Hochschulseminar – Private Eye on the Public
 
Transparenz in der Architektur
Anais Alostad, 14. Februar 2025

Transparency in architecture is a multifaceted concept that encompasses various meanings. In everyday language, we primarily associate transparency with windows or glass that allow visibility. However, in architecture, this term not only refers to the physical properties of materials like glass but also to concepts such as translucency, where light and shadow are diffused through frosted surfaces. Transparency can serve as both a technical and an aesthetic tool that influences spatial perception. 

Einleitung
 

Transparenz in der Architektur ist ein vielschichtiger Begriff, der verschiedene Bedeutungen umfasst. Im allgemeinen Sprachgebrauch assoziieren wir Transparenz zunächst mit Fenstern oder Glas, die eine Durchsicht ermöglichen. In der Architektur bezieht sich dieser Begriff jedoch nicht nur auf die physische Eigenschaft von Materialien wie Glas, sondern auch auf Konzepte wie Transluzenz, bei der Licht und Schatten durch mattierte Oberflächen gestreut werden. Transparenz kann sowohl ein technisches als auch ein ästhetisches Mittel sein, das die Raumwahrnehmung beeinflusst. 



Theoretische Grundlagen 

Ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über Transparenz stammt von Margitta Buchert, die in ihrem Artikel „Transparenz. Potenziale und Wertsetzungen in der Architektur“ den Begriff detailliert analysiert. Sie zeigt, dass Transparenz nicht nur eine materielle Eigenschaft ist, sondern auch als gestalterisches Mittel fungiert. So kann sie Offenheit vermitteln und gleichzeitig eine symbolische Bedeutung erhalten. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Bauhaus-Gebäude in Dessau (1926) von Walter Gropius, das durch den großflächigen Einsatz von Glas eine Verbindung zwischen Innen- und Außenraum schafft und somit ein Sinnbild für architektonische Transparenz darstellt.

Abb. 1: Das Bauhaus Gebäude in Dessau von Nordwesten


Historische Entwicklung der Transparenz in der Architektur
 

Ursprünglich war Transparenz in der Architektur eine visionäre Idee, die in literarischen und mythologischen Erzählungen auftauchte. Mit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert wurde Glas zunehmend als Baustoff genutzt, sowohl aus praktischen als auch aus symbolischen Gründen. Ein markantes Beispiel ist der Kristallpalast in London (1851), dessen vollständig verglaste Konstruktion als Ausdruck von Fortschritt und technologischem Wandel galt.


Abb. 2: Crystal Palace des Architekten von Sir Joseph Paxton, London

 

Moderne und kritische Perspektiven 

Heute ist Transparenz ein zentrales Element moderner Architektur, insbesondere bei öffentlichen Gebäuden wie Flughäfen und Bürokomplexen. Dennoch wird sie auch kritisch hinterfragt. Während Transparenz oft als Symbol für Offenheit und Demokratie betrachtet wird, kann sie ebenso als Instrument der Kontrolle und Überwachung wahrgenommen werden. In Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit Transparenz ein neuer architektonischer Ausdruck für Demokratie geschaffen, wie am Umbau des Reichstags in Berlin in den 1990er Jahren deutlich wird. Hier steht die gläserne Kuppel für politische Offenheit und Bürgernähe.


Abb. 3: Glaskuppel vom Architekt Norman Foster, Reichstagsgebäude Berlin, Deutschland 



Architekturtheoretische Ansätze zur Transparenz 

Neben Bucherts Betrachtungen liefern auch Architekturtheoretiker wie Sigfried Giedion wichtige Erkenntnisse zur Transparenz. Giedion sah Transparenz als Durchdringung von Raum und eine Verbindung zwischen Innen- und Außenwelt. Einen differenzierten Ansatz entwickelten Colin Rowe und Robert Slutzky in ihrem Aufsatz „Transparenz: Literale und phänomenale Transparenz“ (1963). Sie unterschieden zwischen:

  • Literaler Transparenz, die sich auf die physische Durchsichtigkeit von Materialien wie Glas bezieht.
  • Phänomenaler Transparenz, die über das Materielle hinausgeht und durch räumliche Überlagerungen eine vielschichtige Wahrnehmung erzeugt. Diese Theorie verdeutlicht, dass Transparenz nicht nur eine Frage des Materials ist, sondern auch durch die Organisation des Raumes entsteht.

Abb. 4: Beispiel für Phänomenale Transparenz

 

Transparenz in der Architektur und Kunst 

Die Verbindung zwischen Architektur und Kunst zeigt sich in der Analyse von Rowe und Slutzky, die den Einfluss des Kubismus auf die Transparenz in der Architektur untersuchen. Künstler wie Pablo Picasso und Georges Braque experimentierten mit Überlagerungen und Perspektiven, die eine illusionistische Transparenz erzeugen. Diese Prinzipien übertrugen Rowe und Slutzky auf die Architektur, indem sie auf die vielschichtige Wahrnehmung von Raum hinwiesen.


Abb. 5: Der Klarinettenspieler, von Picasso

"Der Klarinettenspieler"
gilt als ein Beispiel für die literale Transparenz. In diesem Werk werden klare Umrisslinien genutz, um die Figur deutlich vom Hintergrund zu trennen. Obwohl es sich um eine zweidimensionale Darstellung handelt, entsteht durch diese Technik eine klare Tiefefnwirkung, die an die Durchsicht durch Glas erinnert. Die Figur scheint sich von der Hintergrundebene abzuheben, ähnlich wie ein Objekt hinter einer durchsichtigen Glasfläche. 


