Hochschulseminar – Vom Wert des Privaten in der Stadt
 
Das Private in der Fotografie
Florian Giesbrecht, 03.05.2022

The comparison of two photographic works that show the interplay of public and private in the field of photography. The illustrated works by Nan Goldin and Bruce Gilden show scenes from New York City, photographed during the 80s and 90s. Their works show two completely different sides, the intimate, private life behind closed doors and the public life on the busy streets of New York City.

Die Gegenüberstellung von zwei fotografischen Werken die das Wechselspiel von Öffentlich und Privat in der Fotografie zeigen. Die abgebildeten Arbeiten von Nan Goldin und Bruce Gilden zeigen jeweils Szenen aus New York City, fotografiert in den 80er und 90er Jahren. Die jeweiligen Werke zeigen zwei komplett unterschiedliche Welten. Die eine das intime, private Leben hinter verschlossener Tür die andere das öffentliche Leben auf den Straßen New York Citys.






Nan Goldin ist eine US-Amerikanische Fotografin. In den 1980er Jahren entstand Goldins einflussreichste Arbeit, The Ballad of Sexual Dependency. Darin dokumentiert sie ihr tägliches Leben in einer Randgruppe in Manhatten. Sie gewährt einen persönlichen Einblick in ihr Leben und thematisiert Sex, Drogen, Gewalt und Tod mit schonungsloser Direktheit und Intimität.

Das Foto zeigt die Fotografin selbst mit ihrem Partner Brian auf einem Bett. Goldin liegt neben ihm, mit dem Kopf auf einem Kissen und halb bedeckt von ihrem Pullover. Sie schaut Brian an, welcher nach unten schaut und von ihr abgewandt eine Zigarette raucht. Sein Gesicht und Oberköper sind hell vom Sonnenschein erleuchtet. Was kompositorisch interessant ist, ist wie Nan Brian ansieht. Brian schaut zur Seite und der betrachtende schaut das Foto von Brian oben rechts an. Das Schlafzimmer Setting, das warme Licht und die zwei leicht bekleideten Menschen im Bild schaffen ein Gefühl der Intimität. Der Blick Goldins verrät allerdings, dass hinter dieser Fassade der Intimität noch etwas Dunkleres steckt. Der Gesichtsausdruck ist eher misstrauisch und sehnsüchtig als bewundernd oder verliebt. Das Licht der untergehenden Sonne könnte symbolisch für ein baldiges Ende der Beziehung stehen. Brian ist distanziert und kehrt Nan buchstäblich den Rücken zu.
Die Fotografie zeigt die Schattenseiten in amourösen Beziehungen auf und das auf eine sehr sensible, subtile Art und Weise. Dieses Bild ist das Titelbild des Werkes, The Ballad of Sexual Dependency. Wie der Titel suggeriert geht es in dieser Bilderserie um die Abhängigkeiten in einer Liebesbeziehung und dieses Machtgefälle wird in diesem Foto eindrücklich dargestellt.



Auf weniger subtile Weise stellt sie häusliche Gewalt in diesem Selbstportrait dar. Der Titel lautet One Month after being battered also ein Monat nach der Misshandlung. Die Fotografin zeigt sich selbst als Überlebende von häuslicher Gewalt und macht so deutlich, dass Liebesbeziehungen auch Potenzial zu Gewalt haben. Man sieht die Fotografin zentral im Bild. Sie hat sich mit Blitz fotografiert. Sie sitzt vor einem heimlichen Hintergrund mit Vorhang. Sie sieht geradeaus in Kamera, zeigt ihr Gesicht, welches von Gewalt gezeichnet ist. Ihr linkes blutunterlaufenes Auge kann sie kaum öffnen und sie hat Blutergüsse unter den Augen. Dazu trägt sie einen auffälligen roten Lippenstift, silberne Ohrringe und eine Perlenkette. Als eine Art Symbol des stereotypisch Femininen. Dem stellt sie das Rot in ihrem blutigen Auge entgegen und macht so auf Gewalt in einer Beziehung aufmerksam.

