Hochschulseminar – Private Eye on the Public
 
Gustave Caillebotte
Hannes Mehrtens, 12.02.2024

In the following article, I explore the work of Gustave Caillebotte and his unique perspective on modern Paris. His paintings capture the tension between public and private spaces, reflecting the rapid transformation of the city during Haussmannization. Caillebotte’s fascination with urban life and his distinctive use of perspective influenced later artists, including Edward Hopper. This article delves into his biography, his relationship with the Impressionists, and how his paintings illustrate the shifting dynamics of 19th-century Paris.


Gustave Caillebotte: Der Blick zwischen Innen und Außen
Gustave Caillebotte (1848–1894) war mehr als ein Impressionist – er war ein Beobachter, der die moderne Stadt mit einer fast fotografischen Präzision festhielt. Seine Werke vermitteln nicht nur eine künstlerische Ästhetik, sondern auch eine tiefere Auseinandersetzung mit der Veränderung der Stadtlandschaft und dem Lebensgefühl der Menschen.


Gustave Caillebotte, Selbstportrait - 1880

Diese Perspektive, die Grenze zwischen Innen- und Außenraum, zieht sich durch viele seiner Werke – ein Thema, das Jahrzehnte später auch Edward Hopper beschäftigte. Beide Künstler zeigen Menschen, die von Fenstern oder Balkonen aus auf die Stadt blicken, sich in einer Art Übergangszustand zwischen Privatsphäre und öffentlichem Raum befinden. Während Hopper die Isolation der Moderne im 20. Jahrhundert darstellte, zeigte Caillebotte bereits im 19. Jahrhundert die Anonymisierung der Stadt und die neuen sozialen Realitäten von Paris.


Edward Hopper - Morning Sun - 1952

Von der bürgerlichen Freiheit zur künstlerischen Vision
Als Sohn einer wohlhabenden Familie musste Caillebotte – anders als viele seiner Künstlerkollegen – nie um sein finanzielles Überleben kämpfen. Dies gab ihm die Freiheit, sich künstlerisch auszuprobieren und gleichzeitig andere Künstler wie Monet und Renoir finanziell zu unterstützen. In den 1870er Jahren wurde er Teil der impressionistischen Bewegung, die sich gegen die strengen Vorgaben der traditionellen Kunstakademien stellte und in eigenen Ausstellungen ihre Werke präsentierte.


Pierre-Auguste Renoir (links) und Claude Monet (rechts)

Doch im Gegensatz zu Monet oder Renoir war Caillebotte kein reiner Pleinair-Maler. Seine Kunst war stark von der modernen Architektur geprägt, die während der Umgestaltung von Paris durch Baron Haussmann entstand. Zwischen 1853 und 1870 wurden enge Straßen durch breite Boulevards ersetzt, Parks und Plätze entstanden, und das Gesicht der Stadt veränderte sich radikal.

Caillebotte hielt diese neue Welt in seinen Werken fest – nicht nur als romantische Stadtansichten, sondern als eine Reflexion der sozialen Veränderungen. Seine Bilder zeigen, wie sich das Leben in der Stadt veränderte: Menschen bewegten sich zunehmend anonym durch die Straßen, soziale Klassen drifteten weiter auseinander, und der Blick aus Fenstern oder über Balkone symbolisierte oft eine Trennung zwischen Individuum und Stadt.

Der Blick auf die Stadt

In Junger Mann am Fenster (1876) steht Caillebottes Bruder René in einem eleganten Pariser Innenraum und blickt hinaus auf die Straße. Der Stuhl im Vordergrund deutet darauf hin, dass er bereits eine Weile dort steht – verloren in Gedanken, vielleicht beobachtend, vielleicht melancholisch. Diese Szene ist typisch für Caillebottes Faszination mit dem Blick nach außen: Der private Raum bleibt geschützt, während die Stadt draußen pulsiert.


Gustave Caillebotte - Junger Mann am Fenster - 1876


Ein paar Jahre später, in Straße in Paris an einem regnerischen Tag (1877), zeigt Caillebotte eine völlig andere Perspektive: Die Betrachter befinden sich nun auf der Straße, umgeben von Passanten, die sich distanziert und in sich gekehrt bewegen. Die Anonymität der Großstadt wird greifbar – jeder geht seiner eigenen Welt nach, ohne Interaktion. Hier zeigt sich Caillebottes Interesse an der neuen Stadtstruktur, die nicht nur architektonisch, sondern auch sozial eine neue Ordnung schuf.


Gustave Caillebotte - Straße in Paris an einem regnerischen Tag - 1877

Arbeit und Gesellschaft als Gegenbild zur urbanen Kälte
Während viele seiner Werke das urbane Leben aus der Perspektive der bürgerlichen Elite zeigen, stellte Caillebotte in Die Parkettschleifer(1875) eine völlig andere Szene dar. Drei Arbeiter sind in harter körperlicher Arbeit vertieft – ein seltenes Motiv in der damaligen Malerei. 


