Fensterarchitektur schließlich in Richtung Spitzbogenfenster mit bunten Glasscheiben und filigranen geometrischen Mustern. Die neuen Konstruktionsarten ermöglichten allmählich eine flexiblere Größe von Fenstern.
Der Baustil des Fensters wurde im Barock aufwendiger. Das Fenster erfüllte nun nicht mehr nur technisch- baufunktionale Aufgaben, sondern auch ästhetische. Das Rechteckfenster wurde kunstvoll mit Ornamentik, Malereien und kleinflächigen Verglasungen gestaltet. Im 17. Jahrhundert waren Rechteckfenster mit Segment- oder Rundbogen geschmückten Rahmen üblich. Außerdem gab es technische Bestrebungen, für eine bessere Wärmedämmung zu sorgen, wie beispielsweise durch Vorfenster, die von außen an den Rahmen angebracht wurden. Im Klassizismus wurde aufwendige Gestaltung reduziert. „Klare Formen, klare Begrenzungen“. Weiterhin waren Rechteck- und Rundbogenfenster die Regel. Diese wurden mit Drehflügeln verschlossen. Das Thema der Wärmedämmung, aber auch Schlagregen-Dichtigkeit veränderten die Konstruktionsweisen der Fenster. Ein doppelter Rahmen für beidseitig schwingende Fensterflügel und bessere Wärmedämmung kam nach dem 19. Jahrhundert auf. Die Industrie und neue Materialien und Techniken veränderten die Baukunst des Klassizismus hin zum Historismus. Der Jugendstil drückte sich in bunten Glasscheiben mit teils floralen Formen aus.
In der Nachkriegszeit entstand schließlich das Isolierglas-Fenster. Holz blieb nach wie vor der am meisten verwendete Werkstoff, jedoch dienten häufiger auch Aluminium, Kunststoff und Stahl als Baumaterialien. Fenster ließen sich nun in allen Größen erstellen.

Moderne Fenster:

Die Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten veränderte die Flexibilität von Fenstergrößen, aber auch die Bedürfnisse und Anforderungen an ein Fenster, wie Schalldämmung, Energieeffizienz und große Sicherheit sowie weitere Themen. Nicht nur die technischen Anforderungen und Ansprüche an Fenster sind gestiegen. Neben technischen Kriterien wie Belichtungs-, Belüftungs- und Schallanforderungen verkörpern bodennahe Fenster für viele, auf Grund des natürlichen Lichteinfalls, eine moderne Architektur. Hersteller bewerben Diese oftmals mit den Worten „Einklang mit der Natur“, oder „Verbindung von Innen- und Außenbereich“; „Auflösung der Grenze zwischen Innen- und Außenraum". Schlanke Profile lassen Architektur „leicht und luftig“ erscheinen.

Bodentiefe Fenster:

Foto: "Bodentiefe Fenster"

Seit Räume nicht mehr zwingend mit wandseitig-montierten Radiatoren beheizt werden müssen, können sich Fenster bis zum Boden strecken und sind nicht zwangsweise über den Heizkörpern anzuordnen. Die Entwicklung der technischen Gebäudeausrüstung hat also auch seinen Beitrag zu den Bodentiefen Fenstern geleistet. Bodentiefe Fenster sind im Neubau von Wohnungssiedlungen vom Statussymbol zur Selbstverständlichkeit geworden.  Dennoch erhöht ihre Anwesenheit oftmals den Wert einer Immobilie. In Neubau-Wohnprojekten sind Diese nicht mehr wegzudenken und gehören zum Standard-Katalog der Einfamilien-Siedlungsbauten, wie wir Sie vielerorts in Deutschland kennen.

Leben hinter den Fenstern:

Foto: "Neighbours"

Transluzenz verläuft nicht nur in eine Richtung. Bodentiefe Fenster ermöglichen den Blick nach draußen, öffnen die Innenräume aber gleichzeitig nach außen hin. Das führt zu einer Komplexität von Sichtbarkeit. Die ständige Präsenz der Außenwelt, die Nähe zu anderen, vielleicht auch fremden Menschen beeinflusst das Leben mancher Menschen derart, dass es sich für Sie wie eine soziale Beobachtung anfühlt, und die Privatsphäre gefährdet. In den Abendstunden reflektiert ein Fenster spiegelartig uns selbst und präsentiert dabei das eigene „Ich“ schonungslos und ungehindert der Außenwelt, wie ein Rampenlicht.