Abb. 6: Die Portugiesen, von Barque

Ein Beispiel für phänomenale Transparenz in der Kunst ist Georges Braques Gemälde "Die Portugiesen". Hier werden Formen und Linien so angeordnet, dass mehrere räumliche Ebenen gleichzeitig sichtbar werden, ohne dass eine klare Trennung zwischen Vorder-und Hintergrund existiert. Der Raum erscheint mehrdeutig und verschmilzt zu einer vielschichtigen Komposition. Ähnlich funktioniert phänomenale Transparenz in der Architektur: Sie entsteht durch visuelle Überlagerungen, Raumorganisationen und Lichtführung, ohne dass tatsächlich durchsichtige Materialien verwendet werden müssen.


Phänomenale und Literale Transparenz in der Architektur
In der Architektur wird die literale Transparenz häufig genutzt, um Innen- und Außenraum visuell miteinander zu verbinden, wie es beispielsweise beim Bauhaus-Gebäude von Walter Gropius der Fall ist. Große Glassfassden schaffen Offenheit und lassen Raum leicht und durchlässig wirken.  
Im Gegensatz zur literalen Transparenz, die sich auf physische Materialeigenschaften bezieht, beschreibt die phänomenale Transparenz eine komplexere Wahrnehmung von Raum und Tiefe. Sie entsteht nicht durch tatsächliche Durchsicht, sondern durch die geschickte Anordnung von Formen, Ebenen und Überlagerungen, die dem Betrachter verschiedene Perspektiven gleichzeitig vermitteln. Ein architektonisches Beispiel ist Le Corbusiers "Villa at Garches", die in ihrer Fassadengestaltung und Raumstruktur eine mehrdeutige Tiefenwahrnehmung erzeugt. Die versetzten Ebenen und Durchbrüche in der Fassade lassen den betrachter verschiedene Raumzonen simultanwahrnehmen, ohne dass diese physisch transparent sind.  


Abb. 7 Walter Gropius Bauhaus Dessau - LeCorbusier Villa Stein, 1926 


Funktionale und ästhetische Herausforderungen der Transparenz 

Transparenz in der Architektur wird nicht immer nur positiv betrachtet. Einerseits ermöglicht sie Offenheit und Lichtdurchlässigkeit, andererseits kann sie auch das Gefühl von Überwachung oder Unsicherheit hervorrufen. Besonders vollständig verglaste Gebäude erzeugen nachts einen Vitrinen-Effekt, der als unangenehm empfunden werden kann. Ein Beispiel für den bewussten Einsatz von Transparenz und Transluzenz ist der Gewerbehof in München-Laim, dessen Profilglasfassade sowohl ästhetische als auch funktionale Vorteile wie Schall- und Sonnenschutz bietet.


Abb. 8: Gewerbehof in München-Laim


Fazit 
Transparenz in der Architektur ist ein vielschichtiges Konzept mit technischen, ästhetischen und symbolischen Dimensionen. Sie kann Offenheit und Demokratie symbolisieren, aber auch Kritik in Bezug auf Kontrolle und Konsumismus hervorrufen. Während Transparenz das Gefühl von Freiheit und Offenheit fördert, kann sie gleichzeitig Unsicherheit und Verletzlichkeit erzeugen, insbesondere in öffentlichen Räumen. Die unterschiedlichen theoretischen Ansätze, von Buchert über Giedion bis hin zu Rowe und Slutzky, zeigen, dass Transparenz weit mehr ist als nur die Durchsichtigkeit von Materialien – sie ist ein zentrales Gestaltungsmittel, das unsere Wahrnehmung von Raum tiefgreifend beeinflusst.

Quellenverzeichnis:
https://www.moma.org/calendar/exhibitions/469?
https://urbandesignlab.in/book-rview-transparency-by-colin-rowe-and-robert-slutzky/

https://www.detail.de/de_de/transparenz-und-transluzent-architektur-gesellschaft-die-zehnte-1070?srsltid=AfmBOorrDTN0wWniz-M2ED4nHsmz98x8T5ToJGxBd7ydaOwGQu1xOOy

https://tecnne.com/biblioteca/colin-rowe-transparencia-litaral-y-fenomenal/

https://panoramah.com/de/2021/07/06/transparency-literal-and-phenomenal/


TRANSPARENZ. POTENTIALE UND WERTSETZUNGEN IN DER ARCHITEKTUR, von Margitta Buchert (Fakultät für Architektur und Landschaft/ Leibniz Universität Hannover (eds.), hochweit 2017, Berlin: Jovis 2017,(8-13) 

Abbildungsverzeichnis: 
Abb. 1: https://bauhaauskooperation.de/wissen/das-bauhaus/werke/architektur/bauhausgebaeude/werke/architektur/bauhausgebaeude-dessau
Abb. 2: https://www.deutschlandfunkkultur.de/sir-joseph-paxton-der-gaertner-als-architekt-100.html 
Abb. 3: https://www.imageprofessionals.com/de/bilder/70017912-Glaskuppel-vom-Architekt-Norman-Foster-Reichstagsgebaeude-Berlin-Deutschland

Abb. 4: https://urabndesignlab.in/book-review-transparency-by-colin-rowe-and-robert-slutzky/

Abb. 5: https://urabndesignlab.in/book-review-transparency-by-colin-rowe-and-robert-slutzky/

Abb. 6: https://urabndesignlab.in/book-review-transparency-by-colin-rowe-and-robert-slutzky/
Abb. 7: https://tecnne.com/biblioteca/colin-rowe-transparencia-literal-y-fenomenal/

Abb. 8: https://www.bogevisch.de/projekte/gewerbehof-laim-mgh