Hochschulseminar – Stadt und Rock 'n' Roll
 
Schorsch Kamerun – Avantgarde-Künstler
Till Jochem, 11. Dezember 2023

Schorsch Kamerun is the singer of the punk band "Die Goldenen Zitronen" and the band "Raison". He also makes music as a solo artist, co-runs Hamburg's Golden Pudel Club, is an author and theatre director.

In all his art forms, he always tries to incorporate his political stance, which he has not lost since his youth as a punk. He believes in an unmistakable expressiveness of texts and certain aesthetics.

Allgemeines/Leben

Schorsch Kamerun wurde 1963 geboren und heißt mit bürgerlichen Namen Thomas Sehl. Er ist Sänger der Punkband „Die Goldenen Zitronen“ und der Band „Raison“. Zudem macht er noch Musik als Solokünstler, ist Mitbetreiber des Hamburger Golden Pudel Clubs, Autor und Theaterregisseur.



Aufgewachsen ist Schorsch Kamerun in Timmendorfer Strand, bis er mit seiner Mutter im Alter von 6 Jahren in die Nähe von Hamburg zu seinem Stiefvater zog. Sein Stiefvater hatte einen Autoladen und war insgesamt sehr autoritär. Der Stiefvater war also Chef im Laden, aber auch zu Hause.  Die Zeit bei seinem Stiefvater hat ihn sehr geprägt und hatte sicher auch einen Einfluss auf sein Leben als Punker bzw. überhaupt Punker zu werden.

Auch der Zwang im Autoladen ständig etwas verkaufen zu müssen und immer auf Wachstum aus zu sein hat ihn schon immer gestört. Was sich auch in seinem weiteren Leben in seiner antikapitalistischen Haltung zeigt.

Mit 11 oder 12 ist er wieder nach Timmendorfer Strand zurück, nachdem sich seine Mutter von seinem Stiefvater getrennt hatte. Dort war er ein schwieriges Kind, er bezeichnet sich selbst als Zündelkind, weil er viel Ärger gemacht hat. Zum Beispiel Briefkästen angezündet, aber einmal auch fast eine Chemiefabrik. Später ist er dann auch von der Schule geflogen, nachdem der Rektor ihn gebeten hat, nach den Sommerferien nicht mehr wiederzukommen. Dadurch hat er auch keinen Schulabschluss.

Timmendorfer Strand hatte viel mit Tourismus zu tun und war insgesamt sehr bürgerlich geprägt. Trotzdem gab es dort schon früh eine Punkszene. Aus der bürgerlichen Umgebung wollte Schorsch raus und schaffte das auch, indem er Punker wurde, was für ihn auch nicht immer ganz einfach war.

In Timmendorfer Strand ist man aufgefallen, wenn man anders war. So gab es oft Ärger mit der Polizei, den Eltern oder auch mit anderen Jugendlichen. Schorsch wurde oft verfolgt, von Leuten, die etwas gegen Punker hatten und einmal wurde sogar auf ihn geschossen. Also war es für ihn schnell klar, von Timmendorfer Strand wegzuziehen. Raus aus dem Bürgerlichen, an einen Ort, wo man als Punker einfach leben konnte, ohne so sehr herauszustechen.

So kam es, dass Schorsch mit 16 Jahren während seiner Lehre zum KFZ-Mechaniker nach Hamburg zog. Als erstes lebte er im Stadtteil Ottensen, was damals ein Arbeiterviertel war und man konnte dort sehr günstig wohnen. Nächste Station war eine Sechser WG am Fischmarkt, wo es eine Miete von nur 150 Mark gab. Die WG war in direkter Nähe zu den Hausbesetzern in der Hafenstraße.

 

Hausbesetzerszene Hamburg Hafenstraße

Über 14 Jahre hinweg zog sich der Streit um die besetzten Häuser der Hafenstraße in Hamburg im Stadtteil St. Pauli. Am Anfang waren es noch 8 baufällige Häuser im Besitz der Saga, einem Wohnungsunternehmen in Hamburg. Die Häuser sollten eigentlich abgerissen und für profitablere Zwecke genutzt werden.

Erst 1982 ist die Besetzung offiziell aufgefallen. Da gerade Wahlkampf war, hatte die SPD aber andere Sorgen. Also gab es 1983 für die Bewohner 200.000 Mark für eine Winterfestmachung der Häuser und einen befristeten Generalnutzungsvertrag bis Ende 1985.

Als dieser auslief, ging es mit den Konflikten los. Es herrschte quasi offener Häuserkampf. 1986 drohte der Staat wieder mit einem Abriss der Häuser. Zudem gab es immer wieder Festnahmen, Hausdurchsuchungen und Straßenschlachten.



Im Dezember 86 Demonstrierten 12.000 Menschen für einen Erhalt der Häuser und Solidarität mit den Bewohnern. Als einige Polizisten brutal auf die Demonstranten reagieren, eskaliert die Lage und es kommt zu vielen Verletzten auf beiden Seiten. Die Eskalation erfolgte zu einem Zeitpunkt, als auch der potenziell militante Teil der Demonstranten friedlich war, was von den Teilnehmern als Bruch der Absprachen empfunden wurde.