Foto: "Neighbours"

In dem Buch „Bodentiefe Fenster“ von Anke Stelling steht im Zentrum eine Frau, die sich vor allem mit ihrer eigenen Identität und ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinandersetzt, wobei Sie häufig auf Konflikte mit sich selbst stößt und den Leser in Ihre Gedankengänge und Verstrickungen mitnimmt. Sie beschreibt simultan auch ihr Leben in einem modernen und „offenen“ Wohnprojekt in einem Mehrfamilienhaus. Das "Bodentiefe Fenster" kommt namentlich nicht oft vor, es steht aber metaphorisch für die fehlende Barriere zwischen dem privaten Raum und der Welt draußen. Das Buch beschreibt den Konflikt zwischen der Wunschvorstellung von vielen, durch maximale Fensterfläche ein offenerer, leichterer und hellerer Mensch sein zu können.  Die Realität in unserer Gesellschaft zeigt aber, dass viele Menschen nicht in der Lage sind, derart offen zu leben. Das öffnet die Tür zu Themen wie der Entgrenzung von Öffentlichkeit und Privatsphäre, der Zerrissenheit zwischen innerem Rückzug und dem Bedürfnis nach sozialer Interaktion.

Barrierefreiheit:

Foto: "Mann im Rollstuhl"

Eine standardmäßige Brüstungshöhe von 90cm kann für eine Person im Rollstuhl ein Problem sein, da der Blick somit im unteren Bereich abgeschnitten ist, sofern die Person nicht unmittelbar vor dem Fenster steht. Auch für Kinder in Schulgebäuden eröffnet sich durch bodennahe Fenster, ohne Unterteilungen auf 90cm ein besserer, ungehinderter Ausblick aus Sitzhöhe.


Resultat:
Ein wesentliches Merkmal von bodentiefen Fenstern ist, dass Sie die Grenze zwischen innen und außen auflösen. Üblicherweise trennte eine Wand den privaten Raum des Innenraums vom öffentlichen Raum des Äußeren. Der Bewohner eines Hauses war der Betrachter, der von seinem Raum aus die Welt draußen wahrnahm. Mit bodentiefen Fenstern verschwimmen diese Grenzen jedoch zunehmend. Der Bewohner wird nun nicht mehr nur zum Betrachter, sondern auch zum Betrachteten. Passanten und Außenstehende können problemlos in den Innenraum blicken, was die Privatsphäre der Bewohner infrage stellen kann. Übliches Resultat ist dann, dass Bewohner ihre Fenster zustellen oder am besten noch Plisses vorhängen, wodurch die „offene, leichte und transparente“ Architektur allmählich wieder zu einer hermetischen Fassade wird.


Literatur und Quellenverzeichnis:
Literatur:

  • Stelling, Anke; Hrsg.: Verbrecher Verlag; „Bodentiefe Fenster“, Berlin; 2015
  • Pech, Anton; Hrsg.: Birkhäuser; „Fenster“, Basel, 2021
  • Markus, Thomas; Hrsg.: Pergamon Press; „The Function of Windows“, Bristol, 1967
Weblinks:
  • Schnweinoester, I-blog Fenster&Türen, Fensterarchitektur damals und heute, www.internorm.com, 27.12.2024
  • Raethter, SZ, Wer im Glashaus wohnt, www.sz-magazin.sueddeutsche.de, 27.12.2024
  • Schnweinoester, I-blog Fenster&Türen, Bodentiefe Fenster: Ein Megatrend in der Fensterarchitektur, www.internorm.com, 27.12.2024
  • Unbekannt, Bauwelt, Bodentiefe Fenster: Ausblick im XXL-Format, www.bau-welt.de, 28.12.2024
  • Unbekannt, Deutsche Fensterbau, Bodentiefe Fenster, www.deutsche-fensterbau.de, 28.12.2024
  • Unbekannt, Reform, Das Fenster-Geschichte einer genialen Erfindung, www.reform-fenster.at, 28.12.2024
  • Hillebrand, Hubert, Antike Fenster und co: Eine kurze Geschichte des Fensters, www.hubert-magazin.de, 28.12.2024
Bildquellen:
  • Hofer, Andreas; „Begegnungshaus der Peter Maffay Stiftung und der Thomas Haffa Stiftung“;WSM Architekten; 2014; www.wsm-architekten.com
  • Atelier Maia;„Französischer Balkon“; https://ateliermaia.studio/residential/paris-viii/
  • Unbekannter Autor;„Bodentiefe Fenster“; https://nhomkinhtruongy.vn/vach-kinh-ket-noi-hoa-quyen-voi-thien-nhien-cho-khong-gian-thoang-dang/
  • Svensson, Arne;„Neighbours“; 2012 https://www.robertkleingallery.com/artists/62-arne-svenson/works/22995-arne-svenson-neighbors-18-2012/
  • Osov, Shiron;„Mann im Rollstuhl“; Russland; 2023; https://www.istockphoto.com/de/video/kaukasische-frau-f%C3%A4hrt-schwarzen-mann-im-rollstuhl-ins-wohnzimmer-gm1474903682-504572372