Hochschulseminar – Private Eye on the Public
 
Bauliche Privatsphäre
Alessa Padberg, 03.03.2025

The article explores the concept of architectural privacy, focusing on how private spaces are achieved through thoughtful design and planning. It delves into the philosophical dimensions of privacy, referencing Beate Rössler's insights on its importance for autonomy and self-determination. Additionally, the article examines practical aspects of architectural privacy and emphasizes the role of urban planning regulations in fostering privacy.


Der Wert des Privaten


Im Interview von 2003 mit Beate Rössler beim SRF mit dem Titel "Wieviel Wert hat das Private" wurden verschiedene Aspekte des Themas Privatheit untersucht. Beate Rössler, eine deutsche Philosophin, behandelt dieses Thema auch in ihrem Buch „Der Wert des Privaten“. Sie lebt in Amsterdam und ist dort als Professorin tätig. 
In Amsterdam haben viele Wohnungen keine Vorhänge, was Rössler motiviert hat, weiter an dem Thema Privatheit zu arbeiten, da das Private dort so sichtbar wird. Laut Rössler gibt es zwei wissenschaftliche Ansichten zum Thema Privatheit: Einerseits, dass es früher keine Privatheit gab und diese mit der Zivilisation vorangeschritten ist, und andererseits, dass es immer und überall Privatheit gegeben hat, jedoch kulturell unterschiedlich verstanden wird. Das Private wird stets konventionell durch die Gesellschaft bestimmt, in der gelebt wird, so Rössler.
Privatheit bedeutet, Kontrolle darüber zu haben, wer, wann, welchen Zugang hat. Rössler unterteilt die Privatheit in drei Dimensionen:

  1. Lokale Privatheit - zum Beispiel den Anspruch auf eine eigene Wohnung

  2. Dezisionale Privatheit Entscheidungen wie zum Beispiel die Kleidung

  3. Informationelle Privatheit Kontrolle über die Informationen, die andere Personen haben

Laut Rössler besteht auch in der Öffentlichkeit ein Anspruch auf Privatheit. Privatheit ermöglicht in demokratischen, liberalen Gesellschaften die Autonomie der Personen also ein selbstbestimmtes Leben.
Im öffentlichen Raum wird bewusst wahrgenommen, dass beobachtet, aber nicht gefilmt wird. Daher besteht die Möglichkeit, sich frei zu verhalten und zu bewegen. Wenn jedoch bekannt wäre, dass draußen immer gefilmt würde, was bedeutet, dass das Verhalten erneut angeschaut werden könnte, würde sich das Verhalten ändern, so Rössler. In totalitären Regimen, in denen fast überall Kameras sind, verhalten sich Menschen anders und ihre öffentliche Privatheit wird beschnitten, wie z.B. in China.
Der Schutz des Privaten ermöglicht auch den Missbrauch im Privaten. Dennoch sollte positiv gedacht und die Linie zwischen Privat und Öffentlich nicht verschwinden lassen werden. Im Privaten sind Straftaten weiterhin nicht erlaubt.
Rössler sagt, die Grenzziehung zwischen privat und öffentlich verändert sich durch Modernisierung und neue Technologien, was nicht bedeutet, dass die Privatheit direkt verfällt, wie es vielen Menschen vorkommt. Ein Beispiel sind Handys, deren private Anrufe heutzutage in der Bahn stattfinden können.


Zu
dem Thema wurde auch ein Artikel von Peter Baumann mit dem Titel „Warum und wozu Privatheit?“ gefunden, der sich ebenfalls auf das Buch „Der Wert des Privaten“ von Beate Rössler bezieht. Er behandelt die Fragen, warum Privatheit geschätzt wird und worin ihr Wert liegt. Baumann fasst zusammen, dass Rössler das Private wie folgt definiert: „Als privat gilt etwas dann, wenn selbst der Zugang zu diesem etwas kontrolliert werden kann“ (S.813). Handlungen, Wissen und Räume sind damit gemeint.
Rössler zufolge sind Handlungen privat, wenn die Person handeln kann, wie gewünscht. Wissen ist privat, wenn die betroffene Person den Zugang zu diesen Informationen für andere bestimmen kann. Räume sind privat, wenn der physische Zugang für andere Personen kontrolliert werden kann. Rösslers Hauptthese ist, dass der Wert von Privatheit darin liegt, dass sie Autonomie ermöglicht.
Baumann übt in seinem Artikel auch Kritik an Rössler. Dabei wird besonders betont, dass es im privaten Umfeld wichtig ist, sich von der sozialen Interaktion zu erholen. Dieser Aspekt ist nachvollziehbar, da es notwendig ist, Momente der Ruhe zu haben, um Erlebtes zu reflektieren und zu hinterfragen. Gleichzeitig ermöglicht es, neue Energie zu schöpfen und offen für neue Möglichkeiten und Ideen zu sein.



