Hochschulseminar – Private Eye on the Public
 
„Günters Fenster" von Christian Hasucha
Mirjana Ruffert, 27. Januar 2025

Christian Hasucha is a German street art and installation artist known for his Public Interventions—temporary interventions in urban spaces designed to provoke thought and challenge perceptions. One of his most renowned works, Günter’s Window, explores the interaction between private and public space by relocating the window niche of a Berlin pensioner to a busy street in Mülheim an der Ruhr.

The intervention raises questions about observation, social isolation, and the boundaries between private and public life. The reactions of passersby and the media highlight the role of art in social discourse and the challenges contemporary installations face in balancing aesthetic ambition with media representation.


Christian Hasucha
Christian Hasucha ist 1955 in Berlin-Neukölln geboren und ist ein deutscher Streetart und Installationskünstler. Installation ist in der bildenden Kunst raumgreifendes, ortsgebundenes und oft auch orts- oder situationsbezogenes dreidimensionales Kunstwerk.

Er ist bekannt geworden durch seine „Öffentlichen Interventionen“. Dies ist eine dargebotene Reihe von Installationen im öffentlichen Raum, die er seit 1981 initiiert. Dort kommt auch das Werk „Günters Fenster“ vor.
Vorher studierte er von 1975 bis 1981 Freie Kunst an der UdK Berlin Anschließend bekam er ein Stipendium in London und studierte dort weiter an der Chelsea School of Art. Von 1988 bis 1996 lebte er dann in Köln, anschließend zog er nach Berlin.

Seine Werke "Öffentliche Interventionen"

Seit 1981 entwickelt er die „Öffentlichen Interventionen“ in ganz Europa.

Dabei platziert er irritierende und widersprüchliche Objekte im öffentlichen Raum. Diese Objekte reichen von sehr kleinen Objekten bis hin zu großen Nachbauten von Zimmern und Durchgängen.

„Ich plane Interventionen also nicht nur für bestimmte Situationen, sondern auch damit bestimmte Situationen entstehen, nicht nur situationsbezogen, sondern auch Situationen generierend, manchmal für mehr, oft für wenig Beteiligte.“

Diese Eingriffe können sich zu echten Irritationen entwickeln, die aber oft nach relativ kurzer Zeit adaptiert werden. Nicht nur deswegen, sondern weil sich heute auch die städtischen Gegebenheiten rasant ändern, plane ich meine Projekte nach wie vor als temporäre Eingriffe.

Insgesamt gibt es inzwischen 79 Interventionen.

Bei der 35. Intervention „Günters Fenster“ baute Hasucha im Jahr 2000 in Mülheim an der Ruhr die Fensternische der Ein-Zimmer-Wohnung seines Berliner Nachbarn nach, der dort für zwei Wochen täglich aus seinem Fenster schaute.

"Günters Fenster"

Günter Schulz ist 50 Jahre alt, Frührentner und der Nachbar von Christian Hasucha. Er ist ehemaliger Brauereiarbeiter, Zeitungsbote und Pförtner, und lebt seit 1994 allein in seiner 1-Zimmer-Wohnung im ersten Stock eines Mietshauses in Berlin-Neukölln. Günters Lieblingsort ist die Fensterbank mit den ausgeblichenen Kissen. Darauf gestützt, beobachtet er täglich das Geschehen auf dem Hinterhof.


Günters 12 qm große Fensternische wird - unter Beibehaltung der Himmelsrichtung und der Höhe über Straßenniveau - am Rand der Mülheimer Innenstadt nachgebaut. Seine gesamte Einrichtung wird nach Mülheim /Ruhr transportiert.

In einer Art von auf gestelztem Zimmer hat Günter Schulz 14 Tage in einer belebten Straße in Mülheim zugebracht und eigentlich das getan, was er auch in Berlin tut: aus dem Fenster schauen.

Ab und zu steigt er vom Gerüst, um nebenan im Supermarkt einzukaufen. Übernachtungsmöglichkeit sponsert ihm das nahegelegene Hotel und seine Toilette war eine Dixi-Kabine auf der Straße.

Seine Wohnsituation hatte sich dementsprechend etwas diversifiziert, der gewohnte Blick nach draußen war hingegen völlig verschieden zu seinem Berliner Ausblick.


Fensternische

Abmessungen: 700cm, 453cm, 500cm (Höhe, Breite, Tiefe)

Gewicht: 2.000kg

Material: Metall, Holz




Beabsichtigung "Günters Fenster"

Wie bei allen seinen Interventionen geht es Christian Hasucha auch bei "Günters Fenster" um das Prinzip der Fokussierung.