Das Selbstportrait konfrontiert den Betrachtenden. Goldin sieht uns direkt in die Augen, sie will gesehen werden.
Brian, der Mann auf dem letzten Foto hat Nan Goldin diese Verletzungen beigebracht.



"Heart Shaped Bruise" ist der Titel des Fotos, das Gewalt in der Beziehung thematisiert. Die Person liegt auf dem Bett und entblößt einen Bluterguss am Bein. Dieser hat die Form eines Herzens. In diesem Zusammenhang wohl ein Hinweis auf die Herkunft der Verletzung, evtl. eine Beziehungstat.
Das Bild aus The Ballad of Sexual Dependency gehört zu einer Slideshow mit über 800 Bildern. Diese fotos haben alle eine Schnappschuss-Ästhetik. Wir finden keine perfekten, komplexen Kompositionen, die Bilder sind authenthisch nah.



Eine Person sitzt auf einem Bett und ist relativ lässig gekleidet. Sie erhitzt mit Streichhölzern eine Substanz in einem Löffel und hat einen roten Gürtel um den linken Arm geschnallt. Die Umgebung sieht unordentlich und schmuddelig aus. Dieses Foto zeigt den exzessiven Drogenkonsum in Goldins Freundeskreis in den 80er Jahren. Sie umgab sich mit vielen Abhängigen, sie selber hat viele Jahre Heroin konsumiert und eröffnet mit diesem Bild wieder einen sehr intimen Einblick in ihr privates Leben. Nan Goldin sagte diese Bilderserie sei ihr visuelles Tagebuch in dem sie ihr tägliches Leben, ihre Freunde und Familie dokumentiere. Viele der fotografierten Menschen, seien laut Goldin an den Folgen des Drogenkonsums gestorben und so schwingt besonders in dieser Fotografie das Thema Tod und Vergänglichkeit mit. Der Moment kurz vor dem intravenösen Kosnum, ein selbstzerstörerischer Akt.


Ein weiteres Bild das den Drogenkonsum darstellt ist Bruno smoking a joint. Der Mann auf dem sofa sitzend, Joint rauchend schaut die Person an außerhalb des bildes an. Nur die Beine und eine Hand mit Zigarette und Zeitschrift sind erkennbar. Ein intimer Moment zwischen zwei Menschen eventuell einem Paar. Der geminsame Drogenkonsum ist ein Hinweis auf psychische Gewalt und toxische Beziehungen.


Amanda sitzend auf dem Bett von Nan Goldin in Berlin. Der Hintergrund ist verschwommen, man erkennt einen Schrank, ein Bett und die Tür zum Schlafzimmer. Zentral sitzt die weinende, junge Frau auf dem Bett. Ein eindrucksvolles Foto, alleinstehend und losgelöst von The Ballad of Sexual Dependency. Dieses Bild bringt den Wert des Privaten auf den Punkt. Das Verletztsein, Verwundbarsein, negative Gefühle. Diese Dinge passieren ganz privat und isoliert in den eigenen vier wänden.


Diesen sehr intimen Aufnahmen des Privaten stelle ich den Arbeiten von Bruce Gilden gegenüber.

Bruce Gilden ist ein in Brooklyn geborener Dokumentarfotograf. Er wurde vor allem durch seine Arbeiten über die Bewohner der Stadt New York bekannt. Von anderen Straßenfotografen grenzt sich Gilden besonders durch seinen konsequenten Einsatz von Blitzlicht und der geringen Distanz zu seinem Motiv ab.
Bruce Gilden sagt er würde mit seiner Fotografie die Gefühle darstellen die er selber für die Stadt empfindet. Themen wie die Energie in der Stadt, die Angst und Stress sind bezeichnend für seine Arbeiten.