Wie entsteht bauliche Privatsphäre?


Zu dieser Frage wurden 20 Personen aus dem Umfeld befragt, deren Ergebnisse im Diagramm dargestellt sind. Dabei ging es darum, die erste Assoziation mitzuteilen, die die Befragten bei der Frage hatten.
Bereits vor der Befragung gab es Überlegungen, mit welchen Antworten zu rechnen sei. Tatsächlich sind viele dieser Erwartungen eingetreten.
Die häufigste Antwort war die Anordnung bzw. Größe der Fenster, die 30% der Befragten nannten. Dies überrascht nicht, da Fenster durch ihre Transparenz nahezu die einzigen Einblicke von außen in die Gebäude ermöglichen.
Die zweithäufigste Antwort mit 25% der Stimmen waren Zäune bzw. Mauern. Diese Antwort überrascht ebenfalls nicht, da Mauern auf direkte Weise kommunizieren: "Ab hier beginnt der private Bereich, der geschützt wird", zumindest wenn es sich um das Grundstück eines Einfamilienhauses handelt.
Sichtschutzwände wurden von 15% der Befragten genannt, dabei kamen Beispiele wie T-Trennwände in Bädern oder Wände parallel zu Toilettentüren.
Die restlichen drei Kategorien erhielten jeweils 10% der Stimmen:
- Bauabstände schaffen eine Distanz zu Nachbargebäuden, wodurch sich die Befragten privater fühlen.
- Sichtschutz für Fenster, wobei die Befragten vermutlich an ihre eigenen vier Wände dachten, in denen Sichtschutz vor den Fenstern angebracht ist.
- Die Lockerung baulicher Regularien, bei der darauf eingegangen wurde, dass die freie Gestaltung des eigenen Gebäudes bauliche Privatsphäre ermögliche. Dies sei jedoch mit den deutschen Bauvorschriften, die unter anderem in den Bebauungsplänen festgehalten sind, so nicht möglich.

 


Diagramm: Befragung bauliche Privatsphäre


Bauelemente

Bauelemente die Privatsphäre schaffen:

-Wände
-Zäune
-Mauern
-Loggien
-Sichtschutzwände


Bauelemente die Privatsphäre vermindern:

-Fenster
-Glasfassaden
-Balkone



Bauliche Gestaltung, die Privatsphäre schafft

Ein Beispiel hierfür wäre die Anordnung und Größe der Fenster. Abhängig von der Umgebung kann dadurch verhindert werden, dass der Raum direkt eingesehen wird. So kann beispielsweise durch Brüstungsfenster zur Straßenseite mehr Privatsphäre erreicht werden.



Abb.1: 
Straßenfassade ohne Fenster              Abb.2: Anordnung Fenster zur Straße                                        


Fenster, meistens bestehende, können mit Vorhängen oder Jalousien ausgestattet werden. Tagsüber helfen dabei schon transparente Gardinen, dass der Raum nicht einsehbar wird, es wird aber trotzdem der Blick nach draußen und viel Lichteinfall gewährleistet. Auch wenn Gardinen nicht direkt baulich sind, so können sie bestehende Bausubstanz für gewisse Bewohner verbessern.

Eine weitere Möglichkeit wären Vorhangfassaden, die vor den Fensterflächen verlaufen. Dadurch wird die Einsicht in die Räume reduziert, während der Blick nach draußen erhalten bleibt. Auch Fassadenbegrünungen können in diesem Zusammenhang von Nutzen sein.


Abb.3: Vorhangfassade                                Abb.4: Vorhangfassade mit Begrünung                                                                                                    


Wenn es um Austrittsmöglichkeiten einer Wohnung geht, bieten Loggien mehr Privatsphäre als vorgesetzte Balkone. Die eingerückte und überdachte Gestaltung, umgeben von drei Wänden, schafft ein Gefühl der Geborgenheit.


