Hochschulseminar – Wer hat Angst vor dem Zufall?
 
Interview mit Franz Pesch, Ephraim Gothe und Arno Brandlhuber
Larissa Behrens, Denis Schall, Fenise Armutcu, Ghina Hassoun, Johannes Ostheider, Meliha Kök, Peter Lalowski, Roman Balzer, Ruben Jaich, Roni Adsiz, Igli Papa, 28.02.2018

INTERVIEW I
Prof. Dr. Franz Pesch ist ein deutscher Architekt und Stadtplaner.

Seit 1994 lehrt er als Professor für Stadtplanung und Entwerfen am Städtebau-Institut an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Stadterneuerung, der Innenstadtentwicklung und des öffentlichen Raums.



... Im Voraus möchten wir uns bei Herrn Prof. Dr. Franz Pesch für das sehr umfangreiche und interessante Interview bedanken.


01

Ist der Zufall für Sie mehr ein negatives Ereignis im Zusammenhang mit der 

Planung oder ein positives?

Der von mir sehr geschätzte amerikanische Autor Paul Auster spricht von der Musik des Zufalls, die den Gang der Dinge beeinflusst („Musik of Chance“). Das ist ein sehr schönes Bild für die Notwendigkeit, die jeweilige "Gestimmtheit" eines planerischen Geschehens zu erkennen, zu akzeptieren und mit ihr konstruktiv umzugehen.

 

02

Inwieweit spielt der Zufall in Ihrer beruflichen Arbeit eine Rolle?  Wenn ja, welche Eigenschaften werden dadurch befördert und welche möglicherweise unterdrückt?

Wer professionell mit Planung zu tun hat, neigt dazu, Kontrolle über räumliche 
Konstellationen und die ihnen entsprechenden soziale Prozesse ausüben zu wollen. So definiert man etwa öffentliche Räume mit Treffpunktcharakter oder Aufenthaltsqualität, ohne jedoch sicher sein zu können, dass diese Räume später auch den hehren Absichten gemäß genutzt werden. Denn Urbanität funktioniert nicht nach Regeln und ist nur sehr bedingt planbar. Man kann Rahmenbedingungen für urbane Prozesse schaffen, Potentiale freisetzen, aber nicht determinieren. Stadtbildung und -veränderung sind – allein schon aufgrund ihrer Dauer – nur schwer über längere Zeiträume hinweg vorhersehbar, geschweige denn steuerbar. Mehr noch: Was wir als urbane Vielfalt wahrnehmen, entsteht überwiegend aus nicht gesteuerten Initiativen und Prozessen. Der Zufall spielt immer hinein. Insofern tun wir also gut daran, in Planungsprozessen auch dem Zufall Raum zu geben, nicht alles festlegen zu wollen. Erst das Unfertige unserer Produkte lässt urbane Prozesse zu. Wenn wir die Musik des Zufalls anerkennen, sind unsere Planungen und Pläne näher an den Menschen, den Bewohnern der Quartiere und den Akteuren in den öffentlichen Räumen. Um diese Dialektik zu ermöglichen müssen Planer und Gestalter zuhören können: Partizipation ist deshalb elementarer Bestandteil des Entwurfsprozesses. Von den Planenden verlangt sie Offenheit, gegenüber allen Einwänden und Ideen, die im Beteiligungsprozess geäußert werden.

 

03

Gibt für Sie eine Ästhetik des Zufalls oder der freien Komposition?

Der Zufall unterscheidet sich m. E. essentiell von der freien Komposition. Denn eine 
freie Komposition ist ebenso autorengesteuert wie eine strenge Ordnung. Eine „Ästhetik des Zufalls“ sehe ich unmittelbar nicht. Sie vermittelt sich über urbane Prozesse, indem die Akteure aufeinander reagieren, etwa wie in einem Dominospiel – so hat es Carl Fingerhuth einmal beschrieben. Das Interessante daran ist, dass dieses Reagieren – ausgehend von einem anfänglichen Intention oder Idee – am Ende doch zu einem rationalen Ergebnis führt, wie man es bei der Stadtbildung immer wieder festgestellt hat. Mit anderen Worten: Nicht zwei urbane Strukturen sind identisch (Zufall), doch insgesamt funktionieren alle nach denselben Gesetzen (Schwarmintelligenz).

