Tessa Schmols, 18.02.2024
Stress and the City
"Are Cities Making Us Sick? Does Urban Living Harm Our Psyche? Does Rural Living Alone Bring Happiness?" These are provocative questions with significant implications. By 2050, around seventy percent of the world's population will live in cities. Increasingly, mega-cities are reshaping the landscape of the Earth. They are the centers of our societies, offering diversity, cultural resources, and opportunities for personal development. Yet, density, noise, hustle, violence, and anonymity characterize urban life. Doctor and psychiatrist Mazda Adli questions how our brains react to the constant stimuli in cities and whether social stress in urban environments can make us ill. His conclusion is that urbanization will prove to be at least as relevant to our health as climate change. Thus, shaping healthy cities becomes an increasingly urgent social and health policy necessity.
Adli advocates for "Neurourbanism," an interdisciplinary approach involving science, culture, and politics, to design new visions for our cities. He argues: cities are good for us - we just need to learn how to make them livable places.
Mazda Adil
Geboren am 29. September 1969 in Köln. Mazda Adli ist Psychiater und Psychotherapeut. Er ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité. Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit stehen die Stress- und Depressionsforschung.
Stress und Stadt. Und warum die Stadt trotzdem gut für uns ist.
Sind wir Stadt- oder Landmenschen? Diese Frage stellt sich uns Menschen immer wieder. Einige von uns leben gerne in der Stadt. Andere sehnen sich nach dem Land und der Natur. Tatsächlich erleben wir Menschen die Stadt immer wieder als einen Ort, in dem wir uns besonders angespannt fühlen. Die Dichte, Hektik, unachtsame Menschen und der viele Verkehr. Es gibt wohl kaum einen von uns, der sich nicht einmal pro Tag über ein Stresserlebnis aufregt oder eine Situation, die uns zu schaffen macht. Dieses Phänomen wird ‚Stadtstress‘ genannt. Er ist weder positiv noch negativ belastet. Er ist von Person zu Person unterschiedlich. Er wächst aus Erfahrungen, Emotionen und Erinnerungen. Die Gehirne von Stadtbewohner*innen reagieren anders auf Stress als die von Landbewohner*innen.
Was ist eigentlich Stress?
Alles ist zu eng, zu laut, zu schnell, zu anonym, und es gibt zu wenig Kontrolle über die eigene Situation. Wir verbinden mit Stress vor allem körperliche oder seelische Belastung, Unsicherheit und Angst. Der amerikanische Psychologe Richard Lazarus hat vor diesem Hintergrund das nach ihm benannte Stressmodell aufgebaut. Steht man einer Situation gegenüber, von der man glaubt, sie aus eigener Kraft bewältigen zu können, so stimuliert der Stress die Energiereserven und die geistige Leistungsfähigkeit. Stress kann bei uns Menschen somit auch Höchstleistungen hervorbringen. Diese Art von Stress nennt man auch akuten Stress. Akuter Stress kann Adrenalin ausstoßen und uns bestastbarer machen. Er hilft uns also, auf angemessene Situationen schnell zu reagieren. Der Körper kann Sekunden schnell hellwach sein. Kann gefährliche Situationen einschätzen und bewältigen. Solange der Stress nicht dauerhaft ist. Doch wenn diese Situation umschlägt und der Stress z.B. zu Angst wird, kommt es zu sogenanntem Lampenfieber. Diese Form von Stress ist eine Art soziale Angst. Angst vor Bewertungen. Lampenfieber kann harmlos ausgeprägt sein, aber auch so stark zunehmen, dass es zu Blackout führen kann. Auch ist es problematisch, wenn das Stresslevel in permanenter Alarmbereitschaft bleibt. Dies wird auch chronischer Stress genannt. Chronischer Stress ist ein Gefühl von Angst, Überforderung und Kontrollverlust. Daraus können Krankheiten wie Burnout, Depression oder posttraumatische Belastungsstörung entstehen. Dauerhafter Stress kann auch körperliche Krankheiten verursachen. Es vergrößert die Gefahr für Herzinfarkt und für ein Schlaganfallrisiko.