1987 scheiterten die Verhandlungen über einen Pachtvertrag und es wurde erneut mit Räumung und Abriss gedroht. Die Bewohner bereiteten sich daraufhin auf einen Häuserkampf vor. Verbarrikadierten Fenster, bauten Stahltüren ein und sicherten die Dächer mit Nato-Draht. In dieser Zeit wurden tausende Polizisten zusammengezogen. Eine friedliche Lösung war eigentlich ausgeschlossen, bis der erste Bürgermeister gegen den Willen seiner Partei eine vertragliche Lösung mit den Bewohnern verspricht, wenn die Straßenblockaden abgebaut werden. Daraufhin unterschreiben Stadt und Bewohner einen Pachtvertrag zur Nutzung der Häuser.

1995 wurden die inzwischen 11 Häuser an die eigens dafür gegründete Genossenschaft für 2 Millionen Mark verkauft.

Leben auf dem Kiez

In der Umgebung seiner WG war man relativ ungestört, konnte sich richtig ausleben und etwas Eigenes aufbauen. Da hat niemand so richtig hingeschaut. Damals wollten die Bürger*innen nicht auf St. Pauli sein, und die Art das antibürgerliche zu zeigen war dort irgendwie willkommen. Also lebten viele dort, die keinen richtigen Platz in der Gesellschaft hatten oder außergesellschaftlich sein wollten. Die meisten gingen aber schon eher aus einer Notwendigkeit in diese Gegend. Es war eine Koexistenz verschiedener, ganz unterschiedlicher Menschen und die Punks wollten eine Community erschaffen, die gemeinsam funktioniert, möglichst ohne belästigt zu werden.

Das Kiezmilieu wollte ebenfalls in Ruhe gelassen werden. Trotzdem war es sehr gefährlich auf dem Kiez. Nach Konzerten, wie zum Beispiel in der Markthalle, wurden sie immer von unterschiedlichen Leuten verfolgt. Nazis, Fußballfans und so weiter. Auch Kneipen oder Clubs wurden ständig zerstört, wie das „Krawall 2000“, was es nur wenige Monate gab.

 

No Future

Der Zentrale Slogan der Punks war No Future, also eine Art universeller Nihilismus. Die Welt hat keine Zukunft und wird sowieso vor die Wand gefahren. Damals waren der kalte Krieg, Atomkraft, Atomwaffen und Waldsterben die Themen. Diese Einstellung steht ganz im Gegensatz zu dem, wofür zum Beispiel Fridays for Future heute steht, die eine Zukunft einfordern. Schorsch fühlt sich damit auch verbunden und sieht Parallelen zu damals, nur ist die Bewegung im Gegensatz zu den Punks deutlich konstruktiver in der Kritik.

In den Kreisen von Schorsch herrschte auch Einigkeit über politische Ansichten: gegen Nationalismus, Rassismus, Sexismus und gegen die Fremdbestimmung des eigenen Lebens. Die Haltung der Punks und auch die von Schorsch war, wie schon gesagt, sehr antikapitalistisch geprägt und es gab immer den Drang das Bürgerliche abzulehnen und das auch zu Zeigen. Diese Haltung zieht sich durch sein gesamtes Leben und ist auch in seiner Musik wiederzufinden.

 

Musik

Schorsch ist Mitbegründer der Punkband die Goldenen Zitronen, welche 1984 gegründet wurde. Die Bekanntesten Lieder aus der Zeit sind „Für immer Punk“ basierend oder wie die Band es nannte „geklaut“ von Alphavilles „Forever Young“ und der Song „Am Tag als Thomas Anders Starb“, was auf dem Lied „Am Tag, als Conny Kramer Starb“ von Juliane Werding basiert.



Gerade das zweite Lied hat für Aufsehen gesorgt, da die Band es zu einem Zeitpunkt veröffentlichte, als die Songs vom Duo „Modern Talking“, von der eben Thomas Anders neben Dieter Bohlen ein Teil war, in den Radiosendern rauf und runter gespielt wurde und ein wenig provoziert hat.

Die Lieder fallen unter die Kategorie Fun-Punk. Die Goldenen Zitronen wollten das bürgerliche verspotten. Bierzelte ironisch nachspielen, Schlagermusik hören und nachmachen. Irgendwann haben sie aber gemerkt, dass das nicht funktioniert, da man irgendwann in seinem eigenen brüllenden Bierzelt steht. Die Dinge vergrößerten sich und sie bekamen immer mehr Aufmerksamkeit, sodass die Leute, die man eigentlich kritisiert hat zu Fans wurden.

Später wurden sie in ihren Themen und Texte politischer, verloren aber nicht an Relevanz. Obwohl die Band bekannter wurde, haben sie immer an ihren Werten festgehalten, jegliche Art der Fremdbestimmung abzulehnen und die Band selbst zu Organisieren. So haben sie anders als ähnliche Bands, wie die Toten Hosen, stets Angebote von Major Labels abgelehnt.

