Hochschulseminar – Vom Wert des Privaten in der Stadt
 
Die Dichotomie von Privatheit und Öffentlichkeit in der Stadt
Hannes Mehrtens, 20.02.2022

The city is in a polarizing relationship between privacy and the public.
The following article will describe the difference between the privacy and the public and how people show themselves in sociological behaviors in different places.



Grunddefinition

Bevor es zur Untersuchung der soziologischen Unterschiede kommt, müssen die generellen Unterschiede zwischen dem privaten und öffentlichen Raum in der Stadt geklärt werden.
Der private Raum wird in der Regel als persönlich, in sich geschlossen, beschrieben. Er zeigt eine vertraute Atmosphäre, in dem sich der Mensch vollständig entfalten kann.
Der ö
ffentliche Raum wird dahingegen eher als offen und oberflächlich beschrieben.Um nun allerdings grundlegend zu versuchen, den privaten und öffentlichen Raum in der Stadt zu unterscheiden, ist es sinnvoll, die Ausführungen aus dem Buch des Soziologen Walter Siebel (Die europäische Stadt - 2004) betrachten.

Dieser beschreibt die Unterschiede dabei in 5 Dimensionen:

Funktional, juristisch, sozial, symbolisch und normativ.

(1) funktional:
(...) dem öffentlichen Raum einer Stadt sind die Funktionen Politik und Markt zugeordnet, den privaten Räumen von Betrieb und Wohnung die Funktionen der Produktion und Reproduktion.

(2) juristisch:
(...) ö
ffentlicher Raum unterliegt öffentlichem Recht, privater Raum privatem Recht.
(3) sozial:
(...) öffentliche Räume und private Räume unterscheiden sich auch hinsichtlich der ihnen jeweils erweiterten Verhaltensweisen. Im öffentlichen Raum hält sich der Mensch in Form von Gleichgültigkeit zurück und geht auf Distanz. Der private Raum ist Ort der Intimität, Körperlichkeit und Emotionen.

(4) symbolisch:
(...) städtebauliche und architektonische Gestaltung, verwendete Materialien bis hin zu physischen Barrieren, können die Offenheit bzw. die Exklusivität von Räumen signalisieren.

(5) normativ:
(...) der öffentliche Raum ist aufgeladen mit dem Ideal bürgerlicher Öffentlichkeit als durchgesetzte Demokratie. Die Privatheit ist einerseits Sphäre des freien Unternehmers und andererseits Wohnraum der Familie (...)

 

Aus dieser Erkenntnis schließt Walter Siebel drei wesentliche Merkmale. Zum Einen ist der öffentliche Raum allgemein für jeden zugänglich, wohingegen der private Raum nur für den Eigentümer/Mieter zugänglich ist. Des Weiteren ist zu bemerken, dass es jedem Menschen selbst überlassen ist, inwiefern und in welcher Rolle dieser den öffentlichen Raum betritt und bespielt. Zum Anderen beschreibt er die Anonymität der Stadt, welche durch ihre Größe geprägt wird. Der Mensch begegnet den Anderen als Fremder.

Um einen besseren Blick auf die soziologische Unterschiede zu bekommen, beschreibt der Soziologe Hans Paul Bahrdt diese in seinem Buch (Die moderne Großstadt - 1998)



Zimmer im Ritterlichen Ansitz Rosenau in Loburg, H.Krüppel - 1832



 St. Martens - Steps, Jonathan Stewardson - 2020


„Eine Stadt ist eine Ansiedlung, in der das gesamte, als auch das alltägliche Leben, die Tendenz zeigt, sich zu polarisieren, d.h entweder im ö
ffentlichen Raum oder im privaten Raum stattzufinden.“

Es bildet sich also eine öffentliche und private Sphäre, die im engen Wechselverhältnis zu einander stehen. Bereiche, die weder öffentlich, noch privat sind, verlieren dabei, laut Bahrdt, an Bedeutung. Des Weiteren führt er aus, dass die Stadt dem Menschen die Möglichkeit bietet anonym zu bleiben. Diese Freiheit gibt die Voraussetzung der Individualisierung frei. Jeder kann selbst entscheiden, wie viel er von seiner Person preisgibt. Dies nennt Bahrdt „die unvollständige Integration“.




Als Weiteres nimmt er den Marktplatz als Metapher für das soziologische Verhalten im öffentlichen Raum. Hierbei tritt der Händler mit dem Käufer in Kontakt, ohne sich zu kennen oder sich jemals zuvor gesehen zu haben. Auf dem Markt kommen zwar Kontakte zustande, diese bleiben allerdings partiell. Die Tauschpartner treten dabei nur mit einem Ausschnitt ihrer Persönlichkeit in Kontakt. Ob dabei der Verkäufer ein sehr guter Gitarrenspieler ist, bleibt daher offen. Ganz im Gegensatz zum Dorfleben, in dem sich meist jeder über kleinere und größere Eckbeziehungen kennt.Bahrdt beschreibt zu Folge Distanznormen, d.h Regeln, die dazu dienen Distanz aufrechtzuerhalten.Ein Beispiel hierfür sei das Restaurant oder öffentliche Verkehrsmittel. Der Mensch hört in einer vollen Bahn bei fremden Gesprächen absichtlich nicht zu, um der anderen Person nicht zu nah zu kommen. Dies dient, laut Hans Paul Bahrdt, dem Schutz der eigenen Privatheit und dem Schutz der Anderen/Fremden. Was die konservativen Großstadtkritiker als Anonymität, Fremdheit und Desinteresse beschreiben, ist für ihn die Voraussetzung für die Entfaltung von Individualität.

„Man achtet die Individualität des Anderen, indem man ihm seine private Sphäre lässt, ihn nicht mit neugierigen Fragen bedrängt und schon gar nicht versucht, ihn zu kontrollieren.“

Der ständige Kontakt mit fremden Menschen erzeugt, laut Bahrdt, Unsicherheit. Die Menschen verbergen nämlich ihre Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit, um diese, im Schutz des Privaten, auszuleben. Diese „unvollständige Integration“, wie er sie beschreibt, ist die Voraussetzung für die Möglichkeit von Privatheit. Die Privatheit, die jeder Menschen als Bedürfnis hat, um sie dann im Privaten Raum, den Schonraum, auszuleben.




Abschließend kann man weitere Themen hinzuziehen, die das eigentliche soziologische System beeinflussen.
Zum Einen hat sich, durch das Handyzeitalter des 21.Jahrhunderts, der öffentliche Raum in das Internet erweitert. Ein mögliches Problem könnte hierbei sein, dass das „polarisierende Verhältnis“ zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, wie Bahrdt es beschreibt, durch die Digitalisierung immer mehr schwindet. Zum Anderen ist die ständige Überwachung im öffentlichen Raum zu erkennen, die ebenfalls die Individualität und Anonymität jedes Individuum reduziert. „Jeder wird beobachtet.“





Quellenverzeichnis:

Textquellen:
- Walter Siebel - Die europäische Stadt (2004)
- Hans Paul Bahrdt - Die moderne Großstadt (1998)

Bildquellen:
B1 - Zimmer im ritterlichen Ansitz Rosenau in Loburg - H.Krüppel (1832)
B2 - St. Martens - Steps - Jonathan Stewardson (2020)
B3 - Thema Marktplatz 
B4 - Der private Raum als Schonraum
B5 - Videoüberwachung des Kölner Hauptbahnhofs