Sozialer Stress
Stadtstress ist quasi chronischer Stress. Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen das Zusammenleben. Die Freundschaften, die sich bilden, und dass nicht dauerhafte Alleinsein. Doch das bedeutet auch, dass wir Kompromisse eingehen, Konflikte lösen und uns auch mal hintenanstellen müssen. Sozialer Stress entsteht, wenn wir uns von anderen bedroht fühlen. Wenn wir das Gefühl haben, andere dringen in unsere Sphäre ein. Sozialer Stress kann ausgelöst werden, wenn ein Nachbar die Musik zu laut hat und wir eigentlich unsere Ruhe haben wollen. Oder auch bei einem Kennlernen, Jobinterview etc. Sozialer Stress gehört zu dem stärksten Stresssyndrom, das man spüren kann. Doch diese Konflikte machen uns noch lange nicht krank. Solange wir die Konflikte unter Kontrolle und einen Lösungsansatz parat haben. Das heißt, wenn wir eine gute Resilienz aufweisen können. Erst wenn der soziale Stress außer Kontrolle gerät und er uns Kraft entzieht, kann er uns krank machen.
Sozialer Stress in der Stadt
Georg Simmel behauptet, Stadtleben sei dauerhafter Stress, der den Bewohner aus Selbstschutz blind für die Bedürfnisse seiner Mitmenschen macht. Weiter stellt Simmel die These auf, dass Menschen in der Stadt weniger hilfsbereit und kooperativ seien. Die guten Sitten würden verfallen. Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die Anderen gerichtet. So würde ein Stadtmensch eher an nach Hilfe fragenden Menschen vorbeigehen als ein Landmensch, da er sich nicht persönlich angesprochen fühle. Wenn man von vielen Menschen umgeben sei, nimmt man eine automatische Abwehrhaltung ein.
Die Dichte bestimmt unser Stresslevel. Ist das Gedränge nur von kurzer Dauer wie eine Fahrstuhlfahrt oder ist es dauerhaft enger geworden? Dabei entsteht Stress, wir bekommen Gefühle wie Angst und Reizbarkeit. Unser Verhalten wird unruhiger und aggressiver. Es wird vor allem dann unangenehm, wenn wir das Gefühl von Kontrollverlust bekommen. Wie eng wir es mit Menschen mögen, kommt drauf an, wie vertraut wir mit diesen Menschen sind. Der persönliche Raum von einem Menschen kann wie durch eine Blase gemessen werden. Im Umkreis von 45 cm befindet sich unser Intimraum. In diesen dürfen nur unsere intimsten, vertrauten Kinder und Haustiere. Der persönliche Raum liegt bei 1,2 m. Dies ist der Wohlfühlabstand zwischen zwei Menschen. Der soziale Raum bei 3,6 m und der öffentliche Raum bei 7,6 m. Der persönliche Raum wird in der Stadt oft durchbrochen.
Das Tempo der Stadt
Jede Stadt hat sein eigenes Tempo. Es setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. Wie eilig haben es die Bewohner, wie groß ist die Stadt bzw. wie viel Strecke müssen sie in kurzer Zeit zurücklegen oder auch, wie dicht die Stadt besiedelt ist. Deswegen kommen uns Städte wie Paris, New York oder Mumbai auch als hektischer vor als andere. Außerdem hat jede Stadt ein ganz ureigenes Tempo. So braucht der durchschnittliche Bürger für 18 m Fußweg in Berlin ca. 11,16 Sek., in London braucht man knapp eine Sekunde länger )12,17 Sek.). Bern war sehr gemütlich unterwegs und die Passanten brauchten rund 17,37 Sek. In Singapur sind es wiederum nur 10,55 Sek für 18 Meter.
Stress im Straßenverkehr
Die Frage der Fortbewegung ist ein lang umstrittenes Thema. Wie bewegen wir uns fort? Ob mit dem Fahrrad oder mit dem Auto, es geht hauptsächlich darum, so viel Verkehr wie möglich in unseren Städten unterzubringen. Städte verbindet das tägliche Verkehrschaos, den Lärm und die Luftverschmutzung. London und Warschau sind in Europa die Städte mit dem meistern Verkehrsaufkommen. Zur Rushhour sind mehr als 40 % der Straßen verstopft. Das hohe Verkehrsaufkommen sorgt für einen hohen Stresspegel, welcher Adrenalin und Kortisol freisetzt. Unsere Städte wurden vor allen nach dem Zweiten Weltkrieg dem Auto gewidmet. Schnelles und sicheres Fahren und nahes Parken lag im Fokus. Doch leider ist der Platz unverhandelbar. Das Auto lässt nämlich keine Verhandlung auf Augenhöhe zu. Erst in den 80er Jahren wurde der erste verkehrsberuhigte Bereich eingeführt.