Was ist aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen Komposition, Zufall und Assoziation bei der planerischen Tätigkeit oder im planerischen Prozess?

Komposition hat mit bewusster Anordnung und Fügung zu tun und ist natürlich unabdingbar für jeden Entwurf. Die Assoziation sehe ich vor allem am Anfang, aber – begleitend – auch im Verlauf einer Planung. Sie steht für das absichtslose An- und Weiterdenken, den Gedanken freien Lauf lassen, bis sich unvorhersehbare neue Bilder einstellen, die dann in den Entwurf einfließen können. Die Assoziation ist deshalb wesentlich für den kreativen Prozess in jeder Kunstrichtung, auch in der Bau- und Stadtbaukunst. Der Zufall sollte stets im Hintergrund mitgedacht werden: 
Die Räume, die wir entwerfen, müssen offen genug sein für Nutzungsänderungen, für Prozesse, über die wir jetzt noch gar nichts wissen können. Nur so kann sich Urbanität entwickeln.

 

04

Worin/ Woraus bestehen in unserer Arbeit als Architekt_in die Anteile, die in ihrer Nutzung nicht festgelegt sind, also offenbleiben könnten? Oder woraus könnten Sie bestehen? Welche Spielräume sehen Sie hier für sich in Ihrer Planungsarbeit?

Es ist im Wesen von Architektur und Städtebau angelegt, das jeder Entwurf in Gebrauch und Aneignung bestehen muss, zur Gestaltung durch Nutzung inspirieren, vielleicht sogar Weiterbau zulassen sollte. Welche Bedeutung die möglichen Aneignungsformen erhalten, hängt von der konkreten Aufgabe in Architektur und Städtebau zusammen. Es wäre jedoch naiv, wenn man bei der Reflexion des in der Praxis Möglichen nicht auch festhalten würde, dass die Dominanz der Rendite und der bürokratischen Regelwerke beim Bauen die Spielräume wesentlich einschränkt.

 

05

Sehen Sie einen stadtstrukturellen Zusammenhang zum Befördern/Initiieren selbstständigen Handelns in der Stadt (im Sinne eigenständiger Tätigkeiten, Eigeninitiative, Unternehmung) und umgekehrt betrachtet: Gibt es Stadtstrukturen, die dieser Art von Handeln eher einschränken oder gar ausschließen?

Damit wären wir wieder am Ausgangspunkt: Wenn wir Gebäude oder Stadt entwerfen, entwerfen wir ein räumliches Gerüst und sorgen für die infrastrukturellen Voraussetzungen städtischen Lebens. Man könnte auch sagen: wir entwerfen die urbane Hardware. Die Software kommt von den Menschen, die die Räume anschließend nutzen. Inwieweit aus den Nutzern auch Produzenten von Stadt werden, hängt von den Konstellationen am jeweiligen Ort ab. Aber natürlich auch von der Bereitschaft der Architekten und Städtebauer, den Interessen ihrer Klienten (im weitesten Sinne des Wortes) Raum zu geben. Wenn beides gegeben ist, können sich Stadtstrukturen entwickeln, die offen sind gegenüber dem nicht Vorhersehbaren, Zufälligen und offen gegenüber Aneignung und Gestaltung durch die Nutzer. Dann entsteht Urbanität.

Dortmund, im Januar 2018


INTERVIEW II
Arno Brandlhuber ist ein deutscher Architekt und Hochschullehrer.


...Leider haben wir auf mehrfache Interview-Anfrage nur folgende Email eines Mitarbeiters Brandlhubers erhalten.


Hallo, 
Ich muss Sie leider enttäuschen. Grundsätzlich sind wir der Meinung dass das Informelle nichts mit dem Zufall zu tun hat. In diesem Sinne sind wir denke ich nicht die richtigen Adressaten für Ihre Fragen, die ich dann nur verneinen könnte. Die Fragen 04 + 05 sollten Sie generell noch einmal überarbeiten. Es ist nicht wirklich klar- vermutlich auch für weitere Teilnehmer der Umfrage- was sie damit meinen

Mit den besten Grüßen aus Berlin,

Thomas Burlon

Bradlhuber+ Emde


INTERVIEW III
Ephraim Gothe ist der 
Stellvertretender Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat Berlin Mitte (SPD) zusändig für die Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit.

... Auf eine Antwort seinerseits warten wir leider bis heute.