„Etwas, was in exemplarisch veränderter Konstellation zur Umgebung erscheint, wirft Fragen nach seiner Zugehörigkeit und Verortung auf.“

Das Exemplarische in diesem Fall war die Fenstersituation von Günter Schulz.

Eigentlich kein ungewöhnlicher Anblick, nur die Kenntnis davon, dass sich jemand parallel zu seinem Herkunftsort in Berlin ins Ruhrgebiet versetzen ließ, machte die Sache ungewöhnlich. Diese Kenntnis erlangten die Bürger Mülheims durch die Medien.

Einfluss der Medien

Die Intervention „Günters Fenster“ hat insgesamt viel Aufmerksamkeit erzeugt, wobei Günter Schulz bewusst von der Presse abgeschirmt wurde. Dabei zeigte sich deutlich, dass Boulevardmedien und private Fernsehsender kaum Interesse an Ungewöhnlichem oder schwer Einzuordnendem haben. Stattdessen wird alles
Fremde in bekannte Schemata gepresst, um der Zielgruppe leicht verdauliche
Inhalte zu bieten.

In einem Interview mit Christian erläutert er dazu selbst, dass das Projekt einen Perspektivwechsel thematisiert und eine Umkehrung der „Big Brother“-Idee darstellt: Hier ist nicht die Öffentlichkeit der Beobachter, sondern ein einzelner Mensch – ein gesellschaftlich Benachteiligter –, der von innen auf das öffentliche Leben blickt. Die Intervention fokussiert auf den Transfer von Vorstellungen und eröffnet neue Blickwinkel auf soziale und räumliche Konstellationen.

Die Passanten in Mülheim waren dabei die Observierten. Weshalb es vermutlich so viel Protest gegen diese Aktion gab.



Erkenntnisse aus der Intervention

Die Intervention in Mülheim hat gezeigt, dass die zeitgenössische Kunst zunehmend den Anforderungen des Medienvoyeurismus und einer Pseudo-Öffentlichkeit unterliegt. Werte wie Selbsterkenntnis und individuelle Entwicklung, die früher mit der Kunst verbunden wurden, scheinen in den Hintergrund zu treten. Stattdessen dominieren Eventcharakter und die mediale Inszenierung.

Diese Instrumentalisierung der Kunst führt dazu, dass ästhetische Prinzipien und subtile Eingriffe oft vernachlässigt werden. Die Diskussion über Kunst reduziert sich häufig auf Fragen von Erfolg und Misserfolg, während tiefere Inhalte und ästhetische Debatten verkümmern.

Christians Erfahrungen in Mülheim verdeutlichen, dass selbst bei gut gemeinten Ansätzen die Verbrämung durch Medien und Institutionen schwer zu umgehen ist. Dies hat zu der Überlegung geführt, dass Christian Hasucha zukünftige Projekte wieder unauffälliger und zurückhaltender gestalten will, um dem verzerrenden Einfluss entgegenzuwirken.

Fazit

Interventionen stellen eine Möglichkeit dar, gesellschaftliche und städtische Kontexte ästhetisch zu kommentieren und temporäre Räume für Reflexion zu schaffen. Entscheidend bleibt, dass die Projekte nicht für, sondern mit den Menschen vor Ort entwickelt werden, um den unmittelbaren Zugang und das persönliche Erleben zu fördern.

Entscheidend bleibt, dass Interventionen nicht als distanzierte Kunstobjekte inszeniert werden, sondern mit den Menschen vor Ort interagieren. Nur so können sie ihre Wirkung entfalten und neue Perspektiven eröffnen.

Letztlich macht „Günters Fenster“ deutlich, dass Kunst nicht nur in Galerien und Museen stattfinden muss, sondern Teil unseres Lebens und unserer Umgebung sein kann. Es ist ein Sinnbild für die transformative Kraft der Kunst und ein Plädoyer dafür, Alltägliches neu zu entdecken und kritisch zu betrachten.



Quellen

https://www.kunstforum.de/artikel/gunters-fenster/
http://www.hasucha.de/intervention_35/dokumentation.html
https://sculpture-network.org/de/artwork/11877/g%C3%BCnters-fenster
https://taz.de/!405757/
- “Interview mit Christian Hasucha” in: ArtReviews www.art-on.de, Berlin 2000
- Christian Hasucha. Öffentliche Interventionen / Public Interventions, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg 2013