Alessa Padberg, 03.03.2025
The following article discusses the evolution of photography, using the window as a central motif. It traces the history of photography from the first photograph up to the developments in contemporary photography. The text also references photographers like Vivian Maier and André Kertész, whose work significantly influenced street photography. Finally, a selection of photographs is presented that were particularly appealing, along with interpretations of their artistic and emotional impact.
"If I could tell the story in words, I wouldn’t need to lug a camera around."
- Lewis W. Hine
Die Geschichte der Fotografie
1826 hielt Joseph Nicéphore Niépce das erste Foto fest, vom elterlichen Anwesen in Le Gras in Frankreich, aufgenommen aus seinem Zimmer. Es ist wahrscheinlich die erste dauerhaft, bis heute erhaltene Fotografie.
Das Foto brauchte dabei 8 Stunden Belichtungszeit und wurde auf einer mit Asphalt bestrichenen Zinnplatte dargestellt - ein sogenanntes Direktpositiv. Niépce nannte das Verfahren Heliograpfie - Sonnenzeichung.
Er arbeitete zusammen mit Louis-Jacques-Mandé Daguerre an einem Verfahren, die Bilder der Camera obscura für die Ewigkeit festzuhalten. Stundenlange Belichtungszeiten machen es unmöglich, Menschen und ihre Bewegungen zu fotografieren, also versuchten die beiden das Verfahren so zu verbessern, das kürzere Belichtungszeiten möglich waren.
Niépce verstarb jedoch bereits 1833, weshalb Daguerre das Verfahren alleine weiterentwickelte, bis er es 1839 in Paris vorstellte – die offizielle Geburtsstunde der Fotografie.
Er benannte es nach sich selbst: “Daguerréotypie”. Jetzt war nur noch eine Belichtungszeit von ca. 15 min notwendig und diese konnte sogar mithilfe eines analytisch berechneten Objektivs auf 45 Sekunden verkürzt werden. Denn er fand heraus, dass mit Quecksilberdämpfen behandelte Fotoplatten kürzere Belichtungszeiten benötigten als unbehandelte.
Aber natürlich gab es bereits vor diesem Bild viele Versuche, die Zeit einzufrieren und damit viele Fotografien, die nur kürzeste Zeit existierten.
Schon Johann Heinrich Schulze (1687 – 1744) entdeckte im 17. Jhdt, das die Schwärzung von Silbernitrat durch Licht hervorgerufen wird. Und geht man noch weiter zurück, lassen sich die Anfänge der fotografischen Verfahren bis in die Antike zurückverfolgen. So findet man sogar bei Aristoteles Notizen zur Camera obscura.
1952 stellte Helmut Gernsheim eine Reproduktion des ersten Bildes her. Dadurch ließen sich genauere Details erkennen. Abgebildet ist links das geöffnete Fenster, daneben das Taubenhaus, dahinter ein Baum. In der Mitte des Bildes das Dach und ganz rechts der Kamin.
Joseph Nicéphore Niépce, Reproduktion von Helmut Gernsheim,
Point de vue du Gras, 1826 1952
Die Camera-Obscura ist eigentlich nichts anderes als ein dunkler Raum mit einem Loch in der Wand und einer Linse davor. Sie wurde bereits 384 vor Christus erfunden und funktioniert nach dem Prinzip, nach dem auch heute noch alle Kameras funktionieren. Ein Bild ist nichts anderes als Lichtstrahlen, die aufeinandertreffen. Je kleiner das Loch ist, desto schärfer wird das Bild. Der dunkle Raum ist dazu da, dass wir dieses Bild betrachten können.
Man sieht ein Abbild des Raumes – jedoch auf dem Kopf. Das ist nämlich der Nachteil der Camera- Obscura. Und das Bild wird nicht festgehalten, sondern lediglich projiziert.
Anstatt eines Blattes nahm man ab dem 17. Jahrhundert einen Spiegel zur Hilfe, womit man sehr detailgetreue Zeichnungen erstellen konnten. Das war der Anfang der Fotografie.
Camera Obscura Skizze
Der nächste historische Meilenstein in der Fotografie wurde durch William Talbot erreicht. Talbot war ein englischer Physiker, Chemiker und der Erfinder des Negativ-Positiv-Verfahrens in der Fotografie auch Kalotypie.
Mit der Hilfe einer Camera obscura machte Talbot dann 1835 Bilder auf einem in Silberchlorid getränktem lichtempfindlichem Papier. Das erste Motiv auf dem Papier war das Abbild eines verschlossenen Fensters in seinem Haus, das Erkerfenster von Lacock Abbey. Die Aufnahme dauerte über eine Stunde. So entstand das erste Negativ der Welt. Talbot presste einen anderen Papierbogen gegen die erste Aufnahme und setzte sie dem Licht aus. Auf diese Weise stellte Talbot einen positiven Druck her.