Wenn die Stadt Angst macht
Jedem ist bestimmt das Gefühl bekannt, in der eigenen Stadt Angst zu haben. Orte, an denen man sich unsicher fühlt und die man zu einer gewissen Uhrzeit lieber meidet. In Städten, wo die Anonymität großgeschrieben wird, ist auch die Kriminalitätsrate sehr hoch. Doch weniger das Verbrechen selbst, eher die Furcht vor dem Verbrechen, ist das, was viele Menschen beschäftigt. Das Unsicherheitsgefühl steht in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Gefahr. Das Gefühl von Kontrollverlust und die Bedrohung treten meistens nachts auf. Die nächtliche Stadtangst schränkt unsere Bewegungsfreiheit ein und beeinträchtigt unsere Selbstständigkeit. Frauen sind hierbei schneller von der Angst betroffen als Männer. Seit den 80er-Jahren wurde verstärkt danach geforscht, welchen Einfluss die Gestaltung des öffentlichen Raums auf das Sicherheitsgefühl von Frauen hat.
Warum es uns in die Städte zieht
Vor allem Städte wie New York ziehen uns an. Das Lied aus den 80ern von Udo Jürgens, indem er singt „Ich war noch niemals in New York, ich war noch niemals richtig frei“, vermittelt uns ein Bild von einer Stadt, in der man frei sein kann. Dort steht die Freiheitsstatur, demnach ist man in New York frei. Die Stadt wird uns als Stadt, die Träume verwirklichen lässt, dargestellt. Die Stadt, die niemals schläft. New York bietet uns ein Spektrum an Vielfalt und Gegensätzen. Auf engem Raum Menschen mit unterschiedlichem Aussehen und Interessen. Die belebten Straßen zieht uns Menschen vor die Tür und bietet zusammenleben. Dieses macht urbane Qualitäten aus.
Leben und Erholung finden in der Stadtmitte statt, nicht am Rand. Städte machen ca. 2 % unserer jetzigen Erdoberfläche aus. Trotzdem leben mehr als 50 % der Menschheit auf diesen 2 % sehr dicht zusammen. Doch warum zieht es uns trotzdem in die Stadt? Die Stadt ist ein Versprechen auf eine bessere Zukunft. Wer in die Stadt zieht, folgt der Logik der Ökonomie. In der Stadt gibt es bessere Ausbildungsstätten, bessere Arbeitsmöglichkeiten und Karrierechancen. Der Durchschnittsverdienst ist höher. Städte ermöglichen, obwohl die Lebensumstände in ihnen anstrengend und hart sein können, sozialen Aufstieg und machen uns unabhängiger von unseren sozialen Wurzeln.
Macht Stadtluft krank?
Die Feinstaubverschmutzung ist in der Stadt deutlich höher als auf dem Land. Ein großer Anteil an der Feinstaubbelastung ist das Auto. Feinstaub ist besonders gefährlich, da er direkt über die Lungenbläschen in unsere Blutbahn gerät. Die Folgen können Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs sein. In der Stadt wird unsere innere Uhr durcheinandergebracht. Straßenlaternen, grelle Schaufenster, Leuchtreklamen und viele Autoscheinwerfer sorgen dafür, dass es nachts nicht mehr richtig dunkel wird. Unser Biorhythmus kann massiv beeinträchtigt und gestört werden. Jeder kennt ja bestimmt das Bild aus einem Flugzeug, wo die Stadt aus tausenden Lichtern erhellt am Boden auftaucht und drumherum einfach schwarze Leere.
Ich habe jetzt viele Beispiele genannt, warum die Stadt krank machen kann. Doch jetzt aufs Land zu ziehen, um gesünder zu leben, war auch nicht unbedingt das absolut Ideale. In der Stadt hat man im Vergleich zum Land ein wesentlich besseres Netz aus Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern und Psychotherapien. Allgemein haben die Stadtmenschen eine flächendeckendere Gesundheitsaufklärung. Landmenschen sterben z. B. häufiger an Herz-Kreislauf- oder Blutzuckererkrankungen. Auf dem Land verlaufen Krankheiten, egal welcher Art, häufiger tödlich. Die fortschrittliche Medizin kommt in der Stadt nun mal zuerst an.
Die Definition einer gesunden Stadt laut WHO:
Eine gesunde Stadt sorgt also für eine gesundheitsfördernde Umgebung, eine gute Lebensqualität, ausreichende hygienische und sanitäre Bedingungen und versorgt ihre Bewohner mit den notwendigen Gesundheitsdienstleistungen.
