Prof. Klaus Schäfer, Hochschule Bremen, Wintersemester 2021/2022
Edward Hopper, Morning Sun, 1952 (Columbus Museum of Art, Columbus)
Der öffentliche Raum und der private Raum stehen in der Stadt in einem engen Wechselverhältnis. Für den Soziologen H.P. Bahrdt* bilden beide Bereiche idealerweise als komplementäres Gegenüber ein wesentliches Charakteristikum des Städtischen. In dieser Polarität liegt aus unserer Sicht ein Gestaltungsprinzip von Architektur und Städtebau.
Es fällt auf, dass der ‚Verlust des öffentlichen Raumes‘ oftmals im Diskurs um die Stadtentwicklung steht. Unausgesprochen wird damit möglicherweise ein Zuviel an privaten Flächen und —atmosphärisch — auch an privatem Raum assoziiert. Das Private erscheint dabei in der Architektur, wie im Städtebau gewissermaßen diskeditiert zu sein. Das auch der private Raum eine wichtige urbane Komponente darstellt und — ebenso wie der gebaute öffentliche Raum — einer qualitativen Wahrnehmung unterliegt, werden wir seminaristisch erforschen.
Projekt Kalkbreite, Zürich, Bild aus dem Hof, 2014 (Quelle: 20minuten.ch)
In der eingangs aufgestellten These von Öffentlich zu Privat als Komplementaritätsprinzip steckt der Grundsatz einer Ausgeglichenheit, in der sowohl dem öffentlichen Raum als auch dem Wert des Privaten in der Stadt eine Bedeutung zukommt. Letzterem werden wir uns in allen Facetten im Rahmen eines Seminars aus der Sicht von Architektur und Städtebau widmen. Wir suchen nach subtilen Einschränkungen des Privaten, wie nach den erforderlichen Grenzziehungen gegen das Öffentliche. Die Wertschätzung, gleichsam existenziell, leuchtet bereits dem Titel nach im Essay von Virginia Woolf – „Room of One's own“ auf, eine ins Intime greifende Raumbestimmung in der Architektur. Im Maßstab der Stadt werden die baulichen Voraussetzungen der Nutzungsmöglichkeiten außerhalb des öffentlichen Raumes hinsichtlich Diversifizität und Variabilität betrachtet. Beispielweise sondieren wir die Größenverhältnisse, die eine urbane Lebenswirklichkeit befördern und die positiven Aspekte informeller Bereiche in der Stadt.
*Hans Paul Bahrdt, Die Moderne Großstadt: Soziologische Überlegungen zum Städtebau.
„Dicht an dicht reihen sich Vorder- und Hinterhäuser im Wiesbadener Westend. In den Freiräumen dazwischen hat die ganze Vielfalt des Alltagslebens Platz.“ (Foto/©: Daniel Fischborn, Bildunterschrift: Wiesbadener Westend: Hinterhöfe bieten Freiräume für vielfältige Stadtgesellschaft, Dokumentation Johannes Gutenberg-Universität Mainz)