Bilder, die mit der Daguerreotypie entstanden, waren Unikate. Dieses Problem beseitigte Talbot mit der sogenannten Kalotypie. Die Qualität war nicht mit der Daguerreotypie zu vergleichen, aber dafür war es möglich, von einem Bild mehrere Abzüge zu machen.
William Talbot, Latticed window at Lacock Abbey, 1835
Nachfolgend wird das älteste bekannte Bild auf dem Menschen zu erkennen sind gezeigt. Es ist von Louis-Jacques-Mandé Daguerre, ebenfalls aus einem Fenster heraus aufgenommen. Entstanden ist die Aufnahme 1839 und zeigt den Blick auf den Boulevard du Temple in Paris.
Links unten im Bild sieht der Betrachter einen Schuhputzer mit Kunden, die wahrscheinlich bewusst platziert wurden. Die sonst sehr lebendige Straße scheint durch die lange Belichtungszeit sonst vollkommen leer.
Louis-Jacques-Mandé Daguerre, Boulevard du Temple, 1839
Die Verfahren in der Fotografie entwickelten sich immer weiter.
Das Verfahren von Talbot hatte eine niedrige Auflösung und war grobkörnig. Das Plattenverfahren entstand. Die Auflösung war deutlich besser, doch der Aufwand blieb enorm.
Doch das Plattenverfahren erschwerte weiterhin die Handhabung, dabei war nicht nur das Gewicht störend - für jedes Bild musste auch eine neue Platte in den Fotoapparat eingelegt werden.
George Eastman entwickelte deshalb 1889 den Rollfilm. Jetzt war es möglich, mehrere Bilder hintereinander zu machen. Ein voller Rollfilm konnte an die Firma Kodak eingeschickt werden, wenig später erhielt man die Abzüge zurück. Deshalb wurde die Fotografie ab der Jahrhundertwende immer beliebter, da nun auch Normalbürger die ersten eigenen Aufnahmen machen konnten. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es möglich, Klein- und Kleinstbildkameras herzustellen.
Ab den 1950er-Jahren etablierte sich die Spiegelreflexkamera. Das Prinzip: Der Lichteintritt wird in den Sucher gespiegelt. Dadurch kann der Fotograf genau sehen, was später das Bild zeigen wird. 1936 gelang es dann der Firma Agfa als erste, einen Farbfilm zu entwickeln. Jetzt konnte jeder nahezu wirklichtstreue Fotos von seiner Umgebung machen.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts war es möglich, die Fotos nicht mehr auf Filmmaterial, sondern auf digitalen Datenträgern zu speichern.
Das Fenster in der Kunstgeschichte
Bereits im 15. Jahrhundert begannen städtische Maler damit, den Außenraum vom Fenster aus zu erfassen. Es ist der Ort stummer Monologe oder Dialoge. Einerseits umrahmt es den Blick aus der Privatsphäre nach draußen – als Bildfenster – andererseits den Blick der Öffentlichkeit nach drinnen – als Schaufenster. Für alle Künstler, die sich mit dem Thema Fenster beschäftigen, seien es Maler oder Fotografen, ist diese Doppelseitigkeit von innen und außen das dominierende Leitmotiv.
Der Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti beschreibt in seiner verfassten Schrift „De Pictura“, wie er an die Anfertigung eines Gemäldes herantritt, dabei zeichnet er ein Rechteck, von dem er annimmt, es ist ein offenstehendes Fenster. Der Betrachter soll das Bild an der Wand wie ein geöffnetes Fenster („fenestra aperta“) wahrnehmen, dass ihm den Blick in eine andere Welt ermöglicht. Er blickt nicht länger auf das Bild, sondern quasi durch es hindurch. Die Maler der Renaissance erklären Albertis Fenstermetapher durch die Bildorganisation zum Paradigma.
Der romantische Fensterblick beabsichtigt den Blick auf das zu erweitern, was zwar unsichtbar ist, aber vom Betrachter durch Fantasie vorgestellt werden kann. Wirklichkeit und Illusion vermischen sich.
An Albertis durchsichtiger Fenstermetapher orientieren sich die visuellen Künstler jahrhundertelang. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts breitet sich die Erkenntnis der Künstler aus, dass es vielleicht keine berechenbare Sichtweise der Welt, keine allgemeingültige Perspektive auf sie gibt.
Konkurrenz und gegenseitige Abhängigkeit kennzeichneten lange das Verhältnis von Fotografie und Malerei. Einerseits nutzten Künstler Fotos als Vorlagen, andererseits versuchten viktorianische Fotografen, die Bildsprache der Gemälde zu kopieren.