Abb.5: Fassade mit Loggia                     Abb.6: Loggia                                                                                       


Auch öffentliche oder halböffentliche Bereiche können privater gestaltet werden, wie beispielsweise Hauseingänge. Bei einer Bebauung, bei der die Eingangstür direkt an den öffentlichen Gehweg oder die Straße angrenzt, wie es in städtischen Gebieten häufig vorkommt, würde ein Rücksprung des Eingangs den Bewohnern mehr Privatsphäre beim Erreichen der Tür bieten. So befindet sich der Bewohner zwar noch im öffentlichen Raum beziehungsweise der Schwelle zwischen öffentlich und privat, aber nicht mehr direkt auf dem Gehweg, während in der Tasche nach dem Schlüssel gesucht wird.


Abb.7: Rücksprung Hauseingang          Abb.8: Rücksprung Hauseingang gewölbt                                                                


Versetzt sich jemand in die Situation, in einem Restaurant zu sitzen und einen direkten Blick auf die WC-Tür zu haben, kann dies ein Gefühl des Beobachtetwerdens hervorrufen. Sichtschutzwände oder Wände, die parallel zur WC-Tür verlaufen, könnten in diesem Fall mehr Privatsphäre schaffen.


Beim Betrachten von Bürogebäuden fällt auf, dass Großraumbüros häufig vertreten sind. In diesen offenen Arbeitsbereichen ist es üblich, den ganzen Tag sowohl unter Beobachtung zu stehen als auch akustisch wahrnehmbar zu sein. Zudem nimmt man auch alle anderen den ganzen Tag über wahr. Die vielen Umgebungsgeräusche können störend wirken. Daher sind Sitznischen in Großraumbüros oder temporäre Arbeitszonen sinnvoll, um Rückzugsorte zu schaffen.


Abb.9: Sitznische                                        Abb.10: Temporäre Arbeitszone                                                                                                



Bauplanungsrecht

Das Bauplanungsrecht spielt eine entscheidende Rolle dabei, den Menschen Privatsphäre zu ermöglichen. Dies betrifft beispielsweise das Maß der baulichen Nutzung, wie die Grundflächenzahl (GRZ), Geschossflächenzahl (GFZ), Baumassenzahl (BMZ), die Anzahl der Vollgeschosse (Z) und die Höhe der baulichen Anlagen (HA). So regelt zum Beispiel die Grundflächenzahl, wie viel Prozent eines Grundstückes bebaut werden darf, was wiederum die Bebauungsdichte beeinflusst.
Auch das Thema Grenzabstände ist relevant, da durch größere Abstände zu den Nachbargebäuden mehr Privatsphäre geschaffen wird.
Die bauliche Nutzung hat ebenfalls einen bedeutenden Einfluss. Es macht einen Unterschied, ob in einem reinen Wohngebiet gelebt wird, in dem die Nachbarn nicht ganztägig vor Ort sind, oder in einem Mischgebiet, in dem ein großes Gewerbe ansässig ist und tagsüber viel Verkehr herrscht.



Fazit

Bauliche Privatsphäre lässt sich nicht pauschal definieren, da sie stets vom Kontext und der Umgebung abhängt, beispielsweise davon, wie dicht ein Gebiet bebaut ist. 
In der Stadt, umgeben von Blockrandbebauungen oder Hochhäusern, oder auf dem Land, umgeben von einem Wald, sind die örtlichen Gegebenheiten stets zu berücksichtigen, um den Bewohnern die gewünschte Privatsphäre zu ermöglichen. Jeder Mensch ist einzigartig und hat individuelle Bedürfnisse, auf die eingegangen werden muss.
Letztendlich gibt es keine universell richtige Planung, um bauliche Privatsphäre zu gewährleisten. Es gibt lediglich einige wichtige Punkte, die von einem Planer oder einer Planerin berücksichtigt werden können.



Quellenverzeichnis

Bildquellen

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Abb.10 - https://de.pinterest.com/pin/159526011795099977/


Textquellen

Interview Beate Rössler - https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/philosophisches- trio-wieviel-wert-hat-das-private?urn=urn:srf:video:1dd5f882-c0d1-4daf-9f3f- 2e9e79376eaf

Peter Baumann. (2002). "Warum Und Wozu Privatheit?". Deutsche Zeitschrift Für Philosophie. Volume 50, Issue 5. 812-817.

https://works.swarthmore.edu/fac-philosophy/24
https://de.linkedin.com/advice/0/how-can-urban-design-principles-used- create-privacy-zhlnc?lang=de