Man sieht zwei Frauen, wahrscheinlich Mutter und Tochter. Die Mutter wird im Rollstuhl angeschoben. und im Hintergrund sind Manhattans Hochhäuser zu sehen. Durch den Gebrauch von Schwarz-Weiß-Film und einem blitz stellt der Fotograf die zwei Frauen auf dem Foto klar heraus. Ihre Gesichtsausdrücke sind erfüllt von Angst und Stress. Warum die Frau im Rollstuhl den Mund offen hat, weiß man nicht. Es wirkt so als würde die Tochter die Mutter mit hoher Geschwindigkeit die Straße entlang schieben oder eine Klippe hinunterstoßen. Es wirkt nahezu surreal.


Hier sehen wir einen Mann in Manhattan. Sein Oberkörper nimmt den Großteil des Bildes ein und der Kopf ist am oberen Bildrand abgeschnitten. Im Hintergrund sieht man eine weitere Passantin und Manhattans Hochhäuser. Der Mann blickt starr nach unten. Seine Gesichtszüge wirken wie versteinert. Der Mann scheint völlig in seinen Gedanken versunken während er die Wallstreet hinunterläuft. Das foto entstand eine Woche nach dem Unglück von 9/11 und es liegt nahe, dass dieser Schock noch so tief liegt, dass diese Person wie in Trance und völlig unbewusst den öffentlichen Raum durchläuft.


Das Foto zeigt die Anonymität in der Stadt. Auf dem Bild sieht man einen Mann zu Boden gehend, der Grund ist nicht ganz klar. Er ist angespannt, die Fäuste sind geballt, das Gesicht verzogen. Um ihn herum sieht man Personen die etwa oberhalb der Hüften abgeschnitten sind. Auffällig dabei ist der Anzugträger rechts im Bild mit der Hand in der Hosentasche. Keinen scheint es zu interessieren, dass der Mann gestürzt ist.


Auch dieses Bild veranschaulicht das Verhalten der Menschen im öffentlichen Raum. Der Mann scheint beschäftigt, er ist nach vorn gebeugt und schiebt einen Imbissstand vor sich her. Er blickt nach hinten und hat einen fragenden Gesichtsausdruck. Er scheint sich zu fragen wo auf ein mal der Blitz der Kamera herkommt. Bruce Gilden beschreibt, dass viele der Menschen die er fotografiert auf diese Art reagieren. Sie sind sich ihrer Umgebung nicht bewusst, sind so mit sich selbst beschäftigt oder mit der Aufgabe der sie in dem Moment nachgehen, dass sie auf den Fotos so wirken als würden sie aus ihrem Traum erwachen. In dieser Komposition wird dieses Gefühl verstärkt durch den Hund links im Bild. Der spaziert ohne Leine oder Besitzer durch das Bild, in die entgegengesetzte Richtung des Mannes. Es wirkt surreal, wie ein Traum.


Wir sehen ein Paar im Vordergrund des Fotos. Im Hintergrund eine städtische Szene mit Stahlskellett und verschwommenen Passanten. Die Frau hält den Arm des Mannes und beide tragen Sonnenbrillen. Die Frau schaut in die Kamera, bei dem Mann ist es unklar, wegen der verspiegelten Sonnenbrille. Der Mann trägt einen auffälligen Schnurbart und man könnte denken, dass sich die beiden verkleidet haben, der Schnurbart wirkt unecht. Mit den Sonnenbrillen und dem falschen Schnurbart bauen die beiden einen Schutzschild auf mit dem sie sich im öffentlichen Raum bewegen. Der falsche Schnurbart wirft die Frage auf ob die beiden evtl auch Perrücken tragen. Die Menschlichkeit scheint im öffentlichen Raum verloren zu gehen.


Diese Gegenüberstellung soll den Wert des Privaten in der Stadt verdeutlichen. Die Intimität, das Gefühlvolle, der Schmerz, in der Privatheit und das anonyme Verschlossene in der Öffentlichkeit.

Dies impliziert, dass Dinge wie Intimität, aber auch Krankheit und Tod nur hinter geschlossenen Türen im Privaten passieren.





Extra: Bruce Gilden beim Fotografieren