Vivian Maier
Vivian Maier war eine Nanny, die in Chicago und New York lebte und in ihrer Freizeit fotografierte. Ihre Werke sind erst nach ihrem Tod bekannt geworden.
Ihre Fotografien reflektierten das urbane Leben auf den Straßen New Yorks und Chicagos in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie fotografierte vor allem Menschen jeglicher kultureller und sozialer Herkunft bei ihrem alltäglichen Leben.
Maiers Werk wurde 2007 in einem Auktionshaus in Chicago entdeckt. Dabei wurden zehntausende hauptsächlich unentwickelte Negative gefunden.
Die Tatsache, dass sie niemals irgendjemandem ihre Fotografien zeigte, lässt darauf schließen, dass es ihr genügte, die Welt mit der Kamera zu erfassen. Vielleicht half es ihr auch dabei, sie zu verstehen. Vivian Maier nahm außerdem zahlreiche Selbstporträts auf, die zum Großteil aus Spiegelungen in Fenstern aus dem öffentlichen Raum entstanden.
Vivian Maier, Self-Portrait, undated
Auf diesem Foto, auf dem eine schick gekleidete Dame im Zentrum zu sehen ist, zeigt sich wie Maier die Präsenz ihrer Protagonistin spürbar werden lässt, ohne ihr jedoch zu nahe zu kommen. Die Frau ist umgeben von anderen Personen im öffentlichen Raum. Das teilweise sichtbare Fenster, rahmt das Foto stilvoll und hebt die Frau und ihren Blick in die Straße noch einmal hervor.
Vivian Maier, undated
André Kertész
André Kertész war ein ungarischer Fotograf der von seiner Wohnung im 12. Stock in New York aus mehr als 30 Jahre lang viele seiner wichtigsten Bilder aufgenommen hat.
Von seiner Wohnung aus richtete Kertész sein Objektiv auf die anonymen Stadtbewohner.
Ungewöhnliche Blickwinkel und Aufnahmen von alltäglichen Motiven sind das Markenzeichen von Kertész. Dabei arbeitete er häufig mit dem Spiel aus Licht und Schatten. Diese dokumentarischen Bilder, die immer neue Varianten des städtischen Alltags zeigen, haben neue Perspektiven erschaffen und hierdurch einen großen Teil zur Streetfotografie beigetragen.
André Kertész, Portrait, undated
Auf dem linken Foto lässt sich eine Vielzahl von Personen erkennen, die teils in Gruppen und teils allein unterwegs sind. Es zeigt sich eine absolut alltägliche Situation, die dem Betrachter nochmal die Individualität der Menschen in einer Stadt zeigt. Sie sind alle unterschiedlich gekleidet, gehen in unterschiedliche Richtungen und bilden die Öffentlichkeit.
Auf dem rechten Foto geht ein Mann mit seinem Hund spazieren. Im Schnee lassen sich die Laufspuren der Menschen erkennen, die in beide Richtungen der Straße entlang gehen. Auf diesem sonst so leeren Foto bilden die Reifen- und Fußspuren das Hauptmerkmal. Denn durch diese, lassen sich die Wege der anonymen Leute nachverfolgen.
André Kertész, Birds Eye View, 1969 André Kertész, New York, 1970
Fotografien
Ein Mann blickt aus dem Fenster, scheint erschöpft. Er schaut aus dem Fenster eines Hochhauses in Manhattan und beobachtet vermutlich das wilde Treiben der Passanten. Vielleicht ist er erschöpft von seiner Arbeit, von der er gerade eine Pause macht, aber vielleicht erschöpft in zeitgleich auch das Gewusel der Öffentlichkeit und dessen Schnelllebigkeit. Die Suche nach Erholung vom stressigen Arbeitsalltag, scheint hierbei vergebens zu sein. Ein kurzes Entfliehen aus der Situation kann durch die Aussicht nicht erreicht werden.
Burt Glinn, Sammy Davis Jr. looks out a Manhattan window, 1959
Auf dem folgenden Foto ist ein Waisenjunge zu sehen. Er schaut in die helle Ferne, beziehungsweise in die Freiheit. Es lässt sich deuten, dass er von seiner düsteren Gegenwart, symbolisiert durch den dunklen Raum, in die helle Zukunft blickt. Aktuell ist er gefangen in seinem gegenwärtigen Albtraum, hinter den gitterartigen Fenstern – die an Gefängnisfenster anmuten. Diese können wie eine Barriere zur positiven Außenwelt interpretiert werden. Es scheint, als könne er seinen Blick von diesem Traum kaum abwenden.