Wahrnehmung in der Stadt
Wir nehmen die Städte anders wahr. Wenn wir an eine bestimmte Stadt denken, haben wir unterschiedliche Bilder im Kopf. Dies resultiert aus unseren Erfahrungen, welche wir mit der Stadt gemacht haben. So kann eine schlechte Erfahrung ein negatives Bild in unserem Kopf hinterlassen, obwohl andere die Stadt als ganz toll empfunden haben. Es kann eine der sichersten Städte der Welt sein und uns durch ein Bild oder eine Erfahrung ein Gefühl der Unsicherheit vermitteln. Hier spielt die Architekturpsychologie eine entscheidende Rolle. Architektur und Stadtplanung können das Stresslevel in einer Stadt verringern oder erhöhen und auch unser Bild von einer Stadt zum Positiven oder auch Negativen lenken. Das Gestalten von Fassaden und Straßen kann uns ein Gefühl von Wohlbefinden geben oder uns signalisieren, dass wir nicht willkommen sind. Doch nehmen wir die Stadt nicht nur visuell wahr. Wir assoziieren verschiedene Gerüche mit verschiedenen Situationen. Ich glaube jeder von uns kennt den Geruch von Berliner U-Bahnen und denkt beim Riechen an eine Situation, die man mit diesem Geruch verknüpft.
Das bauliche Gesicht einer Stadt oder einer Nachbarschaft kann erheblich dazu beitragen, dass Menschen gemeinsam Zeit im öffentlichen Raum verbringen. Deshalb haben öffentliche Plätze eine sehr große Bedeutung für eine Stadt. Das urbane Sozialkapital wächst an diesen Orten, wo man sich nicht nur gern aufhält, sondern auch einen Grund findet, miteinander zu sprechen und gemeinsam zu verweilen. Das sind zum Beispiel Parks oder Plätze in der Innenstadt, etwa ein Marktplatz. Wir brauchen Plätze, die Gesprächsstoff bieten, oder einen Grund, um stehen zu bleiben und nicht nur eiligen Schritts durch zu hasten.
Großstadtskills
Wer in der Stadt aufgewachsen ist, hat andere Skills als Menschen, die auf dem Dorf aufgewachsen sind. Die meisten Städter wissen, wie sie mit Einsamkeit umgehen können und auch was sie dagegen tun können. Durch das schnelle Leben und den ständigen Wandel in der Stadt lernen wir mit einer gewissen Situation, bei der es kein Zurück mehr gibt, umzugehen. weiterzudenken und einen neuen Weg zu finden. Einer der augenscheinlichen Unterschiede zwischen Großstadt und Dorf ist der unterschiedliche Grad an Anonymität. Anonymität ist das, was viele suchen, die in die Großstädte ziehen, aber sie ist auch das, was viele in der Stadt fürchten. Großstadtanonymität ist für manche ein Schleier, hinter dem sie sich verbergen und unbeobachtet sein können. In der Anonymität kann man sich der sozialen Kontrolle entziehen. Für manch einen bedeutet das die Freiheit, zu tun oder zu lassen, was man will. Unsere heutige Smartphone - Gesellschaft verstärkt die Anonymität enorm. Alles ist digitalisiert. Wir brauchen niemanden mehr, um den richtigen Weg zu finden. Wir haben unseren Wegbegleiter immer bei uns. Durch verschiedene Apps brauchen wir nicht mehr fremde Leute anzusprechen, sondern können uns via Handy kennenlernen. Doch das heißt auf lange Sicht m.E. Entfremdung anstatt Aneignung.
Die ideale Stadt
Der idealen Stadt liegt immer auch die Vorstellung eines idealen Menschen zugrunde. Doch so, wie es den idealen Menschen nicht gibt, gibt es eben auch die ideale Stadt nicht. Was wir von der »idealen Stadt« fordern, sollten wir für uns selbst annehmen und einlösen. Um mit Stadtstress einen Umgang zu finden, braucht es Toleranz gegenüber den Mitmenschen und dem urbanen Umfeld.
Quellen:
Buchquelle: Stress and the City von Mazda Adli
https://media.springernature.com/m685/springer-static/image/art%3A10.1007%2Fs00103-020-03185-w/MediaObjects/103_2020_3185_Fig2_HTML.png (17.1.24)
https://www.penguin.de/content/edition/cover/share/9783570102701.jpg (17.1.24)
https://www.oskarvonmillerforum.de/wp-content/uploads/2021/08/20200123_OvMF_Adli_-1-470x650.jpg (17.1.24)
https://www.fr.ch/sites/default/files/2022-11/ma-cite-ideale--oddde.png (17.1.24)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/47/New_york_times_square-terabass.jpg (17.1.24)
https://assets.bwbx.io/images/users/iqjWHBFdfxIU/iNy_zk8OJID4/v0/-1x-1.jpg (17.1.24)
https://image.geo.de/30141934/t/5v/v4/w1440/r0/-/angst-f-221688877-jpg--80780-.jpg (17.1.24)