 

Goldener Pudel Club

Als Resultat dieser Selbstorganisation wurde 1988 der Pudel Club in der Sternschanze aufgemacht. Außerdem fand im Kiez eine Umeignung statt, ganz ohne finanzielles Interesse. So konnte man Läden einfach und Billig betreiben. Rocko Schamoni, der Mitgründer des Clubs und auch Mitglied der Goldenen Zitronen ist, bekam einfach den Schlüssel in die Hand gedrückt und konnte bis zum Abriss damit machen, was er wollte.

Der Nachfolger, der Golden Pudel Club wurde dann 1994 in direkter Hafennähe in einem Ehemaligen Schmugglergefängnis eröffnet, da auf dem Fischmarkt viel Leerstand und nicht gebraucht wurde. Das Gebäude sollte eigentlich auch irgendwann einem Neubau weichen, konnte aber gerettet werden.

Konzept des Clubs war und ist es immer noch, ein Raum für Konzerte, aber auch ein Kommunikationsraum für verschiedene Generationen und soziale Milieus zu sein. Der Laden soll politisch sein und ist quasi das Gegenteil zu der immer teurer werdenden Ausgehkultur. Verdient haben Schorsch und Rocko bis heute nichts mit dem Club und haben das auch nicht vor.



2016 kam es zu einem Brand im Club, vermutlich durch Brandstiftung, was aber nie aufgeklärt wurde. Zu der Zeit gab es Stress mit einem Kollegen, der andere Pläne mit dem Club hatte. Ob da ein Zusammenhang besteht, weiß man aber auch nicht. Der Laden wurde aber wieder aufgebaut und auch noch heute.


Theater

In den 2000ern beginnt er seine Karriere als Theater-Regisseur. So inszeniert er unter anderem Stücke am Schauspielhaus in Zürich, am Hamburger Schauspielhaus, an der Berliner Volksbühne oder an den Münchener Kammerspielen zahlreiche Stücke. Dabei hat er aber auch nie seine Punk-Haltung verloren.

Seine Stücke werden meistens sehr durch Musik geprägt. So auch zum Beispiel das Musiktheaterstück „Motor City Super Stuttgart“, bei dem er die offene Baustelle von Stuttgart 21 zur Bühne macht.



Der Titel bezieht sich auf Detroit, da Schorsch viele Parallelen sieht zwischen der Baustelle und dem Niedergang der Autostadt Detroit, wobei Stuttgart ja auch eine Art Autostadt ist.  Detroit ist durch seine Krise zu einer Art Unort, beziehungsweise einem düsteren Ort geworden. Dieses düstere sieht er in der Baugrube von Stuttgart 21. Ein dystopisches Bild, mitten in der Stadt. Ein Ort, der abgesperrt und nicht betretbar ist und durch Maschinen dominiert wird. Dort wird eine Atmosphäre ausgestrahlt, die nicht zum Verweilen einlädt.

Das Theaterstück nimmt den Ort so wie er ist und sieht ihn erstmal positiv als Platz, der vielleicht für Zusammenkünfte dienen könnte, ohne etwas konsumieren zu müssen, wie das normalerweise der Fall ist. Zudem gehe es darum seinen Protest gegen das ständige Wachstum deutlich zu machen.

In einem Interview erklärte er, dass er in all seinen Kunstformen versucht auch seine politische Haltung mit einzubringen. Er glaubt an die Aussagekraft von Texten und an eine bestimmte Ästhetik, die unmissverständlich sein kann.



Quellen:
www.laut.de/Schorsch-Kamerun (17.11.2023)

www.theaterbremen.de/de_DE/ensemble/schorsch-kamerun.255542 (17.11.2023)

clubkombinat.de/im-club-mit-die-goldenen-zitronen/ (04.12.2023)

www.ndr.de/media/Kiezkinder-4-4-Schorsch,audio1248766.html (06.12.2023)  

www.mopo.de/podcast/kiez-menschen/schorsch-kamerun/ (06.12.2023)

www.deutschlandfunk.de/schorsch-kamerun-bespielt-stuttgart-21-musiktheater-in-der-100.html (06.12.2023)

www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/zwischen-club-und-opernhaus-punkmusiker-und-regisseur-schorsch-kamerun-100.html (06.12.2023)

Bildquellen:
upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/72/Schorsch_Kamerun_%28Die_Goldenen_Zitronen%29_%28Haldern_Pop_2013%29_IMGP3535_smial_wp.jpg (06.12.2023)

www.spiegel.de/geschichte/hausbesetzer-und-autonome-a-946486.html#fotostrecke-e3aa19a5-0001-0002-0000-000000106379 (06.12.2023)

www.facebook.com/diegoldenenzitronen/photos/pcb.10156000780037343/10156000779962343/?type=3&theater&locale=hi_IN (06.12.2023)

hamburg.aino.app/wp-content/uploads/sites/2/2021/11/golden-pudel.jpeg (06.12.2023)

christianvonholst.de/47-theater-in-der-bahnhofsgrube-von-stuttgart/ (06.12.2023)