Eli Reed, A state school for orphans, 1988
Die Fotokünstlerin Elina Brotherus aus Finnland, nimmt sich per Selbstauslöser auf. Die „Model Studies“ können als Selbstporträt-Serie angesehen werden, die in einfachen häuslichen Innenräumen entstanden ist. Viele Motive, auf denen Menschen aus dem Fenster schauen, zeigen entweder einen Großteil des Zimmers, in dem sich die Person befindet, zeigen die Körperhaltung und eine Gesichtshälfte oder gewähren zumindest einen großzügigen Blick nach draußen. Brotherus hält sich nicht an diese Bildkonventionen.
Der Raum auf dem Foto strahlt Kälte & Verlassenheit aus. Aber noch weniger erfährt man vom Außenraum. Was draußen ist, wird kaum direkt vom Fenster ausgesehen, sondern eher mit Hilfe der Fensterscheiben, die das außen nach innen holen. Das Bild erweckt nicht den Anschein, als dränge es die Frau nach draußen.
Laut Brotherus sei die Welt chaotisch und voll von visuellem Lärm. Vermutlich möchte sie genau das mit der nebligen Außenwelt darstellen.
Elina Brotherus, Model Study 1, 2002
2017 lud Fujifilm den Fotografen Mark Power ein, über den Begriff „Heimat“ in Großbritannien nachzudenken. Auf dem Foto lehnt sich eine zusammengesunkene Person über den Schreibtisch in einem Moment der Konzentration, der Langeweile oder vielleicht sogar des Schlafes. Das Bild suggeriert, dass jede dieser Emotionen oder Zustände innerhalb der Grenzen des Hauses möglich ist, in denen der Mensch sich sicher fühlt und bewusst durch das Schließen der Jalousien von der Außenwelt abschottet - sei es aus Konzentration, Desinteresse oder weil die Person Ruhe sucht.
Mark Power, 2017
Quellenverzeichnis
Bildquellen
Abb.2 - http://www.kritik-der-fotografie.at/12-Fenster.htm
Abb.3 - https://yourfoto.de/die-camera-obscura/
Abb.4 - https://www.diafix.de/geschichte-der-analog-medien-teil-2-das-negativ/
Abb.5 - https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Boulevard_du_Temple_by_Daguerre.jpg
Abb.6 - https://www.vivianmaier.com/gallery/self-portraits/#slide-16
Abb.7 - https://multiglom.com/2014/07/26/some-thoughts-about-finding-vivian-maier/
Abb.8 - https://www.singulart.com/blog/de/2024/09/13/distortion-29-paris-by-andre-kertesz/
Abb.9 - https://monovisions.com/andre-kertesz-window-views/
Abb.10 - https://www.nytimes.com/2019/03/28/lens/andre-kerteszs-photos-from-his-window.html
Abb.11 - https://www.magnumphotos.com/arts-culture/through-window-aesthetica/
Abb.12 - https://www.magnumphotos.com/arts-culture/through-window-aesthetica/
Abb.13 - https://kunststiftungdzbank.de/wp-content/uploads/2021/12/2013_Bros_Kunst-Das-Fenster-im-Blick.pdf
Abb.14 - https://www.magnumphotos.com/arts-culture/through-window-aesthetica/
Textquellen
http://www.kritik-der-fotografie.at/12-Fenster.htm
https://kwerfeldein.de/2014/01/10/die-erste-fotografie-der-welt/
https://www.marc-jordi-fischer.com/geschichte-der-fotografie/
https://www.zeitraumzeit.de/fenster-in-der-kunstgeschichte/
https://kunststiftungdzbank.de/wp-content/uploads/2021/12/2013_Bros_Kunst-Das-Fenster-im-Blick.pdf
https://www.planet-wissen.de/kultur/medien/geschichte_der_fotografie/index.html
https://www.deutscheboersephotographyfoundation.org/de/sammeln/kuenstler/vivian-maier.php
https://kunst-und-natur.de/files/Museum-Sinclair-Haus/Blattwerke/Blattwerke_08/18_aussicht_einsicht_fenster_blattwerke_08.pdf
https://akvis.com/de/articles/photo-history/talbot.php
https://streetwise.photography/die-bekanntesten-streetfotografen/
https://yourfoto.de/die-camera-obscura/
https://www.magnumphotos.com/arts-culture/through-window-aesthetica/
https://monovisions.com/andre-kertesz-window-views/
https://www.theguardian.com/artanddesign/2024/oct/20/the-big-picture-the-view-from-andre-kertesz-window-new-york
https://www.diafix.de/geschichte-der-analog-medien-teil-2-das-negativ/