Gustave Caillebotte - die Parkettschleifer - 1875

Doch auch hier bleibt Caillebottes Faszination mit dem Innen- und Außenraum bestehen: Der Blick geht durch das Fenster, das Licht fällt auf die Männer, und die Stadt scheint präsent, auch wenn sie nur angedeutet wird. Die Szene zeigt nicht nur den Kontrast zwischen Arbeiterklasse und Bürgertum, sondern auch, wie Arbeit in das moderne Leben integriert wurde.

Ein weiteres zentrales Element in Caillebottes Werk ist das Geländer oder die Fensterstruktur als eine Art visueller Rahmen. Dies zeigt sich besonders in seinem Gemälde, in dem er einen Blick durch ein Geländer auf die Stadt wirft – ein Motiv, das Jahrzehnte später von László Moholy-Nagy in der modernen Fotografie aufgegriffen wurde. Moholy-Nagys Aufnahme aus dem Jahr 1928 in Marseille zeigt eine ähnliche Komposition und verdeutlicht, dass Caillebotte in seiner Art der Bildgestaltung seiner Zeit voraus war. Seine Auseinandersetzung mit Perspektive, räumlicher Struktur und der Wechselwirkung zwischen privatem und öffentlichem Raum beeinflusste nicht nur Maler, sondern auch Fotografen und andere Künstler der Moderne.


Gustave Caillebotte - Blick durch ein Balkongitter - 1880 (links)
und Lazlo Moholy-Nagy - 1928 - Sicht auf Marseille (rechts)

Die Stadt von oben

In Blick aus der 6. Etage (1878) zeigt Caillebotte eine neue Perspektive auf Paris – eine Ansicht, die von oben auf die Stadt blickt. Die weiten Straßen, die moderne Architektur und die Menschen, die sich unterhalb bewegen, vermitteln eine Mischung aus Faszination und Entfremdung.


Gustave Caillebotte - Blick aus der 6. Etage - 1878

Ähnlich verhält es sich mit Verschneite Dächer (1879), einem düsteren Werk, das die Stadt unter einer Schneedecke zeigt. Es entstand kurz nach dem Tod seiner Mutter, was vielleicht die melancholische Stimmung erklärt. Die Haussmannisierung hatte viele alte Viertel zerstört, doch einige Ecken, wie in diesem Bild, blieben unberührt – Zeugnisse einer vergangenen Stadt, die langsam verschwindet.


Gustave Caillebotte - Verschneite Dächer - 1879

Der Balkon als Übergang und die Symbolik des Geländers

Ein weiteres wiederkehrendes Motiv bei Caillebotte ist der Balkon – eine Zwischenzone zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen. In Boulevard Haussmann (1880) sehen wir vermutlich wieder René oder Caillebotte selbst, der auf die Stadt blickt. Doch die Begrünung auf dem Balkon verdeckt teilweise die Sicht – als ob die Natur eine symbolische Barriere zwischen Innen- und Außenraum errichtet.


Gustave Caillebotte - Boulevard Haussmann - 1880

Fazit
Gustave Caillebotte war nicht nur ein Maler, sondern ein Dokumentarist der neuen urbanen Welt. Seine Bilder sind mehr als bloße Impressionen – sie erzählen von der Veränderung der Stadt, von der Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft und von der Architektur als Spiegel sozialer Realitäten. Sein Werk verbindet die Neugier auf moderne Stadtstrukturen mit einem tiefen Verständnis für soziale Dynamiken. In seinen Bildern spiegelt sich die Faszination für das Neue, aber auch die Einsamkeit in einer sich rasant wandelnden Welt. Sein Blick von Innen nach Außen bleibt bis heute relevant – und inspiriert nicht nur Kunsthistoriker, sondern auch Architekten und Stadtplaner, die sich mit der Wechselwirkung von Mensch und Raum beschäftigen.

Quellenangaben:
Bildquellen:
Wikiart.org: https://www.wikiart.org/de/gustave-caillebotte
Weltkunst: https://www.weltkunst.de/
Museum Barberini Potsdam: https://www.museum-barberini.de/de/mediathek/10535/gustave-caillebotte
Staatliche Museen zu Berlin: https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/gustave-caillebotte/
Getty Images

Textquellen:
SRF News: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/gustave-caillebotte-im-musee-dorsay?urn=urn:srf:video:43478631-5209-4efc-adf6-6ef955ac463a
Weltkunst:  https://www.weltkunst.de/
Museum Barberini Potsdam: https://www.museum-barberini.de/de/mediathek/10535/gustave-caillebotte
Staatliche Museen zu Berlin: https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/gustave-caillebotte/